Pharmakologische Sinnfrage

Erhalten todkranke Patienten zu lange präventive Arzneien?

Präventiv wirkende Medikamente benötigen Zeit, bis sie ihren Nutzen entfalten – Zeit, die todkranke Patienten oft nicht mehr haben. Arzneimittel zur Prävention bekommen sie trotzdem verordnet, so eine Studie aus Schweden.

Dr. Robert BublakVon Dr. Robert Bublak Veröffentlicht:
Bei den untersuchten älteren Krebspatienten erhöhte sich die Zahl der verordneten Arzneimittel im letzten Lebensjahr im Mittel von 6,9 auf 10,1.

Bei den untersuchten älteren Krebspatienten erhöhte sich die Zahl der verordneten Arzneimittel im letzten Lebensjahr im Mittel von 6,9 auf 10,1.

© Sandor Kacso / stock.adobe.com

Das Wichtigste in Kürze

  • Frage: Wie lange bekommen sterbenskranke Krebspatienten präventiv wirkende Medikamente verordnet?
  • Antwort: Präventionsmedikamente werden bis in die letzte Lebensphase hinein verschrieben, ohne dass größere Chancen auf einen Nutzen dieser Maßnahme bestehen.
  • Bedeutung: Die Medikation von Patienten mit fortgeschrittenen Malignomen ist immer wieder auf ihren Sinn und möglichen Schaden zu prüfen.

STOCKHOLM. Die Altersentwicklung in den reichen Ländern bringt es mit sich, dass der größte Teil der krebsbedingten Mortalität auf Personen entfällt, die 70 Jahre oder älter sind. Menschen dieses Alters sind aber auch häufig polymorbid; 40 Prozent der Patienten ab 65 nehmen fünf Medikamente oder mehr ein.

Kommt noch eine Krebserkrankung mit den dagegen verordneten Arzneimitteln hinzu, wird das Risiko für schwerwiegende Arzneiinteraktionen noch einmal deutlich gesteigert.

Pharmakologische Sinnfrage

Vor allem bei Patienten mit fortgeschrittenen Malignomen stellt sich die pharmakologische Sinnfrage, etwa wenn Präparate zur Prävention verordnet werden, deren Nutzen nicht mehr vor Ablauf der Restlebenszeit zu erwarten ist. Studien haben ergeben, dass beispielsweise lipidsenkende Medikamente bei älteren Patienten mit begrenzter Lebenserwartung ohne Nachteile abgesetzt werden können.

Auch der Verzicht auf Antihypertensiva ist auf kurze Sicht vertretbar, sofern keine kardiovaskulären Erkrankungen vorliegen. Andere Langzeitmedikamente wiederum, zum Beispiel Bisphosphonate, wirken nach dem Absetzen noch lange nach und müssen daher nicht bis zum Ende eingenommen werden.

Dennoch werden solche präventiv wirkenden Mittel sterbenskranken älteren Patienten noch im letzten Lebensjahr und in den letzten Lebenswochen verschrieben. Eine Studie, deren Ergebnisse Lucas Morin vom Karolinska-Institut in Stockholm zusammen mit Kollegen vorgelegt hat, bestätigt das erneut (Cancer 2019; online 25. März).

Morin und sein Team hatten die Medikationsdaten von mehr als 150.000 Patienten analysiert, die im Durchschnittsalter von 81 Jahren an Krebs gestorben waren. Im Mittel erhöhte sich die Zahl der verordneten Arzneimittel im letzten Lebensjahr von 6,9 auf 10,1. Präventive Medikamente wie Antihypertensiva, Plättchenaggregationshemmer, Antikoagulanzien, Statine und orale Antidiabetika wurden bis in die letzten Lebensmonate hinein verabreicht.

Fast ein Fünftel der Arzneikosten entfielen auf solche Medikamente, ohne dass ein nennenswerter Rückgang während der letzten zwölf Monate festzustellen gewesen wäre. Die Aufwendungen waren dabei für Patientinnen mit gynäkologischen Malignomen höher als für Krebskranke mit Pankreaskarzinomen oder Lungenkrebs.

