Welt-Hepatitis-Tag

"Es steht ein dramatischer Therapiewandel bevor!"

Die Hepatitis-C-Therapie steht vor einem Umbruch, Hepatitis B gut behandelbar. Doch Deutschland hat ein ganz anderes Problem, erklärt der Gastroenterologe Professor Wedemeyer im Interview.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Zum Welt-Hepatitis-Tag gerät die Leber ins Blickfeld.

Zum Welt-Hepatitis-Tag gerät die Leber ins Blickfeld.

© Springer Verlag GmbH

Ärzte Zeitung: Professor Wedemeyer, im vergangenen Jahr hat die europäische Patientenorganisation ELPA* auf die in Europa schlechte Versorgungssituation von Menschen mit Virushepatitiden aufmerksam gemacht. Gute Noten haben vor allem die Franzosen und Slowenen erhalten. Können wir von ihnen etwas lernen?

Professor Heiner Wedemeyer: Ja, zum Beispiel, dass man Hepatitis-Kranke nur behandeln kann, wenn man sie vorher diagnostiziert hat. Wir wissen ja gar nicht, wie viele Hepatitis-Patienten es wirklich in Deutschland gibt!

Prof. Heiner Wedemeyer

Position: Leitender Oberarzt der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie an der Medizinischen Hochschule Hannover und wissenschaftlicher Koordinator der Deutschen Leberstiftung.

Werdegang: Studium der Medizin und Musikwissenschaften in Göttingen. Postgraduierten-Stipendium an den National Institutes of Health in Bethesda, USA. Klinische Schwerpunkttätigkeiten auf den Gebieten Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Transplantationsmedizin.

Karriere: Seit 2004 Leitung des Hepatitis-Diagnostiklabors der Medizinischen Hochschule Hannover. Von 2009 bis 2011 Generalsekretär der Europäischen Lebergesellschaft (EASL).

Seit 15 Jahren wissenschaftliche Auseinandersetzung mit klinischen, immunologischen und virologischen Fragen bei Virushepatitiden. Mehrfache Auszeichnungen für seine wissenschaftliche Tätigkeit.

In Frankreich wurde ab Ende der 1990er-Jahre praktisch jeder Patient, der zu einem Arzt ging, auf Hepatitis getestet. Ein systematisches Screening fordern wir von der Deutschen Leberstiftung und unsere Partner ebenfalls.

Die bisherigen Empfehlungen in Leitlinien zur Testung in Risikogruppen haben sich in der Praxis nicht bewährt, weil sie zu komplex sind. Was wir brauchen sind einfache, nachvollziehbare Hinweise: diesen Menschen muss ich testen, jenen nicht.

Deutschland hat unter anderem deswegen schlechter im ELPA-Ranking als die von Ihnen genannten Länder abgeschnitten, weil wir bislang keinen nationalen Strategieplan gegen Virushepatitis hatten.

Nun sind wir soweit. Acht Organisationen haben gemeinsam einen nationalen Strategieplan gegen Hepatitis für Deutschland erarbeitet.

Wo liegt denn die Quote der Unterdiagnostik in Deutschland?

Wedemeyer: Das ist ja das Groteske: Wir wissen es nicht! Was wir haben sind Schätzungen: Etwa 500.000 Menschen mit Hepatitis B und noch einmal so viele mit Hepatitis C. Risikogruppen sind dabei unzureichend erfasst, zum Beispiel Migranten, Gefängnisinsassen und Drogengebraucher.

Wir haben in Deutschland im Gegensatz zu andern Ländern kein Meldewesen, das uns genaue Auskunft über tatsächliche Neuerkrankungsraten geben könnte. Und bei neu diagnostizierten Hepatitis-C-Erkrankungen wird nicht unterschieden zwischen akuter und chronischer Infektion.

Warum fordern Sie und andere Experten gerade jetzt das Hepatitis-Screening?

Wedemeyer: Für die Hepatitis B gibt es seit einigen Jahren zugelassene Medikamente, die immer und bei jedem Patienten wirken und kaum Nebenwirkungen haben. Wir sind in der Lage, auch die Folgenkomplikationen wie Leberzellkrebs, Leberzelldekompensationen fast auf Null reduzieren.

Und bei Hepatitis C steht ein dramatischer Therapiewandel bevor! Mit der bisherigen Standardtherapie mit PEG-Interferon alpha (IFN) und Ribavirin haben wir nur einen Teil der Patienten heilen können, viele waren wegen Kontraindikationen gar nicht behandelbar.

Seit wenigen Wochen liegen erste Studienergebnisse aus Phase-III-Studien zu IFN-freien HCV-Therapien vor, im kommenden Jahr werden entsprechende Zulassungen erwartet.

Zahlreiche weitere neue Medikamente befinden sich in der letzten Phase der klinischen Entwicklung, so dass uns in zwei bis drei Jahren mehrere IFN-freie Therapieregime zur Verfügung stehen werden.

Deswegen lohnt es sich jetzt, auch auf Hepatitis C zu screenen, denn wir werden die Möglichkeit haben, diese chronisch kranken Patienten mit einer zeitlich begrenzten Therapie zu heilen.

Gilt das für alle HCV-Genotypen?

