Hohe Sterberate

Jeder Dritte mit Karotisstent ist nach zwei Jahren tot

Eine weitere Analyse stellt den Nutzen von Karotisstents infrage. Nach US-Registerdaten sind zwei Jahre nach dem Eingriff ein Drittel der Patienten gestorben. Die Gründe für die hohe Sterberate sind aber noch unklar.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Darstellung einer filiformen Stenose der Arteria carotis in der MRT-Angiografie.

Darstellung einer filiformen Stenose der Arteria carotis in der MRT-Angiografie.

© Arteria Photography

DURHAM. Spätestens seit den Daten der randomisiert-kontrollierten Interventionsstudie SAMMPRIS hat die Stenttherapie bei intrakraniellen Stenosen einen schweren Stand. In der Studie konnte das Stenting von Stenosen in großen Hirngefäßen Patienten nach TIA oder Stenose-bedingtem Schlaganfall nicht vor Rezidiven bewahren.

Ganz im Gegenteil: Schlaganfälle traten nach dem Stenting deutlich häufiger auf als bei einer alleinigen aggressiven medikamentösen Therapie. Vor allem in den ersten 30 Tagen waren die Unterschiede gewaltig.

Doch auch nach dem ersten Monat zeigte der Stent keine Vorteile: Die Raten von Schlaganfällen und Todesfällen blieben danach in beiden Therapiegruppen über fast drei Jahre hinweg gleich groß.

Was der Stent kann, schafft auch eine aggressive Plättchenhemmung, eine konsequente, Blutdruck- und Lipidsenkung sowie eine Änderung des Lebensstils. Das könnte man zumindest aus SAMMPRIS schließen.

An der Studie gab es jedoch immer wieder Kritik: Viele Patienten waren erstmals symptomatisch oder hatten gut ausgeprägte Kollateralen und erfüllten zumindest in Deutschland nicht die Kriterien für eine Stentimplantation.

Neurologen wie Professor Peter Ringleb vom Uniklinikum Heidelberg geben der Stenttherapie bei Gefäßverschlüssen im Gehirn daher weiter eine Chance, wenn die Stenose hämodynamisch relevant ist und trotz intensiver medikamentöser Therapie immer wieder Symptome verursacht.

Mortalität in klinischen Studien deutlich geringer

Ein anderer Kritikpunkt ist die Auswahl der Patienten in Studien wie SAMMPRIS. Dort werden viele Patienten aufgrund von Alter und Komorbiditäten ausgeschlossen. Letztlich ist also unklar, wie groß der Nutzen bei denjenigen ist, die unter Alltagsbedingungen einen Stent bekommen.

Registeranalysen können hier wertvolle ergänzende Informationen darüber liefern, was jenseits des oft engen Korsetts kontrollierter Studien in der Praxis geschieht.

Das haben sich auch Forscher um Jessica Jalbert vom Duke Clinical Research Institute in Durham, North Carolina, gedacht und eine verblüffende Entdeckung gemacht (JAMA Neurol 2015; ePub January 12): In der Praxis sind die Sterberaten nach der Verpflanzung von Karotisstents ein Vielfaches höher als in klinischen Studien, und diese Erkenntnis weckt erneut erhebliche Zweifel am Nutzen des Kathetereingriffs.

Die Wissenschaftler um Jalbert machten sich eine Datenbank des staatlichen US-Versicherers Medicare zunutze. Dort fanden sie Angaben zu mehr als 22.500 Patienten im Alter von über 65 Jahren, die sich zwischen den Jahren 2005 und 2009 einen Karotisstent einpflanzen ließen.

Von Interesse war für die Forscher vor allem die periprozedurale Sterberate in den ersten 30 Tagen, aber auch die Mortalität in den ersten beiden Jahren nach dem Eingriff.