Morin und Mitarbeiter sehen drei Hauptergebnisse ihrer Studie. Erstens zeige sie, dass ein substanzieller Anteil der älteren Patienten, die an soliden Krebstumoren sterben, noch in ihrer letzten Lebensphase Medikamente zur Prävention erhalten. Zweitens verursachten diese Medikamente rund ein Fünftel aller Kosten der verschriebenen Mittel. Und drittens gebe es bedeutende Unterschiede je nach Krebstyp, die sich nur teilweise mit dem Alter und der chronischen Multimorbidität der Betroffenen erklären ließen.

Schadensrisiko im Blick

Ziel müsse sein, die Last präventiver Mittel mit begrenztem Nutzen zu senken, so die Forscher weiter. Dazu schlagen sie vor, im Gespräch zu klären, ob die verschriebenen Medikamente den Versorgungsbedürfnissen der Patienten entsprechen. Die Ärzte müssten sich fragen, ob die eingesetzten Mittel ihren Zweck überhaupt noch in der Zeit erreichen können, die den Patienten bleibt. Und im An-, Fort- und Absetzen von Therapien müsse das Schadensrisiko für die Patienten explizit gewichtet werden.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Blase, Niere, Prostata

Konsum von Cannabis erhöht Risiko für urologischen Krebs

ED-SCLC

Durvalumab im Real-World-Vergleich

Sonderbericht | Beauftragt und finanziert durch: AstraZeneca GmbH, Hamburg

Forschung und Entwicklung

Wissenschaft in Medizin übertragen

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Regeneron GmbH, München
Das könnte Sie auch interessieren
Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

© Aleksandr | colourbox.de

Fatal verkannt

Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

© polkadot - stock.adobe.com

Vitamin-B12-Mangel

Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
B12-Mangel durch PPI & Metformin

© Pixel-Shot - stock.adobe.com

Achtung Vitamin-Falle

B12-Mangel durch PPI & Metformin

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Der Gesundheitsdialog

© Janssen-Cilag GmbH

J&J Open House

Der Gesundheitsdialog

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
Impulse für den medizinischen Fortschritt: Welches Mindset braucht Deutschland?

© Springer Medizin

Johnson & Johnson Open House-Veranstaltung am 26. Juni 2025 beim Hauptstadtkongress

Impulse für den medizinischen Fortschritt: Welches Mindset braucht Deutschland?

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
J&J Open House beim Hauptstadtkongress

© [M] Springer Medizin Verlag

Video zur Veranstaltung

J&J Open House beim Hauptstadtkongress

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Durvalumab im Real-World-Vergleich

© Springer Medizin Verlag

ED-SCLC

Durvalumab im Real-World-Vergleich

Sonderbericht | Beauftragt und finanziert durch: AstraZeneca GmbH, Hamburg
Wissenschaft in Medizin übertragen

© Regeneron

Forschung und Entwicklung

Wissenschaft in Medizin übertragen

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Regeneron GmbH, München
Abb. 1: Finale Analyse der SPOTLIGHT-Studie zum fortgeschrittenen, Claudin-18.2-positiven und HER2-negativen Adenokarzinom des Magens/AEG: Gesamtüberleben (PPS-Population)

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [8]

Adenokarzinom des Magens/gastroösophagealen Übergangs

Zolbetuximab: Standardtherapie bei CLDN18.2+/HER2− Magenkarzinomen

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Astellas Pharma GmbH, München
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Übersichtsarbeit zu Grippeimpfstoffen

Influenza-Vakzinen im Vergleich: Nutzen und Risiken

Lesetipps
Sieht lecker aus und schmeckt — doch die in Fertigprodukten oft enthaltenen Emulgatoren wirken proinflammatorisch. Ein No-Go für Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen.

© mit KI generiert / manazil / stock.adobe.com

Emulgatoren in Fertigprodukten

Hilfreich bei Morbus Crohn: Speiseeis & Co. raus aus dem Speiseplan!