Viel lesen und schreiben schützt vor Alzheimer

Wer rastet, der rostet - das gilt auch fürs Gehirn. Den "Rost" bilden hier allerdings Proteinklumpen, die Hirnzellen zerstören. Das lässt sich aber offenbar verhindern - wenn man zeitlebens geistig aktiv ist.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Wer in jungen Jahren sein Gehirn anstrengt - beispielsweise beim Lesen - kann Alzheimer im Alter vorbeugen, glauben Forscher.

Wer in jungen Jahren sein Gehirn anstrengt - beispielsweise beim Lesen - kann Alzheimer im Alter vorbeugen, glauben Forscher.

© WavebreakMediaMicro / fotolia.com

MÜNCHEN. Nicht nur die Risiken für Herzinfarkt und das Schlaganfallrisiko stehen mit 45 Jahren weitgehend fest, sondern offenbar auch das Alzheimerrisiko: Wer schon in jungen Jahren lieber vor dem Fernseher abhängt, statt sich geistig und körperlich zu bewegen, bekommt es im Alter zurück.

Ihm verstopfen später nicht nur Cholesterinplaques die Gefäße, sondern ihm machen auch Amyloidplaques im Gehirn zu schaffen - und zwar schon lange, bevor sich ein Morbus Alzheimer bemerkbar macht.

Dafür liefern jetzt zwei unterschiedliche Studien mit Amyloid-Bildgebung deutliche Hinweise. Ein Trost: Wer viel liest, schreibt, sozial und geistig aktiv ist, kann auch die Bildung von Alzheimerplaques verhindern.

Gehirn kognitiv Gesunder mit PET untersucht

In einer der Studien konnten US-Forscher erstmals zeigen, dass die geistige Leistungsfähigkeit bereits bei völlig gesunden Menschen leidet, wenn sie überproportional viel Beta-Amyloid im Gehirn ablagern.

Ein Team um Dr. Karen Rodrigue aus Dallas in den USA hatte die Gehirne von 137 kognitiv gesunden Menschen im Alter von 30 bis 90 Jahren per Amyloid-PET untersucht (Neurology 2012; 78: 387-395).

Die Forscher verwendeten zum Nachweis der Amyloidplaques den Marker 18F-Florbetapir. Damit konnten sie zunächst zeigen, dass die Amyloidlast mit dem Alter weitgehend linear ansteigt.

Bei einigen der Probanden verklumpten die Proteine im Gehirn allerdings etwas schneller: Jeder Fünfte der über 60-Jährigen wies eine gesteigerte Amyloidablagerung auf, definiert als Wert jenseits des 95%-Konfidenzintervalls.

Besonders betroffen waren dabei Träger des Alzheimer-Risikoallels ApoE4: Sie fanden sich doppelt so häufig in der Gruppe mit den erhöhten Amyloidwerten wie bei Probanden ohne ApoE4.

In einem weiteren Schritt untersuchten die Wissenschaftler nun die kognitiven Fähigkeiten der Teilnehmer mit einer ganzen Batterie von neuropsychologischen Tests.

Viel Beta-Amyloid - schlechte Hirnleistung

Das Ergebnis: Beim Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnis, bei der Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung sowie beim logischen Denken schnitten Teilnehmer mit hoher Amyloidlast deutlich schlechter ab als gleich alte Probanden mit normalen Werten.

Dabei zeigte sich, dass diese Funktionen dosisabhängig umso schlechter waren, je mehr Amyloid in ihren Gehirnen bereits verklumpt war. Beim episodischen Gedächtnis und Langzeitgedächtnis gab es dagegen keine signifikanten Unterschiede.

Das Fazit der Autoren: Je mehr Amyloid sich ablagert, umso schlechter funktioniert das Gehirn. Der Übergang zu einer Alzheimererkrankung dürfte dabei fließend verlaufen.

Allerdings ist es nicht so, dass ab einem gewissen Alter automatisch die Amyloidlast so groß ist, dass das Gehirn darunter leidet. Zwar nimmt sie mit dem Alter linear zu, der Anstieg verläuft aber normalerweise recht flach.

