Adipositas-Paradoxon

Koronarinterventionen vertragen Dicke besser als Dünne

Nach perkutaner Koronarintervention waren Übergewicht und Adipositas in einer Studie mit geringeren Sterberaten assoziiert. Die Gründe dafür sind unklar.

Dr. Robert BublakVon Dr. Robert Bublak Veröffentlicht:
Perkutane Koronarinterventionen: In einer britischen Studie hatten Übergewichtige im Jahr nach solchen Interventionen im Vergleich zu Normalgewichtigen ein um relative 30 Prozent niedrigeres Sterberisiko:

Perkutane Koronarinterventionen: In einer britischen Studie hatten Übergewichtige im Jahr nach solchen Interventionen im Vergleich zu Normalgewichtigen ein um relative 30 Prozent niedrigeres Sterberisiko:

© lom123 / Fotolia

STOKE-ON-TRENT. Der langen Geschichte vom Adipositas-Paradoxon haben britische Kardiologen ein weiteres Kapitel hinzugefügt. Darin steht: Übergewichtige haben im Vergleich zu Normalgewichtigen ein signifikant verringertes Sterberisiko nach einer perkutanen Koronarintervention.

Die Forscher um Dr. Eric Holroyd, Kardiologe an der Universitätsklinik der North Midlands in Stoke-on-Trent, haben dabei in einer Studie mit viel Fleiß Registerdaten von fast 350.000 Patienten ausgewertet, die sich von 2005 bis 2013 in einer Klinik des Vereinigten Königreichs (UK) einer Koronarintervention per Katheter unterzogen hatten (Am Coll Cardiol Intv 2017; 10: 1283).

Bezüglich des Body-Mass-Index (BMI) wurden drei Gruppen gebildet: <18,5; 18,5–24,9; 25–30; und > 30 kg/m2.

Übergewichtige mit niedrigeren Mortalitätsraten

Im Vergleich zur Referenzgruppe mit einem BMI zwischen 18,5 und 24,9 wiesen die Untergewichtigen durchweg höhere und die Übergewichtigen niedrigere Mortalitätsraten auf. Sie betrugen für die Mortalität ein Jahr nach dem Eingriff 14 Prozent (< 18,5), 6 Prozent (Referenzgruppe), 4 Prozent (BMI bis 30) und 3 Prozent.

Die Raten stiegen im Lauf der Zeit an, das Muster aber blieb erhalten. Nach fünf Jahren lagen die Anteile Gestorbener bei 53, 28, 20 und 19 Prozent.

Um nur ja keine Störgrößen zu übersehen, glichen Holroyd und Mitarbeiter ihre Berechnungen nach mehr als 20 Faktoren ab, darunter Alter, Geschlecht, Jahr des Eingriffs, Raucherstatus, aber auch diverse Parameter der Herzfunktion und kardial relevante Begleitkrankheiten.

Der paradoxe Schutzeffekt zu vieler Pfunde blieb dennoch erhalten, wenn er auch schwächer ausfiel als vor dem Abgleich. Nach einem Jahr war das Sterberisiko um relative rund 30 Prozent niedriger, nach fünf Jahren lag es relative 10 bis 20 Prozent niedriger.

Für die Untergewichtigen blieb die Mortalität während dieser ganzen Zeit bis ums Doppelte und darüber hinaus erhöht. Das Adipositas-Paradoxon trat im Übrigen auch unabhängig davon auf, ob die Intervention an den Kranzgefäßen in einer stabilen oder klinisch akuten Situation erfolgte.

Kein Paradoxon?

Hier mag man einwenden, das Paradoxon sei nicht paradox, weil Schlankere, wenn sie trotz Normalgewichts an den Kranzgefäßen erkrankten, im Allgemeinen schlimmer dran seien als dicke Menschen mit Koronarproblemen. Dem wissen Holroyd und Kollegen mit dem Hinweis auf die große Zahl von fast 90.000 Normalgewichtigen zu begegnen.

Das verdünne den Effekt schlechter Risiken, von denen wohl kaum die Mehrheit der Angehörigen dieser Gruppe betroffen gewesen sein dürfte. Völlig ausgeschlossen sind solche Einflüsse aber nicht.

Recht erklären, worauf das Adipositas-Paradoxon nach einer perkutanen Koronarintervention gründet, können die britischen Forscher ohnehin nicht. Sie ziehen zwar Ergebnisse von Tierversuchen heran, in denen dicke Ratten kleinere Infarkte gehabt hatten, womöglich aufgrund geringerer Reperfusionsschäden durch aktivierte protektive molekulare Signalwege.

Letztlich bleibt aber offen, worauf die angebliche paradoxe Assoziation von Übergewicht und geringerer Mortalität nach Koronareingriffen beruhen soll.

» Übergewicht ist nach den Daten vieler klinischer Studien ein Risikofaktor für viele Krankheiten wie Diabetes, Herzinsuffizienz, KHK, Schlaganfall oder Brustkrebs.

» Paradoxerweise hatten in einigen epidemiologischen Studien bereits kranke Menschen mit erhöhtem BMI offensichtlich eine höhere Lebenserwartung als Normalgewichtige.

» Hinweise darauf gibt es bei Herzinsuffizienz, KHK, Hypertonie, pAVK, Diabetes und chronischem Nierenversagen.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Adipositas-Paradoxon: Koronarinterventionen vertragen Dicke besser als Dünne

Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Führen den BVKJ: Tilo Radau (l.), Hauptgeschäftsführer, und Präsident Michael Hubmann im Berliner Büro des Verbands.

© Marco Urban für die Ärzte Zeitung

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch.

© Rolf Schulten

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System