Trockene Form der Altersblindheit rückt in den Fokus

NEU-ISENBURG. Einer von fünf Menschen in Deutschland über 65 Jahre hat inzwischen eine Makuladegeneration (AMD), bis zu 90 Prozent von ihnen haben die trockene Form der AMD. Sie kann zu schweren Netzhautschäden führen. Derzeit wird in einer Studie geprüft, ob sich die Progression dieser AMD medikamentös aufhalten lässt.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:

Die häufigste Ursache für Sehbehinderungen im Alter ist in den Industrieländern die altersabhängige Makuladegeneration (AMD). Für Patienten mit feuchter AMD sind immer wieder neue Therapieoptionen entwickelt worden. Dagegen gibt es für die wesentlich häufigere trockene Variante bislang keine kausale Therapie. Das könnte sich jedoch in den nächsten Jahren ändern.

In Deutschland hat einer von fünf Menschen über 65 Jahre eine AMD, Tendenz steigend. Das retinale Pigmentepithel und die Fotosensoren der Makula (gelber Fleck) mit dem Ort des schärfsten Sehens in der Mitte gehen unter. Damit nimmt die zentrale Sehschärfe unter Umständen dramatisch ab, man kann nicht mehr lesen oder fernsehen, man erkennt keine Gesichter mehr, die Teilnahme am Straßenverkehr wird zum Problem. Das hat erhebliche Folgen für die sozialen Beziehungen.

Denn obwohl nicht vollständig blind - der große Rest der Netzhaut funktioniert ja noch, und das periphere Gesichtsfeld bleibt erhalten - sind die Patienten je nach Ausmaß der Erkrankung mitunter stark auf Hilfe angewiesen. Erfolgt keine Unterstützung, vereinsamen sie und bauen geistig ab.

Lipofuszin lagert sich in der Netzhaut ab

80 bis 90 Prozent aller AMD-Kranken haben die trockene Form der Erkrankung. Bei ihnen lagert sich - zunächst unbemerkt - zunehmend Zellmüll (Lipofuszin) in der Netzhaut ab. Bei Betrachtung des Augenhintergrundes erkennt man diese Stoffwechselendprodukte als gelbe Flecke, den Drusen. In der Folge sterben die Pigmentepithelzellen und Fotorezeptoren ab. "Das ist ein sehr langsamer degenerativer Prozess", sagt Privatdozent Dr. Carsten Meyer von der Augenklinik der Uni Bonn. "Es ist möglich, dass man mit trockener Makuladegeneration noch lange eine Sehkraft von 60 bis 70 Prozent haben kann", so Meyer zur "Ärzte Zeitung".

Nur etwa ein Fünftel dieser Veränderungen münden in die fortgeschrittene Form der trockenen AMD mit schweren Netzhautschäden - als geografische Atrophie bezeichnet - oder gehen in eine feuchte AMD über. Das heißt, es entwickeln sich sekundär neue Gefäße aus der Aderhaut. Im Unterschied zur trockenen kann bei der feuchten AMD die Sehleistung wegen des raschen Anschwellens der Netzhaut innerhalb weniger Wochen sehr schnell abnehmen, etwa von 70 auf 10 Prozent.

Eine echte Therapie für Patienten mit trockener AMD gibt es bislang nicht. Sinneszellen, die bereits verloren gegangen sind, können nicht ersetzt werden. Augenärzte versuchen in erster Linie das zu erhalten, was noch vorhanden ist und die Progression der Erkrankung aufzuhalten oder zu verlangsamen.

Erstmals wird jetzt in den USA eine Arznei geprüft, mit der die Zellatrophie bei trockener AMD günstig beeinflusst werden könnte. Fenretinide (4-Hydroxyphenylretinamid) ist ein synthetischer Abkömmling von All-trans-Retinol (Vitamin A1). Das Medikament kann als Kapsel eingenommen werden und senkt den Serum-Retinol-Spiegel. Retinol ist wesentlich an der Entstehung von Lipofuszin beteiligt. Dessen Anhäufung am Augenhintergrund ist per Fluoreszenz sichtbar.