Die Daten von Rodrigue zeigen vielmehr, dass bei einigen ab einem Alter von etwa 60 Jahren etwas anderes passiert: Bei ihnen beschleunigt sich der Anstieg dramatisch. Es lässt sich also zwischen einer geringen, altersbedingten Anhäufung von Amyloidplaques und einem pathologischen Prozess unterscheiden, der mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine Alzheimerdemenz mündet.

Und hier stellt sich nun die Frage, ob sich dieser Prozess beeinflussen lässt.

Zeitlebens geistig aktiv - wenig Amyloid im Alter

Hinweise darauf, dass jeder tatsächlich etwas tun kann, um seine Amyloidlast und damit sein Alzheimerrisiko gering zu halten, liefern Dr. Susan Landau und Mitarbeiter von der Universität in Berkeley, USA (Arch Neurol Epub 2012; online 23. Januar). Die Forscher haben die Lebensgeschichte von 65 gesunden älteren Personen (im Schnitt 76 Jahre alt) untersucht.

Sie fragten nach geistigen Aktivitäten wie Lesen, Schreiben, Spielen oder nach Bibliotheksbesuchen und ermittelten, wie viel Sport sie trieben. Die Angaben bezogen sich auf die Gegenwart sowie das Alter von 6, 12, 18 und 40 Jahren.

Dann untersuchten sie die Teilnehmer mit einer neuropsychologischen Testbatterie und bestimmten die Amyloidlast per PET. Als Kontrollen dienten dabei zehn Alzheimerpatienten sowie elf junge Teilnehmer (im Schnitt 24 Jahre alt).

Das erstaunliche Resultat: Wer das ganze Leben über geistig aktiv war, vor allem aber in jungen Jahren und im mittleren Alter, der hatte auch im Alter kaum erhöhte Amyloidwerte. Bei dem Drittel der Teilnehmer, die zeitlebens am meisten geistig aktiv waren, ließ sich sogar keinerlei Unterschied zu jungen Gehirnen feststellen.

Dagegen waren die Amyloidwerte bei dem Drittel mit der geringsten geistigen Aktivität schon gefährlich nahe an denen von Alzheimerpatienten. Auch hier zeigte sich, dass die Teilnehmer mit den höchsten Amyloidwerten in einigen Kognitionstests schlechter abschnitten.

Sport scheint keine Auswirkungen zu haben

Die Studie wirft somit ein völlig neues Licht auf die Beobachtung, dass geistig aktive Menschen seltener an Alzheimer erkranken. Bisher ging man davon aus, dass der Krankheitsprozess bei solchen Menschen zwar ähnlich verläuft wie bei allen anderen, die erhöhte Plastizität des Gehirns eine beginnende Alzheimererkrankung aber über längere Zeit kompensieren kann.

Die PET-Daten von Landau und Mitarbeitern deuten nun darauf, dass der Krankheitsprozess bei geistig Aktiven häufig gar nicht erst in Gang kommt. Viel lesen, schreiben und vermutlich jegliche Form geistiger Auseinandersetzung könnte also Alzheimer vorbeugen, und umgekehrt scheint geistige Trägheit Alzheimer zu begünstigen.

Überraschend war, dass Sport keine Auswirkung auf die Amyloid-Ablagerung zu haben schien, schließlich bekommen nach Daten epidemiologischer Studien auch körperlich Aktive seltener Alzheimer. Allerdings waren die geistig aktivsten Probanden zugleich auch am sportlichsten, sodass die beiden Faktoren nur schwer zu trennen sind.

Ein klarer Nachteil der Studie ist zudem, dass sie auf retrospektiven Befragungen fußt. Wer mit 75 Jahren noch kein Alzheimer hat und geistig fit ist, gibt vermutlich auch eher an, dass er zeitlebens sein Gehirn viel beschäftigt hat.

Aussagekräftiger wären daher Langzeitstudien, die in Abständen von einigen Jahren körperliche und geistige Aktivität, kognitive Funktion und Beta-Amyloidlast messen. Solche Studien laufen bereits, auf die Ergebnisse darf man gespannt sein.

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