Gezielt fragen, differenziert behandeln

Unter chronischer Verstopfung verstehen Patienten etwas anderes als Ärzte. Will man erfolgreich behandeln, lohnt es sich, die verschiedenen Ursachen zu differenzieren.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Etwa ein Drittel der Patienten mit chronischer Obstipation leidet unter seltenen Entleerungen.

Etwa ein Drittel der Patienten mit chronischer Obstipation leidet unter seltenen Entleerungen.

© C. Bernfeld / fotolia.com

WIESBADEN. Ärzte - und übrigens auch Zulassungsbehörden für Arzneimittel - sind Frequenz-fixiert, wenn es um die Obstipation geht. Zu unrecht. "Die Stuhlkonsistenz spiegelt besser die Beschwerden der Patienten wider als die Stuhlfrequenz", sagte Dr. Viola Andresen vom Israelitischen Krankenhaus in Hamburg bei einer Veranstaltung in Wiesbaden. Starkes Pressen, harter Stuhl und unvollständige Entleerungen stehen für die Betroffenen im Vordergrund. Nur ein Drittel der Obstipationspatienten leidet unter seltenen Entleerungen.

Um zunächst eine gleiche Sprache mit dem Patienten zu finden, empfahl Andresen die spezielle Stuhlanamnese mit Hilfe eines Tagebuchs und der Bristol Stool Form Scale. Auf dieser Skala werden sieben Stuhltypen von harten, getrennten Klumpen bis zum flüssigen Stuhlgang aufgeführt; das Zutreffende soll angekreuzt werden. Manuelle Manöver, um sich zu entleeren, werden meist nicht spontan berichtet, man sollte gezielt danach fragen.

Verschiedene Ursachen, die im Einzelfall oft zusammenkommen, sind für chronische Obstipationen verantwortlich und stellen Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Behandlung dar. Zentral ist der verlangsamte gastrointestinale Transit des Stuhls. Häufig liege eine primäre Störung vor, so Andresen, allerdings müssen oft auch Medikamente oder bestehende Neuropathien, zum Beispiel bei Diabetes mellitus oder Morbus Parkinson, zumindest mit in Betracht gezogen werden.

Der harte Stuhl als weiterer Entstehungsmechanismus ist kaum untersucht. Die Annahme, er sei deshalb hart, weil der langsame Transport dazu führe, dass mehr Flüssigkeit als sonst dem Stuhl entzogen werde, ist offenbar nicht ganz richtig. "Es gibt Patienten mit normalem Transit, und sie haben dennoch fürchterlich harten Stuhl", sagte Andresen. Absorptions- und Sekretionsstörungen sind womöglich beteiligt.

Hinzu kommen drittens funktionelle oder strukturell bedingte Defäkationsprobleme. Dazu gehören Funktionsstörungen des Beckenbodens, bei denen der mechanische Ablauf der Defäkation gestört ist, oft bereits in jungen Jahren, oder es liegen Rektozelen, Enterozelen oder andere anatomische Veränderungen vor. Erwähnt werden muss schließlich noch die rektale Hyposensitivität. Manche Menschen leiden an einer sensomotorischen Dysfunktion des Rektums. Trotz vollem Rektum verspüren sie keinen Stuhldrang, der Defäkationsreiz fehlt.

Die meisten Patienten weisen eine funktionelle Obstipation oder ein Reizdarmsyndrom mit Obstipation auf. Andererseits sollten Grunderkrankungen ausgeschlossen werden, die die genannten Entstehungsmechanismen einer Obstipation auslösen können, zum Beispiel eine Hypothyreose, eine Neuropathie oder Stenosen im Zusammenhang mit Darmkrebs.

Therapeutisch kommen bei verlangsamtem Transit Laxanzien, Prokinetika wie das neue Prucaloprid (Resolor®) und Quellmittel infrage. Quellmittel, Faserstoffe und osmotische Laxanzien helfen, harten Stuhl weicher zu machen. Demnächst sollen zudem sekretionsfördernde Medikamente wie Lubiproston auf den Markt kommen.

Bei gestörter Defäkation muss man funktionelle Störungen unterscheiden, die mit Biofeedback behoben werden können, und strukturelle Störungen, die das chirurgische Behandlungsfeld betreffen. Bei rektaler Hyposensitivität sprechen nach Andresens Angaben Erkenntnisse dafür, dass spezielle Biofeedback-Maßnahmen erfolgreich sein können.

Eine Obstipation liegt vor, wenn wenigstens zwei der folgenden Symptome für mindestens drei Monate innerhalb des vergangenen halben Jahres vorliegen:

  • heftiges Pressen*
  • klumpige oder harte Stühle*
  • Gefühl der inkompletten Entleerung*
  • Gefühl der analen Blockierung*
  • manuelle Manöver zur Stuhlentleerung*
  • zwei oder weniger Entleerungen pro Woche
  • *bei mindestens einer von vier Defäkationen

Schlagworte:
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Vergleich mit offener Operation

Laparoskopische Ulkuschirurgie ist der Goldstandard

Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Mirikizumab wirksam bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn

© Oleh / stock.adobe.com

Zielgerichtete Interleukin-23p19-Inhibition

Mirikizumab wirksam bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Lilly Deutschland GmbH, Bad Homburg v.d.H.
Abb. 1: Finale Analyse der SPOTLIGHT-Studie zum fortgeschrittenen, Claudin-18.2-positiven und HER2-negativen Adenokarzinom des Magens/AEG: Gesamtüberleben (PPS-Population)

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [8]

Adenokarzinom des Magens/gastroösophagealen Übergangs

Zolbetuximab: Standardtherapie bei CLDN18.2+/HER2− Magenkarzinomen

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Astellas Pharma GmbH, München
Multimodaler Ansatz zur Regeneration der Darmbarriere

© Steffen Kögler / stock.adobe.com

Reizdarmsyndrom und Nahrungsmittelunverträglichkeiten

Multimodaler Ansatz zur Regeneration der Darmbarriere

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MEDICE Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG, Iserlohn
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Systematisches Review und Metaanalyse

Antidepressiva absetzen: Welche Strategie ist am wirksamsten?

„ÄrzteTag“-Podcast

Wie erkenne ich Schmerzen bei Menschen mit Demenz, Professorin Miriam Kunz?

Lesetipps
Übersichtsarbeit: Wie wirken Hochdosis-, rekombinante und mRNA-Vakzinen verglichen mit dem Standardimpfstoff?

© Sasa Visual / stock.adobe.com

Übersichtsarbeit zu Grippeimpfstoffen

Influenza-Vakzinen im Vergleich: Nutzen und Risiken

Serotoninkristalle, die ein Muster ergeben.

© Michael W. Davidson / Science Photo Library

Für wen passt was?

Therapie mit Antidepressiva: Auf die Nebenwirkungen kommt es an

Eine MFA schaut auf den Terminkalender der Praxis.

© AndreaObzerova / Getty Images / iStockphoto

Terminservicestellen und Praxen

116117-Terminservice: Wie das Bereitstellen von TSS-Terminen reibungsloser klappt