Genau dies tun die US-Augenärzte derzeit. In einer Placebo-kontrollierten Phase-II-Studie mit voraussichtlich 300 Patienten mit trockener AMD, die derzeit in die Studie aufgenommen werden, schauen die Kollegen, inwiefern sich die Lipofuszin-Ansammlung innerhalb von zwei Jahren mindern lässt. Therapieziel ist also ein Stopp oder eine Verlangsamung der Degeneration.

Eine Erweiterung der Studie auf Europa ist geplant

Die Fundusautofluoreszenz-Bilder werden verblindet in Bonn ausgewertet, wo das Team um Professor Frank G. Holz viel Erfahrung mit der Methode hat. Eine Erweiterung der Studie auf Europa ist nach Angaben von Meyer geplant, ein Termin stehe noch nicht fest. Er glaube nicht, dass die Kapsel in den kommenden zwei Jahren in Europa für Studienzwecke verfügbar sein wird. Verlaufe alles nach Wunsch, sei jedoch die Markteinführung ab 2011 möglich.

Was kann man Patienten mit trockener AMD bis dahin empfehlen? Rauchen aufgeben, Blutdruck einstellen sowie gesund und vitaminreich ernähren, lautet die Antwort. Es gibt Hinweise darauf, dass Antioxidanzien positive Effekte haben. So sorgte vor sechs Jahren die US-Studie ARED (Age-related Eye Disease Study) für Aufsehen. 3600 Männer und Frauen im Alter zwischen 55 und 80 hatten sechs Jahre lang ein hoch dosiertes Vitamin/Zink-Präparat eingenommen (500 mg Vitamin C, 400 IE Vitamin E, 15 mg Beta-Carotin, 80 mg Zink, 2 mg Kupfer). Damit konnten zumindest bei Patienten mit bereits vielen oder großen Drusen und damit hohem Progressionsrisiko mehr fortgeschrittene AMD-Stadien verhindert werden als mit Placebo. Insgesamt waren die Effekte jedoch allenfalls moderat. Auch methodisch ist die Studie nicht unumstritten. Zu beachten ist, dass Beta-Carotin bei Rauchern und Ex-Rauchern das Lungen-Ca-Risiko erhöht. Zudem sollten mögliche Wechselwirkungen der Behandlung mit anderen Arzneien vor Therapiebeginn geklärt werden.

"Schauen Sie sich die Badezimmerkacheln an!"

Meyer rät vor allem zur Vorsorge. Wenn das Alter gekommen ist, in dem viele eine Lesebrille brauchen, sollte das Anlass für einen Augenarzt-Besuch sein, bei dem zugleich der Augenhintergrund beurteilt werden kann. Vor allem Drusen mit weichem, konfluierendem Aussehen neigen später zu einem Übergang in die feuchte AMD mit raschem Visusverlust. Meyer: "Ich sage den Patienten immer: Schauen Sie zu Hause auf ihre Badezimmer-Kacheln! Wenn diese sich anfangen zu verziehen, ist das ein Zeichen dafür, dass sich unter der Netzhaut Flüssigkeit ansammelt." Dann heißt es, möglichst rasch den Augenarzt aufzusuchen. Denn zumindest für Patienten mit feuchter AMD gibt es geprüfte Therapien.

Fast jede Augenklinik bietet im Internet Informationen zur Makuladegeneration an. Weitere nützliche Adressen: - www.dog.org - www.augen.de - www.uni-augenklinik.uni-bonn.de - www.onjoph.com - www.atlasophthalmology.com - www.nei.nih.gov/amd - www.nei.nih.gov/amd



Zeichen der Degeneration

Ab einem Alter von etwa 50 Jahren können erste Zeichen einer altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) auftreten, meist zunächst bei einem Auge. Dadurch werden die sehr langsam fortschreitenden Veränderungen von den Betroffenen oft nicht bemerkt oder als normal angesehen.

