Ohne ärztliche Beratung kann Sport Diabetikern mehr schaden als nützen

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Diabetiker sind häufig älter und übergewichtig, haben oft Bluthochdruck, KHK oder Gelenkbeschwerden. "Da kann man nicht einfach sagen, holen Sie sich einen Trainingsanzug und gehen Sie in den Nordic Walking Kurs", sagt Privatdozent Stephan Jacob, Ärztlicher Direktor der Albert-Schweitzer-Klinik in Königsfeld im Schwarzwald. Vor Beginn eines körperlichen Trainings müssen die Patienten vielmehr untersucht und beraten werden.

Jacob empfiehlt, bei jedem Diabetiker gelegentlich ein Belastungs-EKG zu machen und dabei vor allem auch auf den Blutdruck zu achten. "Da ist man häufig heftig überrascht, bei welch geringen Belastungsstufen die Leute schon extrem hohe Werte haben", sagt er dazu. Manche Patienten hätten zum Beispiel schon bei 25 Watt einen Blutdruck von 180 zu 100 mmHg.

"Da kann man sich leicht vorstellen, auf welche Werte der Druck steigt, wenn die Patienten versuchen, mit einer Walking-Gruppe Schritt zu halten." Deshalb sollte vor allem auch der Blutdruck gut eingestellt sein. Haben die Patienten dicke Oberarme, ist beim Messen auf angepaßte Manschetten zu achten, erinnert Jacob.

Wer außer Atem kommt, trainiert zu intensiv

Wenn sich die Patienten körperlich bewegen, sollten sie sich dabei nur soweit anstrengen, daß sie sich noch gut unterhalten können. Trainiert werden sollte drei- bis fünfmal die Woche über 20 bis 60 Minuten (Hartmut Zwick, Bewegung als Therapie, Springer Verlag, S. 109).

Auch eine Pulsuhr ist für Patienten sinnvoll. Empfohlen wird ein moderates Training bei 50 bis 70 Prozent der Herzfrequenzreserve. Die Herzfrequenzreserve ist die Differenz zwischen der Ruheherzfrequenz und der Herzfrequenz bei maximaler Belastung (etwa auf dem Ergometer).

Die anzustrebende Trainingsherzfrequenz ergibt sich, wenn die Herzfrequenzreserve mit 0,7 multipliziert und das Resultat zur Ruheherzfrequenz addiert wird. Von früher empfohlenen Faustregeln zur Ermittlung der Trainingsherzfrequenz (etwa 180 minus Lebensalter) wird heute abgeraten. Sie können bei einzelnen Patienten falsche Rückschlüsse auf die Leistungsgrenzen zulassen und daher sogar gefährlich sein.



Herzfrequenzreserve

Diabetiker sollten mit 50 bis 70 Prozent der Herzfrequenzreserve trainieren. Die Herzfrequenzreserve läßt sich mit einem stufenförmigen Belastungstest auf dem Ergometer bestimmen (Herzfrequenzreserve = Differenz von Ruheherzfrequenz und Herzfrequenz bei maximaler Belastung). Die maximale Trainingsherzfrequenz ergibt sich, wenn die Herzfrequenzreserve mit 0,7 multipliziert und das Resultat zur Ruheherzfrequenz addiert wird.

Beispiel: Ein Patient hat eine Ruheherzfrequenz von 75 und eine maximale Herzfrequenz von 120. Die Herzfrequenzreserve ist also 45, mit 0,7 multipliziert ergibt sich 31,5. Addiert zur Ruheherzfrequenz (75) erhält man eine maximale Trainingsherzfrequenz von 106,5. Diese sollte (Pulsuhr-Kontrolle!) nicht überschritten werden.

"Bei kardialen Funktionseinschränkungen muß man sich sehr genau überlegen, welche Belastung ein Patient sich zutrauen kann", sagt Jacob weiter. Das Training sollte dann - zumindest am Anfang - am besten in einer Therapiegruppe und unter Überwachung erfolgen.

Treten etwa beim Belastungs-EKG pectanginöse Beschwerden oder ST-Streckenverlängerungen auf, dann sollte der Patient dringend kardiologisch abgeklärt werden. Jacob warnt davor, daß Diabetiker mit Neuropathie gelegentlich Angina-pectoris-Beschwerden nicht wahrnehmen (stille Ischämien).

Patienten mit Betablocker-Therapie sollten darauf hingewiesen werden, daß das Medikament die Herzfrequenz vermindert und die Leistungsfähigkeit herabsetzt. Werden Patienten neu auf eine Betablocker-Therapie eingestellt, dann sollte der Trainingspuls angepaßt werden (zum Beispiel 10 bis 20 Prozent niedriger als ohne eine solche Therapie). Besonders nicht-kardioselektive Betablocker können zudem bei einer Insulintherapie die Wahrnehmung der Hypoglykämie-Symptome erschweren.