Wedemeyer: Die ersten IFN-freien Therapien werden 2014 zunächst für Genotypen 2/3 zur Verfügung stehen, für Genotyp 1 gibt es ebenfalls neue Substanzen, die in Kombination mit IFN zu deutlich verbesserten Ansprechraten von bislang weit über 80 Prozent geführt haben.

Zudem wird es im Vergleich zu heute verkürzte Therapieregime geben mit Ausheilungsraten von über 90 Prozent. Aber auch für Genotyp-1-Infektionen werden voraussichtlich in etwa zwei Jahren IFN-freie Therapieoptionen vorhanden sein.

Nun gehen medikamentöse Mehrfachkombinationen mit erhöhten Toxizitäten einher. Werden die Therapieregime jetzt noch differenzierter und komplexer?

Wedemeyer: Wir befinden uns in einer Übergangsphase, in der aktuelle Therapien tatsächlich recht kompliziert und mit zahlreichen Nebenwirkungen assoziiert sind. Das wird bereits im kommenden Jahr einfacher werden, die Komplexität der Behandlung wird zurückgehen.

Es wird auch deutlich verkürzte Therapieregime geben, etwa bei der HCV-Genotyp-3-Infektion mit einer Behandlungsdauer von nur drei Monaten für viele Patienten.

Wie sieht das in der praktischen Umsetzung aus?

Wedemeyer: Alle Beteiligten in Klinik und Niederlassung, Fachorganisationen wie Deutsche Leberstiftung, die DGVS** und Selbsthilfegruppen wie die Deutsche Leberhilfe arbeiten in Deutschland wirklich gut zusammen und sind hervorragend vernetzt.

Wir haben Strukturen aufgebaut, um insbesondere die Kollegen in der Primärversorgung zu unterstützen. Die Telefonsprechstunde der Leberstiftung für Patienten und Ärzte ist täglich von 14 bis 16 Uhr geschaltet.

Über einen E-Mail-Service können Ärzte komplexe Kasuistiken bei Experten vorstellen. Netzwerke niedergelassener Gastroenterologen arbeiten nach definierten Qualitätskriterien.

Kurz: Um die Versorgung der Hepatitis-Patienten in Deutschland mache ich mir keine Sorgen, wir müssen diese Patienten nur endlich einmal erfassen. Noch einmal: Es lohnt sich, jetzt auf Hepatitis zu testen!

Nicht zuletzt, weil wir gelernt haben, dass zum Beispiel Leberzirrhosen rückbildungsfähig sein können. Nach erfolgreicher Behandlung bei Hepatitis-B- oder -C-Infektion verschwinden zirrhotische Veränderungen wieder. Das hat viele überrascht und es ist wirklich beeindruckend, dies in der klinischen Praxis zu erleben.

*ELPA - European Liver Patients Association **DGVS - Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Alarmierender Anstieg: Hautpilz aus dem Barbershop

© David Pereiras | iStock (Symboldbild mit Fotomodell)

Dermatomykosen

Alarmierender Anstieg: Hautpilz aus dem Barbershop

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Effektive Therapie von Nagelpilz: Canesten® EXTRA Nagelset

© Irina Tiumentseva | iStock

Onychomykosen

Effektive Therapie von Nagelpilz: Canesten® EXTRA Nagelset

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Therapie

Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Medizinischer Infusions-Tropf mit buntem Hintergrund

© Trsakaoe / stock.adobe.com

Hochdosis-Therapie

Vitamin C bei Infektionen und Long-COVID

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Maximale Vitamin-C-Blutspiegel nach oraler (blau) und parenteraler (orange) Tagesdosis-Gabe.

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Infusion

Parenterale Gabe erzielt hohe Plasmakonzentrationen an Vitamin C

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Mirikizumab wirksam bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn

© Oleh / stock.adobe.com

Zielgerichtete Interleukin-23p19-Inhibition

Mirikizumab wirksam bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Lilly Deutschland GmbH, Bad Homburg v.d.H.
Multimodaler Ansatz zur Regeneration der Darmbarriere

© Steffen Kögler / stock.adobe.com

Reizdarmsyndrom und Nahrungsmittelunverträglichkeiten

Multimodaler Ansatz zur Regeneration der Darmbarriere

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MEDICE Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG, Iserlohn
Abb. 1: Symptomverbesserung unter Upadacitinib zu Woche 8 und 52

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [2]

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen

Erste Real-World-Daten bei Colitis ulcerosa und neue Langzeitdaten bei Morbus Crohn zu Upadacitinib

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: AbbVie Deutschland GmbH & Co. KG, Wiesbaden
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Für wen passt was?

Therapie mit Antidepressiva: Auf die Nebenwirkungen kommt es an

Übersichtsarbeit zu Grippeimpfstoffen

Influenza-Vakzinen im Vergleich: Nutzen und Risiken

Lesetipps
Eine MFA schaut auf den Terminkalender der Praxis.

© AndreaObzerova / Getty Images / iStockphoto

Terminservicestellen und Praxen

116117-Terminservice: Wie das Bereitstellen von TSS-Terminen reibungsloser klappt

Bei Grenzentscheidungen (z.B. kürzlich stattgehabte Operation) gelte es, Rücksprache mit der entsprechenden Fachdisziplin zu halten, betont Dr. Milani Deb-Chatterji.

© stockdevil / iStock

Eine schwierige Entscheidung

Schlaganfall: Das sind Grenzfälle der Thrombolyse