HINTERGRUND

Trübe Stimmung trotz antidepressiver Therapie? Ein Gespräch kann Patienten oft weiterhelfen

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Bei etwa einem Drittel der depressiven Patienten bleibt die Stimmung trotz Therapie trübe. Das liegt jedoch nicht immer an einer mangelnden Wirksamkeit der Arzneien, sondern oft an einer schlechten Compliance. Und dafür sollte man nicht zwangsläufig die Patienten verantwortlich machen: Gerade bei Depressionen stehen oft Verständigungsprobleme zwischen Arzt und Patient einem Therapie-Erfolg im Wege. Wer diese Probleme kennt, kann sie meist einfach beheben.

Depressive berichten online über Erfahrungen mit Ärzten

Was Patienten mit depressiven Störungen beim Arztbesuch irritiert, was sie wissen möchten, aber oft nicht zu fragen wagen, das läßt sich in Online-Diskussionsforen im Internet nachlesen. Das vom Bundesforschungsministerium geförderte Kompetenznetz Depression und Suizidalität hat im Sommer 2000 ein solches Forum eingerichtet. Es umfaßt inzwischen mehr als 85 000 Beiträge und hat sich damit in kurzer Zeit zur größten deutschsprachigen Diskussionsplattform zum Thema Depression entwickelt: Mittlerweile treffen etwa hundert Mitteilungen täglich ein, an Wochenenden oft deutlich mehr.

Damit ist es auch eine der umfangreichsten Datenquellen mit Erfahrungsberichten von Patienten mit Depressionen überhaupt, berichtet Dr. Nico Niedermeier von der Praxisgemeinschaft für Psychotherapeutische Medizin und Psychotherapie in München. Gemeinsam mit dem Psychologen Tim Pfeiffer-Gerschel moderiert er das Internetforum.

Zusammen mit Kollegen von der Uni München hat Niedermeier jetzt die Daten von etwa 2600 aktiv schreibenden Patienten ausgewertet (Nervenheilkunde 2006, 5, 361). Der offene Kommunikationsstil sei eine einzigartige Gelegenheit, die Patientenperspektive ungefiltert mitzuerleben und daraus zu lernen, so die Autoren.

Viele suchen Ansprechpartner für Notsituationen

Ein Dauerbrenner unter den Problemen ist der Faktor Zeit. Immer wieder berichten die Forumsteilnehmer, daß sie - bevor sie überhaupt richtig im Behandlungszimmer angekommen sind und ihre Nervosität ablegen können - schon wieder entlassen werden, meist inklusive eines antidepressiven Medikamentes und einem Zettel für den nächsten Termin, der erst Wochen später stattfindet. Gelegentlich fehlt offenbar auch die Zeit, den Patienten die Diagnose mitzuteilen. "Die erste Psychiaterin verschrieb mir ein trizyklisches Antidepressivum, ohne überhaupt zu erwähnen, daß ich Depressionen hatte", so eine Schilderung im Patientenforum. Viele Patienten sehen sich nach den aus ihrer Sicht schnellen Begegnungen allein gelassen, erhalten keine Informationen zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen oder zu Ansprechpartnern für eine akute Notsituation.

Entscheidend für den Erfolg einer medikamentösen Behandlung sei aber, von Anfang an über potentielle unerwünschte Effekte wie initiale Übelkeit aufzuklären, so Niedermeier. Die Medikamenten-induzierten Beschwerden hätten für Arzt und Patient oft völlig verschiedene Dimensionen: Was für den Behandler in Kauf zu nehmen sei, habe für Patienten häufig größere Bedeutung als die Symptome der Depression selbst. Beispiele seien Übelkeit, sexuelle Dysfunktion oder Gewichtszunahme. Sinnvoll könne sein, Patienten dazu anzuregen, eine Liste von Fragen für den Arztbesuch vorzuformulieren, oder, wenn die Zeit dafür zu knapp ist, Literatur und eine Internetadresse wie die des Kompetenznetzes zu empfehlen.

Häufig aber wüßten Patienten, die erstmals den Arzt wegen Symptomen einer Depression konsultieren, noch gar nicht, ob sie überhaupt eine Behandlung brauchen und wollen, und wenn ja, welche. Wer glaubt, sein Stimmungstief hänge nur mit einem Beziehungsproblem zusammen, akzeptiere nicht unbedingt, daß der Arzt zu einem Psychopharmakon rate, resümieren die Forscher.

Widersprüchliche Konzepte verwirren die Patienten

Verwirrend für Patienten sei auch, wenn ein Arzt vor allem auf Psychotherapie setzt und ein anderer ihnen die Depression als neurobiologische Störung beschreibt, bei der nicht Psychotherapie, sondern Arzneimittel helfen. "Sinnvoller wäre es, verschiedene Behandlungsmöglichkeiten zu besprechen und deren Effektivität im individuellen Fall abzuwägen", so die Autoren.

Schließlich gelte es zu akzeptieren, daß auch ein optimales Behandlungskonzept nicht allen Menschen mit Depression helfen könne. Und schon gar nicht kann jeder Arzt jedem Patienten helfen.

Die Beiträge des Forums lassen sich nach Themen geordnet lesen. Die Adresse der Seite im Internet lautet: www.kompetenznetz-depression.de. Dann dort "Forum" anklicken.



FAZIT

Einige Menschen mit Depression fühlen sich von Ärzten falsch oder gar nicht verstanden. Sie beklagen, daß Ärzte sie zuwenig über Depression sowie erwünschte und unerwünschten Wirkungen von Antidepressiva aufklären. Kollegen können dem entgegenwirken, indem sie häufige Patienten-Fragen von sich aus thematisieren oder Patienten motivieren, vor dem nächsten Gespräch eine Liste mit Fragen zusammenzustellen. Auch der Verweis auf Ansprechpartner und Info-Adressen, etwa im Internet, kann hilfreich sein.

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