Masern

Impfziele wieder verfehlt

Deutschland wird auch bis 2015 nicht masernfrei, meint das RKI. Die Zahl der Betroffenen steigt. Und das, obwohl die Elimination von Masern mit der WHO vereinbart wurde. Das RKI fordert neue Impfprogramme.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Masern-Exanthem: 2013 wurden in Deutschland 1721 Erkrankungen gemeldet. Weltweit starben über 100.000 Kinder daran.

Masern-Exanthem: 2013 wurden in Deutschland 1721 Erkrankungen gemeldet. Weltweit starben über 100.000 Kinder daran.

© SPL / Agentur Focus

BERLIN. Seit 2006 ereignen sich in Deutschland alle zwei bis drei Jahre größere Masern-Ausbrüche von Masern, berichtet das RKI (Epi Bull 2013; 48: 485). Die Impfquoten sind zwar in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen und liegen bei ABC-Schützen in einem zufriedenstellenden Bereich.

Ein Erreichen des Eliminationsziels erscheint jedoch nur realistisch, wenn so schnell wie möglich Impflücken, insbesondere unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen, geschlossen werden.

Hierfür erscheint ein aufsuchendes Impfangebot in Kombination mit einer entsprechenden Informationskampagne das einzig Erfolg versprechende Konzept, betont das RKI in dem Bericht.

Nachdem 2012 nur 165 Masernfälle in Deutschland beim RKI registriert wurden, sind 2013 bis Ende Oktober bereits 1721 Masernfälle übermittelt worden. Mit Ausnahme des Saarlandes waren alle Bundesländer betroffen. Besonders viele Masernkranke gab es in Bayern (n = 787) und Berlin (488).

Aber auch Länder, in denen es bisher selten zu Masern-Ausbrüchen gekommen war, wie Brandenburg, Thüringen, Sachsen oder Sachsen-Anhalt, verzeichnen 2013 einen Anstieg von Masernfällen. Diese traten häufig in Großstädten wie Halle, Jena, Chemnitz oder Leipzig sowie im Berliner Umland auf.

Es setzt sich dabei weiter fort, dass die Patienten Masern in immer höherem Lebensalter bekommen: 39 Prozent der 2013 an Masern Erkrankten waren über 20 Jahre alt. Der Anteil der Masernfälle bei den unter 10-Jährigen ist von 55 (2001) auf 29 Prozent (2013) zurückgegangen.

Rund 9 Prozent der Erkrankten waren dieses Jahr sogar 40 Jahre oder älter. Das Problem: Da Masern sehr häufig als "Kinderkrankheit" wahrgenommen werden, werden sie bei Erwachsenen vielfach erst spät erkannt. Infektionsketten werden so erst spät auffällig und lassen sich dann nur schwer unterbrechen.

Keine Fortschritte bei Säuglingen

Besonders problematisch ist zudem, dass sich die Masern-Inzidenz bei Kindern im ersten Lebensjahr und bei einjährigen Kindern nicht mehr verringert. Dies hat mehrere Ursachen:

Es kann in der Regel erst ab einem Alter von 11 Monaten gegen Masern geimpft werden und dann erfolgen die beiden Impfungen auch häufig zu einem späteren Zeitpunkt als von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlen (vor Ende des 2. Lebensjahres).

Der Anteil der Mütter wächst, die ihren Säuglingen entweder gar keinen Nestschutz mitgeben können, da sie über keinerlei Immunität verfügen (Frauen ohne Impfung und ohne Masern-Anamnese).

Da geimpfte Mütter über niedrigere Antikörperspiegel verfügen als nach natürlicher Infektion, hält die Leihimmunität bei ihren Kindern auch im Mittel weniger lange an und kann so potenziell nicht mehr den Zeitraum von Geburt bis zur ersten Masern-Impfung voll überbrücken, insbesondere wenn diese zu spät verabreicht wird.

Durch steigende Impfquoten und einen selteneren Kontakt mit dem Wildvirus lässt der natürliche Boostereffekt bei den Müttern nach, was zu niedrigeren maternalen Antikörper-Titern bei Säuglingen beiträgt.