Werden Diabetiker mit Insulin oder auch Sulfonylharnstoffen behandelt, müssen sie die Therapie an die körperliche Bewegung anpassen, um Unterzuckerungen zu vermeiden. Andere Antidiabetika wie Metformin, Acarbose oder Glitazone bergen die Gefahr von Hypoglykämien hingegen nicht.

Vor kürzeren sportlichen Aktivitäten (30 Minuten bei Insulin-Therapie oder 60 Minuten bei Sulfonylharnstoff-Therapie) reicht zur Hypoglykämie-Prophylaxe in der Regel die zusätzliche Aufnahme von Kohlenhydraten (etwa zwei Broteinheiten je 30 Minuten Sport) oder die Dosisreduktion aus.

Gerade bei Übergewichtigen gilt es zu beachten, daß eher die Dosis des blutzuckersenkenden Medikaments reduziert und nicht unbedingt zusätzlich Energie zugeführt wird. Die Extrakalorien machen sonst den positiven Effekt der Bewegung auf das Gewicht oft wieder wett.

Kündigen sich beim Sport Hypoglykämien etwa durch Heißhunger, Schwindel, Zittern, Koordinationsverlust oder auch durch Blutzuckerwerte unter 80 mg/dl an, dann lassen sich die Symptome meist durch rasche Aufnahme von Traubenzucker beheben. Bei bewußtlosen Patienten ist es am sinnvollsten, Glukose parenteral zu geben. Alternativ kann Glukagon intramuskulär oder subkutan gespritzt werden (Notfallset!).

Um individuelle optimale Insulin-Dosen für den Sport herauszubekommen, müssen Patienten selbst Erfahrungen sammeln. Sie sollten dazu die Insulindosen und Blutzuckerwerte zusammen mit der Art und Intensität der körperlichen Bewegung dokumentieren und gegebenenfalls mit einem Diabetologen besprechen.

Die Menge des injizierten Hormons vor dem Training muß behutsam reduziert und unmittelbar vor dem Training der Blutzucker gemessen werden. Gut geeignet für den Sport sind Werte zwischen 150 und 250 mg/dl, bei niedrigeren Werten sollten noch ein bis zwei Broteinheiten gegessen werden.

Nach Sport ist der Blutzucker verstärkt zu kontrollieren

Kommt es beim Sport zu starken Blutzuckerschwankungen, ist unter anderem auch die Injektionsstelle des Insulins zu überprüfen. Wird das Hormon in Muskeln gespritzt, die beim Sport stark beansprucht werden, kann es durch die verstärkte Durchblutung nämlich beschleunigt resorbiert werden.

Auch nach dem Sport ist der Blutzucker verstärkt zu kontrollieren. Muskeln und Leber entziehen dem Blut nämlich über längere Zeit Glukose, bis die Glykogenspeicher wieder aufgefüllt sind. Dieser Muskelauffülleffekt dauert nach mäßigem Training bis zu zwölf Stunden, nach extremen Ausdauerbelastungen sogar mehrere Tage. Die Insulin-Dosis ist in dieser Zeit maßvoll zu reduzieren, vor allem, um nächtliche Hypoglykämien zu vermeiden. (eis)



Sportlichen Diabetikern ist eine Sandwich-Einlage zu empfehlen

"Sportschuhe für Diabetiker müssen guten Halt geben, das Fußlängsgewölbe stützen und die Ferse umfassen", so Dr. Gerhard Fleischner, Sportmediziner und Orthopäde aus Schliersee. Der Schuh sollte aber auch weich genug sein und keine Falten schlagen, wie das oft im Bereich der Schnürleiste der Fall ist. Nahtstellen, Lederkanten oder gar Metallösen sind Gift für Diabetiker-Füße. Die Zehen sollten vorne mindestens einen halben Zentimeter Raum haben. "Seitlich dagegen muß der Schuh schlüssig passen, sonst fängt der Fuß beim Laufen an zu rutschen", so Fleischner.

Er rät, Diabetikern eine Sporteinlage zu empfehlen, die optimalerweise vom Orthopädietechniker angefertigt wird. Denn eine Spätfolge bei Diabetes ist die Osteoarthritis, bei der das Fußgewölbe zusammensinkt. Sportschuhe hätten meist zu weiche Einlegesohlen, so Fleischner, konventionelle Sporteinlagen seien dagegen oberflächlich zu hart.

Empfehlenswert seien deshalb sogenannte Sandwich-Einlagen. Deren Oberfläche ist weich und der Unterbau stabilisiert das Fußlängsgewölbe. Wichtig: Die Einlage darf nicht im Vorfußbereich enden, sondern sollte von den Zehen bis zur Ferse reichen. Die Original-Einlage wird aus dem Schuh entfernt, die individuelle Einlage eingelegt. (eb)

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