Trotz Negativstudie
Kühlung nach Reanimation behält viele Freunde
Kühlen oder nicht kühlen, das ist hier die Frage. Trotz Negativstudie: Intensivmediziner plädieren unter deutschen Bedingungen für eine niedrige Zieltemperatur bei Patienten nach Reanimation außerhalb des Krankenhauses.
Veröffentlicht:LEIPZIG. Das Timing war schon ziemlich ungünstig: Nachdem zwei zeitgleich im New England Journal of Medicine veröffentlichte, randomisierte Studien im Jahr 2002 starke Argumente für eine temporäre Kühlung von Patienten nach Reanimation auf 32 bis 34 Grad Celsius geliefert hatten, darunter die viel zitierte HACA-Studie, dauerte es viele Jahre, bis sich das aufwändige Verfahren einigermaßen durchgesetzt hatte.
Kaum war es so weit, kam im Jahr 2015 die Nielsen-Studie, mit über 900 Patienten die größte randomisierte Studie zur Kühlung bisher. Die verglich eine Zieltemperatur von 33 mit einer von 36 Grad und fand keinen Unterschied.
Für Deutschland nicht repräsentativ
Die Leitlinien der ILCOR empfehlen seit 2015 vor diesem Hintergrund relativ vage eine Kühlung auf zwischen 32 und 36 Grad. "In Skandinavien ist mittlerweile eine weitere Studie geplant, bei der die Zieltemperatur in einem der Studienarme bei 37,5 Grad liegen soll. Die Frage lautet, ob eine Normothermie unter Vermeidung von Fieber nicht auch reicht", sagte Dr. Sebastian Wolfrum von der Interdisziplinären Notaufnahme des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) am Campus Lübeck.
Ganz glücklich sind die deutschen Intensivmediziner mit dieser Entwicklung nicht.
Privatdozent Dr. Jan-Thorsten Gräsner vom Institut für Rettungs- und Notfallmedizin am UKSH, Campus Kiel, betonte, dass die Nielsen-Studie deutliche Limitierungen habe. So hätten 90 Prozent der Herzstillstände in Gegenwart anderer stattgefunden, 73 Prozent der Patienten seien laienreanimiert worden, mehr als drei von vieren hatten Kammerflimmern, und die Zeit des Kreislaufstillstands lag im Mittel bei einer Minute. "Von diesen Werten sind wir in Deutschland weit entfernt. Die Nielsen-Studie lässt sich nur auf etwa sieben Prozent der deutschen Patienten übertragen", so Gräsner.
Der Notfallmediziner versuchte sich beim 17. Kongress der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) 2017 in Leipzig der Thematik pathophysiologisch zu nähern. Prinzipielles Ziel der Kühlung sei es, neurologische Defizite zu reduzieren. Werde der Kreislauf schnell wieder hergestellt, trete nur geringer neurologischer Schaden auf, und entsprechend schwierig sei der Nachweis eines Nutzens für die Kühlung.
Gräsner präsentierte Daten einer Metaanalyse, die auch dann noch eine Tendenz zu einer geringeren Mortalität bei Kühlung auf 33 Grad zeigte, wenn die Nielsen-Studie mit berücksichtigt wurde.
Vor diesem Hintergrund plädierten sowohl Gräsner als auch Wolfrum dafür, die in Deutschland mühsam etablierte Kühlung nicht wieder rückabzuwickeln. Entscheidend sei, dass Systeme zum Einsatz kämen, die eine gesteuerte Kühlung im Sinne eines Targeted Temperature Managements erlaubten. Dies könne sowohl mit modernen intravaskulären Kühlkathetern, als auch mit modernen Oberflächenkühlsystemen erreicht werden.
Trend zu schlechterem Outcome
Was passieren kann, wenn eine Einrichtung mit etablierter Kühlinfrastruktur die Zieltemperatur ad hoc von 33 Grad auf 36 Grad anhebt, zeigt eine kürzlich publizierte Vorher-Nachher-Studie der Monash University, Australien. Dort wurde die Umstellung unter anderem mit höheren Fieberraten und einem Trend zu einem schlechteren Patienten-Outcome erkauft. Die Umsetzung eines 36-Grad-Ziels sei nicht leicht zu erreichen und erfordere eine adäquate Sedierung und Muskelrelaxation, um Fieber zu vermeiden, so das Fazit der Autoren.
Nielsen-Studie
- Über 900 Patienten nahmen an der Nielsen-Studie aus dem Jahr 2015 zur Kühlung nach Reanimation teil.
- Verglichen wurde eine Zieltemperatur von 33 mit einer von 36 Grad. Einen Unterschied fanden die Autoren nicht.