HINTERGRUND

Neuer Clostridien-Stamm zerstört den Darm mit einem ungewöhnlich aggressiven Toxin-Cocktail

Veröffentlicht:

Von Philipp Grätzel von Grätz und Thomas Müller

Eigentlich ist Clostridium diffcile ein relativ harmloser Darmkeim - bei etwa drei Prozent aller Gesunden und bei 20 bis 40 Prozent der Klinikpatienten ist der Darm damit besiedelt. Doch jetzt sorgt eine neue Variante des Keims für Aufsehen.

In den USA und Kanada starben nach Daten einer Untersuchung alleine im Jahr 2004 mehrere hundert Menschen an einer Infektion mit dem neuen Clostridien-Stamm, der sich nach einer Antibiotika-Therapie übermäßig in ihrem Darm vermehrt hatte - und die Zahl solcher Todesfälle steigt (NEJM 353, 2005, 2433 und 2442).

Jetzt hat der Toxin-produzierende Keim auch den Sprung über den Atlantik geschafft: Etwa 25 Menschen sind in Großbritannien an einer Kolitis durch den Keim gestorben, und bei zwei Ausbrüchen in Kliniken in den Niederlanden gab es ebenfalls Todesfälle. Experten befürchten, der neue Stamm könnte nun bald in Deutschland auftauchen.

15 Prozent der alten Menschen sterben an der Clostridien-Kolitis

Charakteristisch für die Ausbrüche ist eine ungewöhnliche Häufung von pseudomembranösen Kolitiden in Kliniken - im Jahr 2004 erkrankten in der kanadischen Provinz Quebec 22 von 1000 Klinik-Patienten an Clostridien, die meisten an dem neuen, virulenten Stamm. Noch bedenklicher ist eine bis dato für die Krankheit nicht beschriebene Letalität - sie liegt bei insgesamt sieben Prozent der Erkrankten, bei älteren Menschen sind es sogar 15 Prozent.

Ursache dafür ist offenbar, daß der neue Stamm außer den Clostridien-Toxinen mit der Bezeichnung A und B, die die Darmschleimhaut schädigen, noch weitere Toxine produziert - und diese machen den Keim offenbar wesentlich virulenter als die bisher bekannten Stämme. Zudem produzierte der Keim in einer Untersuchung 16mal mehr Toxin A und 23mal mehr Toxin B als die bekannten Stämme (Lancet 366, 2005, 1079), und er ist resistent gegen einige Antibiotika, vor allem Fluorochinolone.

In den USA sind die Erreger inzwischen auch außerhalb von Kliniken nachgewiesen worden und haben dort zu schweren Erkrankungen geführt, berichteten vor kurzem die Centers for Disease Control (CDC) in Atlanta (Morbidity and Mortality Weekly Report 54, 2005, 1201).

So wurden aus vier US-Bundesstaaten zwischen Februar 2003 und Juni 2005 Erkrankungen bei insgesamt 33 Patienten gemeldet, die in den Monaten davor nicht in Kliniken waren. Acht der Patienten hatten in den drei Monaten vor Symptombeginn auch keine Antibiotika genommen.

Beschrieben wird etwa der Fall einer 31jährigen zuvor gesunden Schwangeren, die mit schwerem Durchfall in eine Klinik eingeliefert wurde und dort starb - trotz der Standardtherapie gegen Clostridien mit Metronidazol und einer Therapie mit dem Antibiotikum Vancomycin.

Aufgrund solcher Fälle fordern die CDC inzwischen auch niedergelassene Ärzte in den USA auf, bei Durchfallerkrankungen an eine Infektion mit Erregern des neuen virulenten Clostridien-Stamms zu denken.

Die Autoren der Arbeiten im NEJM stellen die Hypothese auf, daß ein vermehrter Gebrauch von Chinolonen bei Klinik-Infektionen zur Ausbreitung des neuen Stamms beigetragen habe. Professor Hartmut Lode von der Helios-Lungenklinik Heckshorn in Berlin ist da vorsichtiger: "Der Stamm ist auch in Kliniken beobachtet worden, in denen es keine massive Verwendung von Fluorochinolonen gab", so Lode zur "Ärzte Zeitung".

Daß die Gyrasehemmstoffe bei unüberlegtem Gebrauch zu einer Zunahme der Inzidenz von pseudomebranöser Kolitis führen könnten, ist die eine Sache. Das Auftreten des neuen, gegen Gyrasehemmstoffe resistenten Clostridien-Stamms könnte davon aber auch völlig unabhängig sein. Therapie-relevant ist die Chinolonresistenz ohnehin nicht, weil bei Clostridien-Kolitiden gar nicht mit Chinolonen behandelt wird.

Eines der neuen Toxine wurde auch in Deutschland entdeckt

Nach Angaben von Professor Manfred Kist vom Institut für Mikrobiologie der Universität Freiburg sollten auch Ärzte in Deutschland wachsam sein. Sein Institut beobachtet in Deutschland pseudomembranöse Kolitiden seit vier Jahren, und zwar als Teil einer Studie.

"Eines der in den USA beschriebenen neuen Toxine, die Ribosyltransferase, haben wir bei etwa zehn Prozent der typisierten Stämme nachgewiesen", sagte Kist zur "Ärzte Zeitung". Aber: Anders als in Nordamerika fiel in Deutschland keine erhöhte Virulenz des Erregers auf.

Der Grund könnte sein, daß die Clostridien, die in Deutschland Ribosyltransferase produzieren, nichts mit dem neuen Stamm aus Nordamerika zu tun haben. Um das endgültig zu klären, müßten die Stämme in Deutschland genetisch untersucht werden, was bisher noch nicht geschehen ist. Ob der neue Stamm also in Deutschland schon aufgetreten ist oder nicht, kann derzeit niemand verläßlich sagen.

"Der Nachweis ist sehr aufwendig", so Kist, dessen Institut die Funktion eines bundesweiten Konsiliarlabors für gastrointestinale Infektionen innehat. Außerdem sei es ihm trotz mehrfacher Briefe und Anfragen bisher nicht gelungen, einen Referenzstamm aus den USA oder Kanada zu bekommen. Für eine vergleichende genetische Untersuchung ist das aber die Grundvoraussetzung.



STICHWORT

Pseudomembranöse Kolitis

Der Verursacher der pseudomembranösen Kolitis, Clostridium difficile, ist ein normalerweise harmloser Bewohner des Dickdarms. Clostridien können sich stark vermehren, wenn die übrige Darmflora bei systemischer Antibiotikatherapie dezimiert wird. Fast alle Antibiotika können so indirekt das Wachstum des Keims begünstigen. Mit ihren Toxinen lösen Clostridien eine Kolitis aus, die unbehandelt tödlich verlaufen kann. Therapie der Wahl ist die orale Eradikation des Keims durch Metronidazol oder Vancomycin. Metronidazol-Resistenzen werden jetzt vermehrt beschrieben. (gvg)

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