Spiele und Gedichte wecken Erinnerungen

Elsa Schäfer× amüsiert sich königlich. Worüber, weiß nur sie allein. Die anderen lachen trotzdem mit. Dem Charme der alten Dame kann sich niemand am Tisch entziehen. Der Herr zu ihrer Linken kennt sie noch nicht, er ist heute das erste Mal dabei. Zunächst schaut er irritiert, als Elsa Schäfer seine Hand tätschelt wie einem guten alten Freund, dann schlägt die anfängliche Verlegenheit in Freude um. Die 87-Jährige hat soeben einen Freund gewonnen, aber das weiß sie nicht. Wie die anderen sieben älteren Leute im Raum auch, ist Elsa Schäfer an Demenz erkrankt.

Von Elke Spanner Veröffentlicht:

Jeden Dienstag trifft sich die Gruppe beim Betreuungskreis des Hamburger Roten Kreuzes. Die drei Stunden sind für die meisten die einzigen in der Woche, in denen sie das Haus verlassen und ihre Angehörigen einmal Zeit für sich haben. Diese Zeit ist wertvoll, für alle. Anstrengend ist sie auch. Denn die Rotkreuz-Helferinnen versuchen, mit unterschiedlichen Spielen alle Sinne der Demenzkranken anzusprechen.

Wolfgang Koch ist schon seit zwei Jahren regelmäßig zu Gast. Jeden Dienstag holt der Fahrdienst den 71-jährigen aus seiner Wohnung in Altona ab, in der seine Frau Ursula ihn rund um die Uhr betreut: Nachts begleitet sie ihn alle drei Stunden zur Toilette. Tagsüber wäscht sie ihn, zieht ihn an, kocht und füttert ihn. Wenn ihr Mann dienstags das Haus verlässt, ist für sie die Arbeit nicht vorbei, im Gegenteil: Jetzt muss sie alles erledigen, was sich die Woche über angestaut hat: Arztbesuche, Behördengänge, Einkaufen. Die übrige Zeit sitzt sie mit ihrem Mann in den eigenen vier Wänden fest. Ob sie nie erwogen hat, ihren Mann in ein Pflegeheim zu geben? "Nein", sagt Ursula Koch. "Ich habe mich schon um meine Eltern, meine Kinder und Enkel gekümmert. Ich schaffe auch das."

Menschen mit einer Demenz werden im Alter meist wieder zum Kind. Sie können oft nur noch die einfachsten Dinge und erinnern sich am besten an das, was sie früher erlebten. Daran knüpft die Demenzarbeit an. Nach dem gemeinsamen Frühstück liest Gruppenleiterin Elfriede Neumann Gedichte vor, die die meisten Kranken aus ihrer Kindheit kennen. "In der Generation, aus der unsere Gäste kommen, wurden in der Schule viele Gedichte auswendig gelernt", erklärt Neumann. "Manche können den Text jetzt noch mitsprechen." Die Erzählungen von Elsa Schäfer etwa sind für Außenstehende kaum verständlich. Die "Vogelhochzeit" aber singt sie mit. Und zwar richtig: Strophe um Strophe, Satz für Satz.

Ballspiele regen die Körperkoordination an

Wieviel Wolfgang Koch von seinen Erlebnissen beim Roten Kreuz mitbekommt, weiß man nicht. Nach zwei Schlaganfällen und einer Demenzerkrankung ist er zum Sprechen kaum mehr in der Lage. Koch kann auch nicht alleine aus dem Rollstuhl aufstehen. Waschen, Anziehen, Essen - nichts kann er mehr allein. Und doch schafft es Neumann, ihn zu sportlicher Betätigung zu bewegen. Sie wirft ihm einen roten Ball zu. Koch fängt ihn reflexartig auf und wirft sicher zurück. Dann stellt Neumann neun Kegel in den Kreis, den die Kranken mit ihren Betreuerinnen bilden. Alle haben zwei Würfe. Koch wirft sieben Kegel um.

Ehrenamtliche Helfer werden zuvor geschult

Neben den acht Demenzkranken sitzen sechs Helferinnen mit in der Runde, darunter fünf Ehrenamtliche. Diese werden in Schulungen auf ihre Aufgabe vorbereitet. Denn es ist nicht einfach, Mensch-ärgere-dich-nicht mit jemandem zu spielen, der nicht sagen kann, ob er die Regeln überhaupt noch kennt. "Man muss wissen, wie man die Kranken ansprechen kann und worauf sie reagieren", sagt Betreuerin Serena Schmidt. Ihre Kollegin Jutta Jahrestorfer sagt, dass man den Betroffenen "sehr viel geben kann und auch viel von ihm zurückbekommt". Die Freude der Helferinnen ist aufrichtig, wenn sie einen alten Menschen dafür loben, dass er einen Turm aus Bauklötzen aufgestellt hat. Oder sogar kurz das Tanzbein schwingt. Zum Abschluss des Gruppentreffens legt Neumann einen Wiener Walzer auf und bittet ihre Gäste reihum nacheinander zum Tanz. Nicht alle wollen. Doch wer sich zu einem Tanz ermuntern lässt, trifft auch den Takt. Auch Klara Stein×. Sie ist 101 Jahre alt.

Elsa Schäfer herzt wieder den Herrn, der zum ersten Mal bei der Demenzgruppe ist. Sie erzählt ihm von ihrem Enkel, den sie über alles liebt. "Das ist ein ganz Lieber", sagt sie gerührt. Der Herr an ihrer Seite antwortet: "Ich war auch mal sehr lieb." Alles lacht. "Das sind die Momente", sagt Gruppenleiterin Neumann, "für die sich die Arbeit immer wieder lohnt".

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