Diabetes-Prävention

Mehr Respekt für die Ernährungsberatung!

An Diabetes erkranken jeden Tag in Deutschland etwa 1000 Menschen neu. Um diesen dramatischen Zuwachs zu bremsen, ist eine wirksame Prävention nötig. Die Beratung dazu wird aber häufig als banal erachtet und wenig wertgeschätzt.

Von Professor Stephan Martin Veröffentlicht:
Spielerische Erziehung zu gesunder Kost: Projekt TigerKids in Kindergärten.

Spielerische Erziehung zu gesunder Kost: Projekt TigerKids in Kindergärten.

© Stiftung Kindergesundheit

Drei aktuelle Beispiele aus ganz unterschiedlichen Bereichen verdeutlichen die geringe Wertschätzung von Ernährung und Ernährungsberatung in unserer Gesellschaft.

Erstens: Der regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), schlägt ein solidarisches Grundeinkommen für Hartz-IV-Empfänger vor, die im Gegenzug freiwillig gemeinnützige Tätigkeiten ausführen sollen.

Außer Hausmeisterdiensten in kommunalen Gebäuden oder Einkaufen für kranke Menschen könnten sie unter anderem auch andere Menschen zu gesunder und ausgewogener Ernährung beraten, listete der Politiker kürzlich auf.

Zweitens: Der Kabarettist Christian Ehring machte sich im März im Düsseldorfer "Kommödchen" über Forderungen von Prominenten nach Schulfächern wie ,Geld‘, ,Drogenkunde‘, ,Emotionen‘ oder ,Ernährung‘ lustig.

Drittens: Der Kölner Psychiater und Theologe Dr. Manfred Lütz stellte beim Katholikentag in Münster sein Buch vor mit dem Titel "Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitnesskult".

Jeder Neunte mit Diabetes

Gute Ernährungsberatung ist nicht banal und der Ruf danach weder überzogen noch unnötig. Das verdeutlichen die Zahlen der durch Fehlernährung verursachten Krankheiten.

So haben zum Beispiel bereits 11,5 Prozent der Versicherten der AOK Rheinland/Hamburg einen Diabetes mellitus und 90 Prozent davon den durch Übergewicht verursachten Typ-2-Diabetes, wie Anfang Mai bei einer Veranstaltung im Rathaus Essen berichtet worden ist.

In den USA sind die Gesundheitsausgaben für Diabetes mellitus allein in den letzten fünf Jahren um über 25 Prozent angestiegen (Diabetes Care. 2018; 41: 917).

Die Hälfte der Kostenzunahme ist auf die steigende Prävalenz des Diabetes zurückzuführen. Auch für Deutschland muss man von ähnlichen Steigerungsraten ausgehen, obwohl es dazu bisher keine so verlässlichen Zahlen gibt.

Und nicht nur der Typ-2-Diabetes wird durch einen ungünstigen Lebensstil verursacht. Auch andere Erkrankungen wie arterielle Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen oder Arthrosen zählen dazu.

Und dagegen fällt der Gesellschaft bisher nur der medikamentöse Therapieweg oder der künstliche Gelenkersatz ein. Das Ausmaß der durch eine falsche Ernährung und einen inaktiven Lebensstil verursachten Leiden und Kosten ist immens.

Nach aktuellen Studiendaten sind bis zu 80 Prozent der Gesundheitsausgaben darauf zurückzuführen (Lancet. 2016; 388: 1311 und Obesity. 2017; 25: 1809).

Gute Beratung erfordert lange Ausbildung

Der Politik sei daher gesagt, dass Ernährungsberatung eine dreijährige Ausbildung oder ein Hochschulstudium erfordert. Wer diese Tätigkeit Hartz-IV-Empfängern im Rahmen eines solidarischen Grundeinkommens übertragen will, zeigt seine fehlende Wertschätzung denen gegenüber, die in diesem Bereich tätig sind.

Das Kabarett hat die Aufgabe zu provozieren, es sei aber darauf hingewiesen, dass Ernährung ein etabliertes Schulfach ist. Allerdings wird es aufgrund der fehlenden gesellschaftlichen Akzeptanz nur noch in wenigen, meist konfessionellen Schulen angeboten.

Dem Psychiater und Theologen sei erwidert, dass es in der Tat eine kleine Gruppe von Menschen gibt, für die die Ernährung zur Religion geworden ist. Zahlenmäßig ist diese im Sprechzimmer des Psychiaters groß, in der Allgemeinbevölkerung dagegen verschwindend gering, sodass von Aktionen zur Förderung des Buchabsatzes falsche Botschaften für die Mehrheit ausgesendet werden.

Theologisch betrachtet ist nicht nur die Natur, sondern auch der menschliche Körper Gottes Schöpfung, die es zu bewahren und zu schützen gilt.

Aktuell gibt es keine Lösung für das Problem der dramatischen Zunahme übergewichtiger Menschen und den sich daraus entwickelnden gesundheitlichen Konsequenzen. Umso mehr benötigen wir Respekt und Wertschätzung denen gegenüber, die sich darum bemühen, den Menschen zu helfen, das Problem in den Griff zu bekommen.

Ihr Newsletter zum Thema
Lesen sie auch
Mehr zum Thema

Diabetische Notfälle

Ketoazidose: Wichtige Aspekte für die Praxis

DDG drängt auf Korrekturen

Klinikreform: Fachgesellschaft fürchtet Versorgungslücke bei Diabetes

Arzneien für Gewichtsverlust

Medikamentöse Maßnahmen bei Adipositas im Check

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Ibuprofen plus Paracetamol

Metaanalyse: Duale Medikation senkt Fieber von Kindern effektiv

Vertreterversammlung

KBV fordert kompletten Neustart in der Gesundheitspolitik

cVDPV2 im Abwasser

Erneut Polioviren in deutschen Städten gemeldet

Lesetipps
Frau fässt sich an die Brust

© Maridav / stock.adobe.com

Interview zu den Leitlinien

Hausarzt zu Asthma: „Wir haben nichts gegen die Fixkombi, wir sind nur nicht so pauschal“

Seit Dezember 2023 regelhaft möglich in Deutschland: die Krankschreibung per Telefon.

© Christin Klose/dpa-tmn/picture alliance

Umfrage unter gut 1000 Beschäftigten

Jeder dritte Arbeitnehmer hat bereits Gebrauch von der Tele-AU gemacht

Eine gute Behandlungsqualität braucht vor allem auch gute Ausbildung. Dafür müssen aber die personellen Ressourcen in den Kliniken gegeben sein.

© Robert Kneschke / stock.adobe.com

Kolumne „Hörsaalgeflüster“

Klinikreform: Zwischen Bundesrat und Bettkante