Die Lesefähigkeit nimmt ab, Linien werden verzerrt gesehen. Im Zentrum des Gesichtsfeldes bildet sich ein grauer Fleck, der mit der Zeit größer wird. Mit den Augen fixierte Gegenstände sind dann nicht mehr erkennbar. Diese Zustände können schwanken, sich zeitweise sogar verbessern.

Zur Kontrolle des Verzerrt-Sehens wird ein Amslernetz verwendet, also ein Gitter, dessen Linien bei AMD verzogen gesehen werden. Der Augenarzt prüft die Sehschärfe und stellt die Diagnose per Ophthalmografie. Damit sind Ablagerungen in der Netzhaut erkennbar. Außerdem nutzt er die Fluoreszenzangiografie zur Beurteilung der Netzhautgefäße. (ner)



Behandlungs-Optionen bei feuchter AMD

Bei einem kleinen Teil der Patienten mit trockener altersabhängiger Makuladegeneration (AMD) sprossen neue Gefäße in die Netzhaut ein (Neovaskularisation). Dabei kommt es zum Flüssigkeitsaustritt mit Anschwellen der Netzhaut, zum Makula-Ödem, oder auch zu Blutungen. Im Endstadium bilden sich in der Netzhautmitte Narben.

Die feuchte AMD liegt nach Angaben des Instituts für Gesundheits-System-Forschung in Kiel 60 bis 80 Prozent aller Erblindungen bei AMD zu Grunde. Dieses Risiko beträgt bei Patienten mit feuchter AMD etwa 1 zu 20 (Dtsch Ärztebl 97, 2000, A3273).

Augenärzte unterscheiden mehrere Subtypen der neovaskulären AMD und empfehlen dafür jeweils verschiedene Therapien. Dazu gehören:

  • Laserkoagulation
  • photodynamische Therapie (PDT) mit Verteporfin
  • intravitreale Injektion mit Triamcinolon vor oder nach PDT
  • intravitreale Injektion von Gefäß-Wachstumsfaktor-Hemmern (VEGF-Hemmer) wie Pegaptanib, Bevacizumab, Ranibizumab
  • lokale Injektion von Anecortave Acetat, einem Steroidderivat mit antiangiogenetischer Wirkung.

Ziel der Behandlung ist es, den Visusverlust aufzuhalten. Bisher ist vielfach unklar, wie lange diese teilweise sehr neuen Behandlungs-Optionen fortgesetzt werden sollten. Mikrochirurgische Behandlungs-Ansätze wie die Exzision neovaskulärer Membranen oder die autologe Pigmentepithel-Translokation müssen sich in Studien noch bewähren. (ner)

Aktuelle Empfehlungen können nachgelesen werden in: Klin Monatsbl Augenheilkd 223, 2006, 271. 

Schlagworte:
Mehr zum Thema

Innovationsfonds-Projekt

Die „kurzstationäre Allgemeinmedizin“ geht live

Aktion „Wir sind für Sie nah“

Mit neuer Kampagne will KBV Druck auf Politik erhöhen

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Umstellung auf Living Guideline

S3-Leitlinie zu Pankreaskrebs aktualisiert

Lesetipps
Gefangen in der Gedankenspirale: Personen mit Depressionen und übertriebenen Ängsten profitieren von Entropie-steigernden Wirkstoffen wie Psychedelika.

© Jacqueline Weber / stock.adobe.com

Jahrestagung Amerikanische Neurologen

Eine Frage der Entropie: Wie Psychedelika bei Depressionen wirken

Gesundheitsminister Lauterbach hat angekündigt, den Entwurf für die Klinikreform am 8. Mai im Kabinett beraten lassen zu wollen. 

© picture alliance / Geisler-Fotopress

Großes Reformpuzzle

So will Lauterbach den Krankenhaus-Sektor umbauen