Schmerz- und Palliativtag 2019

Schmerzmediziner wenden sich gegen „Leitlinien-Industrie“

Die Gesellschaft für Schmerzmedizin macht Front gegen Leitlinien, die zum „akademischen Selbstzweck“ geschrumpft seien.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Mehr Nähe zum Patienten und seinen individuellen Therapiebedürfnissen wagen – das ist ein Ziel der DGS.

Mehr Nähe zum Patienten und seinen individuellen Therapiebedürfnissen wagen – das ist ein Ziel der DGS.

© Worawut / stock.adobe.com

FRANKFURT/MAIN. Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) hat zum Kampf gegen die „Leitlinienindustrie“ aufgerufen. DGS-Präsident Dr. Johannes Horlemann äußerte am Donnerstag zum Auftakt des Deutschen Schmerz- und Palliativtags massive Kritik am bisherigen Umgang mit Leitlinien.

„Wir wollen von der Leitlinienkultur zurück zu einer ärztlichen Kunst, bei der Raum ist für Intuition – und auch für Irrationalität“, sagte Horlemann. Der diesjährige Kongress in Frankfurt steht unter dem Motto „Individualisierung statt Standardisierung.“

In einem Thesenpapier der DGS „zur ärztlichen Entscheidungsfindung in der Schmerzmedizin“ werden Leitlinien, die auf eine Vereinheitlichung ärztlicher Entscheidungsprozesse zielen, als „wertlos in der Versorgung“ bezeichnet.

Nötig sei es hingegen, eine Brücke zu schlagen zwischen individuellem Anspruch und wissenschaftlichem Standard. „Die Skepsis gegenüber Leitlinien, die allein auf randomisierten, klinischen Studien basieren, wächst“, stellte der DGS-Präsident fest. Die meisten Kollegen „fürchten Leitlinien – und das zu Recht“.

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Veröffentlicht: 08.03.2019

Mit größter Skepsis sieht die Fachgesellschaft Bestrebungen, im geplanten Arztinformationssystem Leitlinien direkt in die Praxissoftware der Vertragsärzte zu implantieren.

Denn im Versorgungsalltag würden verordnende Ärzte schon bisher bei jeder Abweichung vom Standard verunsichert und müssten ihre Entscheidungen rechtfertigen.

Das gelte vor allem mit Blick auf die bundesweit rund 3,4 Millionen Patienten mit schweren, chronischen Schmerzen. Denn diese würden in den bisher vorliegenden Leitlinien zu wenig abgebildet.

Gegensteuern will die Fachgesellschaft mit eigenen Praxisleitlinien, so zuletzt zum Einsatz von Cannabis in der Schmerzmedizin oder zur opioidinduzierten Obstipation.

Die Effekte der Versorgung will die DGS anhand von Daten aus eigenen Behandlungsregistern nachvollziehen. Ende 2014 hat die Fachgesellschaft dafür ein „iDocLive“ genanntes Onlinewerkzeug etabliert. Dort seien mittlerweile 223.000 Behandlungsfälle dokumentiert. 545 Ärzte und über 2200 Fachangestellte nutzen aktuell diese Online-Plattform.

Der zum 30. Mal veranstaltete Schmerztag widmet sich in einem Schwerpunkt der Versorgung von Kopfschmerzpatienten. Acht bis zwölf Prozent der Erwachsenen litten an Migräne, so DGS-Vizepräsidentin Dr. Astrid Gendolla. Nur vereinzelt gebe es Verträge mit Kassen, die eine multimodale Versorgung der Patienten ermöglichen.

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Veröffentlicht: 08.03.2019

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