Medikamentenvergiftung

Epileptiker haben hohe Überdosisgefahr

Die Gefahr, an einer Medikamentenüberdosis zu sterben, ist bei Epilepsiekranken fünffach erhöht, so eine Studie. Doch es ist anders, als auf den ersten Blick gedacht: Schuld sind meist nicht die Antikonvulsiva.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Ein Stabel Tabletten: Epilepsiekranke haben ein erhöhtes Risiko, an zu viel Medikation zu sterben.

Ein Stabel Tabletten: Epilepsiekranke haben ein erhöhtes Risiko, an zu viel Medikation zu sterben.

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MANCHESTER. Epilepsiekranke laufen eher Gefahr, einen unnatürlichen Tod zu sterben, als die übrige Bevölkerung. Je nach Studie ist das Risiko zwei- bis dreifach erhöht. Zu den Hauptgründen zählen Unfälle, die vor allem in den ersten Jahren nach der Diagnose vermehrt auftreten.

Ein prominentes Beispiel liefert der Studentenführer Rudi Dutschke, der vor 50 Jahren angeschossen wurde. Anschließend litt er an einer Epilepsie und ertrank elf Jahre später während eines Anfalls in der Badewanne.

Ertrinken zählt in der Tat zu den häufigeren Todesursachen von Epilepsiepatienten, ein anderer häufiger Grund scheint eine Medikamentenüberdosis zu sein. Allerdings sind die Angaben in der Literatur zur Prävalenz solcher Vorfälle und zu den daran beteiligten Medikamenten sehr widersprüchlich, berichten Pharmakoepidemiologen um Hayley Gorton von der Universität in Manchester.

Fast dreifach erhöhtes Risiko

Nach einer groß angelegten Analyse britischer Patientendaten kommen sie zu dem Schluss, dass Medikamentenvergiftungen in der Tat ein Problem bei Epilepsiekranken sind. Nur knapp zehn Prozent solcher Todesfälle werden jedoch von Antiepileptika verursacht, mehr als die Hälfte hingegen von Opioiden (JAMA Neurol 2018; epub 9.4.18).

Ergebnisse der Analyse

  • Unfälle sind zu 70 Prozent der Grund für einen unnatürlichen Tod bei Epilepsiekranken, besonders stark erhöht ist das Risiko für fatale Arzneiintoxikationen.
  • Bei Epilepsiepatienten mit einer Opioid- oder Psychopharmakatherapie besteht eine erhöhte Gefahr von Intoxikationen.
  • Einschränkung: Die Zahlen beruhen auf relativ wenigen Todesfällen.

Das Team um Gorton suchte in den beiden Datenbanken "Clinical Practice Research Datalink (CPRD)" sowie "Secure Anonymised Information Linkage (SAIL)" nach Epilepsiekranken, die zwischen 1998 und 2014 in die Datenbanken neu aufgenommen worden waren.

Auf diese Weise konnten sie das Schicksal von knapp 45.000 Epilepsiekranken aus der CPRD-Kohorte sowie 14.000 Betroffenen aus der SAIL-Datenbank nachvollziehen.

Dabei interessierten sie sich vor allem für Sterbefälle und die jeweiligen Todesursachen. Jedem Epilepsiekranken stellten sie 20 Personen ohne Epilepsie gegenüber. Die Kontrollgruppe bestand folglich aus rund 1,2 Millionen Briten ohne Epilepsie. Diese hatten jeweils das gleiche Geschlecht und waren im selben Jahr geboren, auch stammten die Daten aus jeweils derselben Arztpraxis wie die der zugehörigen Epilepsiepatienten.

Häufiger Drogenprobleme unter Epileptikern

Bei der Aufnahme in die Register waren die Personen im Schnitt 40 Jahre alt. Deutliche Unterschiede gab es bei den Begleiterkrankungen. Patienten mit Epilepsie hatten zu Beginn häufiger Drogenprobleme (6,7 versus 1,3 Prozent) und waren zwei- bis vierfach häufiger an psychischen Leiden wie Schizophrenie, bipolaren Störungen oder Persönlichkeitsstörungen erkrankt als die Teilnehmer in der Kontrollgruppe.

Entsprechend bekamen sie auch häufiger Psychopharmaka. Der Anteil der Teilnehmer, die im Laufe der Studie mindestens einmal ein Opioidrezept erhalten hatten, war sowohl bei den Epilepsiekranken (32 Prozent in CRPD, 47 Prozent in SAIL) als auch in der Kontrollgruppe (28 und 36 Prozent) relativ hoch.

Im Laufe der Nachbeobachtungsdauer von vier bis acht Jahren starben rund 15 Prozent der Epilepsiekranken – in der Kontrollgruppe lag der Anteil nur halb so hoch. An einem unnatürlichen Tod waren 271 Epilepsiekranke verstorben, das sind rund 0,5 Prozent. Bezogen auf 100.000 Personenjahre kamen 83 Epilepsiekranke durch einen unnatürlichen Tod ums Leben, 34 waren es in der Kontrollgruppe.

Berücksichtigten die Forscher Behinderungsgrad und sozioökonomische Faktoren, kamen sie bei Epilepsiekranken auf eine 2,6-fach höhere Sterberate insgesamt und eine 2,7-fach höhere Rate für einen unnatürlichen Tod. Unfälle waren die Hauptursache dafür – sie führten bei Patienten mit Epilepsie rund dreifach häufiger als in der Kontrollgruppe zu einem frühen Tod, wobei Verkehrsunfälle nicht signifikant häufiger beobachtet wurden.

Gefahr: Medikamentenintoxikation

Auffallend war hingegen die fünffach erhöhte Rate für Sterbefälle durch versehentliche Medikamentenintoxikation – daran waren 32 der rund 59.000 Epilepsiepatienten verstorben. Ähnlich viele brachten sich gezielt mit Medikamenten um. Hier war die Rate etwa dreieinhalbfach höher als in der Allgemeinbevölkerung, die Suizidrate lag insgesamt etwa doppelt so hoch.

In der Summe war eine Medikamentenüberdosis bei 23 Prozent der verstorbenen Epilepsiekranken die Todesursache, aber nur bei elf Prozent der Todesfälle in der Kontrollgruppe.

Epilepsiekranke setzten im Wesentlichen auf ähnliche Medikamente wie die Kontrollgruppe: 56 Prozent der Medikamentenvergiftungen ließen sich auf Opioide zurückführen, 32 Prozent auf Psychopharmaka und nur zehn Prozent auf Antikonvulsiva. In der Kontrollgruppe betrugen die entsprechenden Anteile 47, 37 und 2,5 Prozent.

Als Konsequenz aus dem fünffach höheren Risiko für medikamentenbedingte Todesfälle sollten Ärzte bei Epilepsiepatienten die Toxizität der verordneten Arzneien besonders im Auge behalten, vor allem wenn sie Schmerzmittel und Psychopharmaka verordnen, schreiben Gorton und Mitarbeiter.

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