Die Folge: Unter Säuglingen ist es bislang noch nicht zu einer deutlichen Senkung der Masern-Inzidenz wie in den höheren Altersgruppen gekommen (2001: 147 pro 1 Mio. Säuglinge; 2013: 125 pro 1 Mio.).

Herdenschutz reicht nicht aus

Um dauerhaft auch einen Rückgang der Masern-Inzidenzen bei Säuglingen zu erreichen, bedarf es des Herdenschutzes durch eine ausreichend immune Umgebung.

Trotz der gestiegenen Impfquoten ist jedoch die Immunität in der Bevölkerung noch nicht ausreichend hoch, um einen vollständigen Herdenschutz für die Säuglinge zu gewährleisten.

Gerade bei Säuglingen und Kindern im ersten Lebensjahr ist die Gefahr von Komplikationen nach Masern-Erkrankungen je doch besonders hoch, diese Gruppe sollte somit besonders gut geschützt sein, betont das RKI.

So wird die Inzidenz der Subakuten Sklerosierenden Panenzephalitis (SSPE), einer seltenen, aber tödlich verlaufenden Erkrankung des Zentralen Nervensystems (ZNS), nach einer kürzlich vorgestellten Untersuchung mit 1:1.000 bis 1:5.000 Masern-Erkrankungen höher eingeschätzt als bisher angenommen.

Um einen ausreichenden Schutz für Kleinkinder aufzubauen, ist die zeitgerechte Impfung der Kinder ebenso essenziell wie die Nachholimpfung noch ungeschützter junger Erwachsener, die bei jungen Frauen möglichst vor Eintritt einer ersten Schwangerschaft erfolgt sein soll.

Anteil schwerer Verläufe steigt

Insgesamt verlaufen Masern in Deutschland offenbar zunehmen schwer: So stieg der Anteil der übermittelten Fälle, die aufgrund einer Masern-Infektion stationär aufgenommen wurden, von 9 Prozent im Jahr 2001 auf 29 Prozent im Jahr 2013 (Meldedaten des RKI), der Anteil der übermittelten Fälle mit einer Masern-assoziierten Komplikation wie zum Beispiel einer Pneumonie oder einer Mittelohrentzündung liegt allerdings konstant jährlich bei etwa 1 bis 2 Prozent.

Der Anteil der Hospitalisierungen unterscheidet sich in den verschiedenen Altersgruppen: Von den unter 2-Jährigen mussten aufgrund der Masern etwa 30 Prozent, von den 2- bis 19-Jährigen ca. 15 Prozent in einem Krankenhaus behandelt werden.

Ferner wurden etwa 43 Prozent der 20- bis 24-Jährigen und ca. 52 Prozent der 25- bis 39-Jährigen wegen Masern in einem Krankenhaus behandelt.

Der Anstieg der Hospitalisierungen kann somit auch mit der Verschiebung des Alters der an Masern Erkrankten seit 2001 erklärt werden. Das Risiko schwerwiegender Komplikationen ist bei Kindern unter fünf und bei Erwachsenen über 20 Jahren am höchsten.

Im Jahr 2013 waren von den 1486 Fällen mit bekanntem Impfstatus rund 85 Prozent (n = 1261) ungeimpft. Von 180 Fällen mit Angaben zur Anzahl der Impfung waren 73 Prozent (131) einmal geimpft und 27 Prozent (49) zweimal.

Von den 180 geimpften Masernkranken hatten jedoch ca. 37 Prozent (n = 67) die Impfung als (möglicherweise zu späte) Riegelungsimpfung zur Verhinderung einer weiteren Übertragung der Masern erhalten.

Die Daten belegen, dass in Deutschland Ausbrüche auf eine zu hohe Zahl von Ungeimpften zurückzuführen sind. Angesichts der altersspezifischen Masern-Inzidenzen ist insbesondere für 10- bis 20-jährige Jugendliche eine unzureichende Immunität anzunehmen.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Brauchen wir ein Masern-Impfprogramm?

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