Homocystein und KHK - alles nur Täuschung?

Konträr zur gängigen Meinung sind erhöhte Homocystein-Spiegel in Wahrheit kein Risikofaktor für Koronarerkrankungen. Das behauptet jetzt eine internationale Forschergruppe. Sie vermuten bei den bisherigen Studien eine verzerrten Datenlage.

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Großes Fragezeichen: Hat Homocystein doch keinen Effekt auf das KHK-Risiko?

Großes Fragezeichen: Hat Homocystein doch keinen Effekt auf das KHK-Risiko?

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OXFORD (ob). Erhöhte Homocystein-Spiegel waren in Beobachtungsstudien mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen assoziiert.

Trotz deutlicher Senkung der Homocysteinspiegel durch Folsäure-Supplementierung gelang es in großen Interventionsstudien aber nicht, mittels dieser Präventionsstrategie die Inzidenz von kardiovaskulären Ereignissen zu reduzieren. Allerdings betrug die Beobachtungsdauer nur maximal fünf Jahre.

Hätte eine frühzeitiger begonnene (Primärprävention) und längerfristige Folsäure-Behandlung am Ende doch etwas gebracht, wie Kritiker vermuten?

Bei der Suche nach Antworten nehmen Forscher heute zunehmend auch die Hilfe von Experten für genetische Epidemiologie in Anspruch, die das Konzept der "Mendelschen Randomisierung" entwickelt haben.

Im konkreten Fall bedeutet das: Statt nach Homocysteinspiegeln stratifiziert man Personen nach bestimmten Genvarianten, die Einfluss auf die Homocystein-Spiegel haben, und untersucht die Assoziation dieser genetischen Merkmale mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Der Vorteil: Die Genmerkmale sind lebenslang vorhanden und unterliegen keiner Variation durch äußere Einflüsse.

Bislang unpublizierte Daten ausgewertet

Für den Homocystein-Stoffwechsel ist der sogenannte MTHFR-Polymorphismus C677T als Genveränderung von besonderer Bedeutung. MTHFR (Methylentetrahydrofolatreduktase) ist in Schlüsselenzym beim Abbau von Homocystein.

Seine Aktivität wird durch den C677T-Polymorphismus verringert. Homozygote Träger des C677T-Genotyps (TT-Genotyp) haben deshalb - im Falle niedriger Folsäurespiegel - höhere Homocysteinspiegel als Personen ohne entsprechenden Polymorphismus (CC-Genotyp).

Eine internationale Forschergruppe (MTHFR Studies Collaborative Group) hat jetzt in einer Metanalyse die Assoziation des MTHFR-Polymorphismus C677T mit dem Risiko für Koronarerkrankungen (KHK) untersucht (PLoS Med 2012; 9:e1001177).

Die Besonderheit dieser Analyse: Sie basiert ausschließlich auf Datensätzen aus bislang unpublizierten Studien, darunter vor allem Genomweite Assoziationsstudien (GWA), die erst in den letzten Jahren zunehmend durchgeführt worden sind.

Die Ergebnisse dieser Analyse wurden dann mit denen einer aktualisierten Metaanalyse publizierter Studiendaten verglichen.

Die Analyse der unpublizierten Daten stützt sich auf 19 Studien, in denen mehr als 48.000 KHK-Fälle und knapp 68.000 Kontrollen erfasst wurden.

Ergebnis: Bei homozygotem TT-Genotyp (also höheren Homocysteinspiegeln) war das KHK-Risiko nicht höher als bei homozygotem CC-Genotyp (also niedrigeren Homocysteinspiegeln), und zwar sowohl in der Gesamtpopulation (odds ratio, OR: 1,02) als auch in der Population ohne Folsäure-Anreicherung in Lebensmitteln (OR: 1.01).

Unterschiede für einen Zufall zu groß

Dieses Ergebnis steht in signifikantem Kontrast zum Ergebnis der aktualisierten Metaanalyse von 86 publizierten Studien mit insgesamt rund 28.600 KHK-Fällen und knapp 41.900 Kontrollen.

In dieser Analyse war der homozygote TT-Genotyp für den C677T-Polymorphismus mit einem um 15 Prozent höheren KHK-Risiko assoziiert. In den 14 größten Studien betrug die Risikoerhöhung 12 Prozent und in den 72 kleineren Studien 18 Prozent.

Für die Autoren ist das Kapitel Homocysteinämie und Folsäure-Supplementierung als Strategie zur KHK-Prävention damit endgültig abgeschlossen.

Sie vertrauen definitiv auf die durch ihre Metaanalyse unpublizierter Daten geschaffene Evidenz, die klar gegen ein KHK-Risiko durch lebenslang moderat erhöhte Homocysteinspiegel spreche.

Die Diskrepanz zwischen den Ergebnissen der Analysen publizierter und unpublizierter Studien sei zu groß, um als Zufallsprodukt durchgehen zu können, argumentieren die Autoren. Als mögliche Erklärung für die Diskrepanz bringen sie den "publication bias" ins Spiel.

Gemeint ist damit die statistische Verzerrung der wissenschaftlichen Datenlage als Folge einer bevorzugten Veröffentlichung von Studien mit "positiven" oder signifikanten Ergebnissen.

Solche Studien sind in Fachjournalen sind leichter zu publizieren als solche mit "negativen" oder nicht signifikanten Ergebnissen. Von dieser Verzerrung ist die Analyse der unpublizierten Studien natürlich nicht tangiert.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Letztes Kapitel der Homocystein-Story?

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