Magensäureblocker

Schadet unkritische Einnahme dem Image der wirksamen Arznei?

Seit einiger Zeit häufen sich Negativschlagzeilen zu Protonenpumpenhemmern: Sie sollen das Risiko für Pneumonien, Darm-Infekte oder Demenz erhöhen. Experten warnen zu Recht, dass die Arzneien Opfer ihres eigenen Erfolges werden könnten.

Von Beate Schumacher Veröffentlicht:
Selbstmedikation: Oft werden PPI eingenommen, ohne dass eine Indikation besteht.

Selbstmedikation: Oft werden PPI eingenommen, ohne dass eine Indikation besteht.

© Syda Productions/Fotolia.com

Die Liste an Nebenwirkungen, die möglicherweise mit einer Protonenpumpenhemmer (PPI)-Langzeittherapie in Zusammenhang stehen, ist in jüngster Zeit mehrfach erweitert worden. In neueren Studien wurden unter anderem Assoziationen mit Herzinfarkten, Infektionen und sogar Demenzerkrankungen beobachtet. Zahlreiche Medien haben daraufhin vor den "unterschätzten Gefahren der Säureblocker" gewarnt. Trotz der Verdachtsmeldungen und der Schlagzeilen ist in den letzten Jahren beim PPI-Verbrauch ein stetiger Zuwachs zu verzeichnen. Im Jahr 2015 haben in Deutschland mehr als 13 Millionen Patienten einen PPI verordnet bekommen; hinzukam die Selbstmedikation, laut Apothekerverband wurden insgesamt 40 Millionen PPI-Packungen abgegeben. Wie passt das zusammen?

Generell gelten PPI als Medikamente mit sehr gutem Nutzen-Risiko-Verhältnis und einer geringen Nebenwirkungswahrscheinlichkeit. Für die kurzfristige Einnahme wird dies auch nicht angezweifelt. Lediglich für die Langzeitanwendung "mehren sich Hinweise, dass sie mehr Nebenwirkungen verursachen könnte als bislang bekannt", wie es in einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) heißt. Laut DGVS zählen zu den derzeit diskutierten Risiken vor allem Frakturen und Veränderungen der Darmflora. Anders als früher vermutet, fördert eine PPI-Dauertherapie zwar nicht die Entstehung einer Osteoporose, es besteht aber eine – nicht gut belegte – Assoziation mit einem erhöhten Frakturrisiko. Es gibt außerdem Hinweise, dass der Wegfall der Säurebarriere eine veränderte Zusammensetzung des Darmmikrobioms zur Folge hat. Das könnte auch der Grund dafür sein, dass in verschiedenen Untersuchungen eine Zunahme von Darminfektionen unter anderem mit Clostridium difficile festgestellt wurde. Die DGVS weist aber darauf hin, dass die Studienlage dazu widersprüchlich ist. Für Intensivpatienten scheint ein Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für C.-difficile-Infektionen belegt. Ansonsten ist letztlich nicht geklärt, ob die PPI-Therapie tatsächlich einen Risikofaktor oder nur einen Marker für besonders schwere Begleiterkrankungen darstellt.

"Es wurden viele Schweine durchs Dorf gejagt"

Auch die unter den Säureblockern beobachtete höhere Rate von Pneumonien ist möglicherweise nicht auf die Therapie, sondern auf damit verbundene Faktoren wie höheres Alter oder schlechteren Gesundheitszustand zurückzuführen. Ähnliches scheint für Assoziationen mit Nierenversagen und Herzinfarkten sowie mit Demenzdiagnosen zu gelten. Bei den zugrunde liegenden Untersuchungen handelt es sich durchweg um epidemiologische Studien, die keine Kausalität belegen können und dem Risiko von Verzerrungen unterliegen. Der Gastroenterologe Professor Jürgen Pohl von der Asklepios-Klinik Altona warnt daher vor übereilten Schlüssen: "Es wurden schon viele Schweine durchs Dorf gejagt und mussten dann wieder eingefangen werden."

Wie gut das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer PPI-Dauertherapie zu beurteilen ist, hängt aber nicht nur von den möglichen Risiken, sondern auch vom zu erwartenden Nutzen ab. Und hier liegt ein Teil des Problems begraben. Die PPI-Verordnungen haben sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdreifacht. Experten zufolge ist das mit der Zunahme von Reflux- und Ulkuserkrankungen sowie NSAR-Dauertherapien nicht hinreichend zu erklären. Sie vermuten vielmehr, dass die säurehemmenden Medikamente, weil als praktisch nebenwirkungsfrei betrachtet, teilweise zu freizügig verordnet werden, etwa wenn dyspeptische Beschwerden bestehen oder die ursprüngliche Indikation, beispielsweise ein Stressulkus, längst beseitigt ist.

PPI-Einnahme nach zu reichhaltigem Essen

Von einer häufig nicht indikationsgemäßen Anwendung ist außerdem in der Selbstmedikation auszugehen. Offenbar werden PPI auch dann eingeworfen, wenn falsches und zu reichliches Essen für Unwohlsein sorgt. Abruptes Absetzen kann dann wegen einer überschießenden Magensäureproduktion zur dauerhaften PPI-Anwendung verleiten. Wenn es aber für den Nutzen einer PPI-Therapie keine Evidenz gibt, dann führen – bislang eventuell unterschätzte – Risiken zwangsläufig zu einer negativen Nutzen-Risiko-Bilanz.

Die jüngsten Hinweise auf mögliche bisher unerkannte Nebenwirkungen der PPI sind daher ein Weckruf. Sie sollten Anlass sein, "die recht unkritische Verschreibung und Einnahme von PPI zu überdenken", fordert DGVS-Pressesprecher Professor Christian Trautwein. Eine langfristige Anwendung sollte nur dann erfolgen, wenn die entsprechende Diagnose gesichert ist und auch noch Bestand hat. Nur so lässt sich vermeiden, dass das gute Nutzen-Risiko-Verhältnis der PPI beschädigt wird.

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Kommentare
Rudolf Hege 24.03.201709:35 Uhr

Verschreibungspflicht...

PPIs gehören (wieder) unter Verschreibungspflicht gestellt. Die Geschichte zeigt doch, dass gerade Medikamente, die schnell wirken immer missbraucht werden. Ob das Laudanum war, später Barbiturate oder Benzos - was "gut wirkt" wird schnell zur Sucht. Die Beschwerden einfach wegschlucken, ohne sich um die Ursachen Gedanken zu machen - oder gar diese anzugehen - ist nun mal bequem. Leider ist zu beobachten, dass auch Ärzte PPIs wie "Hustenguzel" verordnen - "Magenschutz" kann ja nichts Schlechtes sein...

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