Hirnforschung

Mikroglia bei Mann und Frau unterschiedlich

Mikroglia von männlichen Mäusen sind offenbar aktiver als die von weiblichen. Dafür sind sie aber auch schneller erschöpft.

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BERLIN. Mikroglia, die Immunzellen des Nervensystems, unterscheiden sich bei männlichen und weiblichen Mäusen.

Auf welche Besonderheiten sie jeweils gestoßen sind, berichten Forscher des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) in "Cell Reports" (2018; 24: 2773-2783).

Ihre Erkenntnisse könnten die Therapien neurologischer Erkrankungen verändern, heißt es in einer Mitteilung des MDC.

Das Forscherteam hat anhand von Hirnschnitten und isolierten Zellen die Struktur und Funktion der Mikroglia untersucht.

"Dabei stellte sich heraus, dass es in den Gehirnen männlicher Mäuse mehr Mikroglia gibt", wird Letztautorin Dr. Susanne Wolf zitiert. Gleichzeitig seien die Zellkörper der männlichen Immunzellen größer.

Mikroglia in "Hab-Acht-Stellung"

Zudem haben sie und ihr Team ermittelt, welche Gene in den Zellen jeweils aktiv sind und welche Proteine aus ihnen gebildet werden. "Wir sind dabei auf mehr als 1000 Gene und 300 bis 400 Proteine gestoßen, die bei den Geschlechtern unterschiedlich reguliert sind", sagt Wolf.

Viele von ihnen seien in der männlichen Mikroglia aktiver – etwa solche, die an der Herstellung von Abwehrmolekülen beteiligt seien.

Und alles deute darauf hin, dass die männlichen Zellen auch anders agierten als die weiblichen, berichtet die Forscherin: "Die Mikroglia männlicher Tiere ist in permanenter Hab-Acht-Stellung, immer bereit zuzuschlagen und für Ordnung zu sorgen."

Schon im Ruhezustand lasse sich beispielsweise an den Membranen der männlichen Zellen eine höhere Spannung nachweisen. Und auf der Zelloberfläche befänden sich mehr Proteine, die bei einer Entzündung T-Zellen, anlockten.

In einem weiteren Experiment versetzte das Team Mikroglia mit dem Botenstoff ATP, der etwa bei Verletzungen des Gehirns vom Körper vermehrt bereitgestellt wird.

Die männlichen Zellen reagierten dabei auf ATP sehr viel entschiedener als die weiblichen – unter anderem durch stärkere Ionenströme und eine erhöhte Produktion bestimmter Proteine, erläutert Wolf.

Reparaturgene aktiver

Allerdings seien männliche Mikroglia durch ihre ständige Alarmbereitschaft offenbar auch schneller erschöpft, sagt die Forscherin. "In den weiblichen Zellen sind Proteine und Gene, die für den Schutz der Zellen zuständig sind, zum Beispiel DNA-Reparaturgene, aktiver", erklärt sie. "In den männlichen Zellen hingegen sehen wir eine erhöhte Aktivität bei Genen, die den programmierten Zelltod einleiten."

Dass das "draufgängerische" Wesen der männlichen Mikroglia sich nicht in jedem Fall bezahlt macht, habe noch eine andere kürzlich in "Cell Reports" veröffentlichte Studie gezeigt, so das MDC.

"Die italienischen Forscherinnen und Forscher konnten nachweisen, dass die Zellen männlicher Mäuse mit einem künstlich ausgelösten Schlaganfall schlechter zurechtkommen als die Mikroglia weiblicher Tiere", berichtet Wolf. "Implantierte man in das Gehirn der Mäusemänner jedoch weibliche Immunzellen, waren die Folgen des Gefäßverschlusses auch bei diesen Nagern weniger drastisch."

Schon im Jahr 2010 hätten Forscher im Fachblatt "Nature" kritisiert, dass in neurowissenschaftlichen Studien viel mehr männliche als weibliche Tiere verwendet würden – und dass dies zu verzerrten Ergebnissen führen könne, so Erstautorin Dilansu Guneykaya.

"Unsere Studie bestätigt diese Vermutung nun ganz klar: Die Gehirne beider Geschlechter agieren sehr unterschiedlich." Dies sei für die weitere Erforschung neurologischer und insbesondere auch psychiatrischer Erkrankungen unumgänglich zu wissen.

Mehr Frauen als Männer erkranken an MS

"An der Universität Groningen, mit der wir eng zusammenarbeiten, gibt es bereits Pläne, unsere an Mäusen durchgeführten Experimente mit menschlichem Gehirnmaterial, das frisch Verstorbenen entnommen wird, zu wiederholen", berichtet Wolf.

Doch auch schon jetzt müsse man sich bei Patientenstudien, in denen neue Medikamente gegen neurologische Erkrankungen getestet würden, der Tatsache bewusst sein, dass die Gehirne von Männern und Frauen auf den gleichen Wirkstoff sehr unterschiedlich reagieren könnten.

"Auch bei der Häufigkeit neurologischer Leiden finden sich ja Differenzen zwischen den Geschlechtern", erinnert Wolf. So ist beispielsweise Autismus unter Jungen rund viermal so verbreitet wie unter Mädchen.

An Multipler Sklerose hingegen leiden rund doppelt so viele Frauen wie Männer. "Die Unterschiede sind da, werden aber bei der Behandlung noch nicht ausreichend berücksichtigt", sagt Wolf. Mit ihrer Studie wolle sie dazu beitragen, dass sich das künftig ändere. (eb)

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