Wie sich herausstellte, starben 1,7 Prozent der Patienten bereits noch in der Klinik oder in den ersten 30 Tagen nach dem Eingriff. 3,3 Prozent erlitten in dieser Zeit einen Schlaganfall oder eine TIA, 2,5 Prozent einen Herzinfarkt. Das sieht zunächst sehr gut aus, wenn man bedenkt, dass in SAMMPRIS über zehn Prozent im ersten Monate nach dem Eingriff einen Schlaganfall bekamen.

Verblüffende Studienergebnisse

Verstörender wirken jedoch die Angaben zwei Jahre nach der Stentimplantation. Von den Medicare-Patienten waren dann 32 Prozent tot. Dagegen war die Sterberate über drei Jahre hinweg in SAMMPRIS mit sechs Prozent deutlich niedriger.

In der Studie CREST, in der Stenting mit einer Endarteriektomie verglichen wurde, waren nach 2,5 Jahren elf Prozent gestorben, in SAPPHIRE (Stent versus Angioplastie) waren es 20 Prozent nach drei Jahren.

Noch erstaunlicher: In einer Studie aus dem Jahr 1984 hatten von Patienten mit TIA aufgrund einer Karotisstenose nach fünf Jahren nur 21 Prozent einen Herzinfarkt oder waren gestorben, beichtet der Neurologe Mark Alberts von der Universität in Dallas in einem Kommentar zur aktuellen Analyse.

Keiner dieser Patienten ist damals chirurgisch behandelt worden, noch hatten sie eine aggressive medikamentöse Therapie nach heutigen Standards erhalten.

Weshalb, so die sich aufdrängende Frage, haben Patienten mit Karotisstents heute eine deutlich schlechtere Prognose als weitgehend unbehandelte Stenose-Patienten vor 30 Jahren?

Hohes Alter erklärt einen Teil der Divergenzen

Einige Hinweise liefert ein detaillierter Blick in die Medicare-Daten. Im Schnitt waren die Patienten beim Eingriff 76 Jahre alt, das sind 16 Jahre mehr als in SAMMPRIS, sieben Jahre mehr als in CREST und dreieinhalb Jahre mehr als in SAPPHIRE. Zugleich hatten die Medicare-Patienten deutlich mehr Begleiterkrankungen als die Teilnehmer in den klinischen Studien.

Auffallend ist zudem, dass von den symptomatischen Stenose-Patienten nach zwei Jahren 37 Prozent gestorben waren, aber nur 28 Prozent der Patienten ohne symptomatische Stenose. Auch war ein Schlaganfall offenbar nur selten die Todesursache: Nur neun Prozent aller Medicare-Patienten mit Stents erlitten nach dem ersten Monat eine TIA oder einen Hirninfarkt.

Am höchsten war die Zwei-Jahres-Sterberate zwar bei den über 80-Jährigen (knapp 42 Prozent), doch letztlich überschritt sie bei allen symptomatischen Patienten im Alter von 75 und mehr Jahren die Marke von einem Drittel.

Gefäß behandelt - aber auch den Patienten?

Möglicherweise lässt sich die schlechte Prognose in der Praxis also mit einer Reihe unterschiedlicher Risikofaktoren wie hohes Alter, hoher Stenosegrad, und einer Vielzahl von Komorbiditäten erklären.

Dann aber, so schreiben Jalbert und Mitarbeiter, sei unklar, weshalb sich solche Patienten einem Eingriff mit hohem Komplikationsrisiko stellen sollen, wenn sie den Nutzen - ein Schutz vor Schlaganafall und TIA - aus anderen Gründen nicht mehr erleben.

"Wenn wir ein Gefäß behandeln, behandeln wir noch lange nicht den Patienten", schreibt auch Mark Alberts in seinem Kommentar. Der Neurologe warnt zudem davor, die hohe Sterberate nach dem Stenting alleine auf Risikofaktoren wie das Alter zu schieben. "Möglicherweise triggert der Eingriff eine Reihe von entzündlichen, proliferativen oder toxischen Prozessen, die letztlich kardiovaskuläre Ereignisse und den Tod beschleunigen."

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