Von wegen schlummernde Krankheiten

Viren im Kleinhirn lösen wohl Depressionen aus

Herpesvirus als Trigger psychiatrischer Krankheiten wie Depressionen und bipolare Krankheiten? Das legt eine neue Studie nahe – und das gilt auch, wenn sich die Erreger im "Schlafzustand" befinden.

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Schematische Darstellung eines Herpes-Virus. Verschiedene Varianten könnten Einfluss auf die psychische Gesundheit haben, so eine Studie.

Schematische Darstellung eines Herpes-Virus. Verschiedene Varianten könnten Einfluss auf die psychische Gesundheit haben, so eine Studie.

© luismmolina / Getty Images / iStock

WÜRZBURG. Purkinje-Zellen sind ein wichtiger Bestandteil des menschlichen Kleinhirns – dem Teil des Gehirns also, das in erster Linie für motorisches Lernen und die Feinsteuerung von Muskelspannung und Bewegungen zuständig ist, das aber auch Gefühle, Wahrnehmung, Gedächtnis und Sprache beeinflusst.

Wissenschaftler um Dr. Bhupesh Prusty vom Institut für Virologie und Immunbiologie der Universität Würzburg haben jetzt gemeinsam mit Kollegen in den USA eine überraschende Entdeckung in diesen Nervenzellen gemacht: Bei Patienten mit bipolaren und schweren depressiven Störungen fanden sie in Purkinje-Neuronen eine hohe Infektionsrate mit dem menschlichen Herpesvirus HHV-6 (Frontiers in Microbiology 2018; online im August).

Viren haben Einfuss auf Nerven- und Immunsystem

"Viren können die Entwicklung von Nervenzellen stören und die Interaktion mit dem Immunsystem in wichtigen Entwicklungsstadien behindern", erklärt Prusty in einer Mitteilung der Universität Würzburg. Wenn solch eine Infektion in der frühen Kindheit auftritt, geht sie zwar meist spurlos vorüber.

Allerdings verharren die Viren in verschiedenen Organen und Geweben, einschließlich ZNS und Speicheldrüsen, und werden unter bestimmten Umständen auch nach Jahren wieder aktiv.

Prusty und sein Team vermuteten, dass menschliche Herpesviren vom Typ HHV-6A und HHV-6B eine Schlüsselrolle bei der Entstehung psychiatrischer Störungen spielen könnten. Sie haben daher zwei der größten menschlichen Hirnbiopsie-Kohorten des Stanley Medical Research Institute (USA) unter die Lupe genommen und wurden fündig: "Wir konnten bei Patienten mit bipolaren und schweren depressiven Störungen eine erhöhte Rate von aktiven Infektionen mit humanen Herpesviren vorwiegend in Purkinje-Zellen des menschlichen Kleinhirns nachweisen", so Prusty.

Keine "schlafenden" Krankheiten

Das sei ein Hinweis, dass Viren des Typs HHV-6 Nervenzellen infizieren und möglicherweise kognitive Störungen verursachen können, die zu Stimmungsstörungen führen. Die Annahme, dass beim Menschen häufig vorkommende Viren, die unerkannt in Organen und Geweben "schlummern", nie für eine Krankheit verantwortlich sind, ist nach Ansicht der Wissenschaftler damit widerlegt.

"Studien, wie unsere aktuelle, beweisen, dass dieses Denken falsch ist", sagt Prusty. Passend dazu zeige eine andere aktuelle Studie, dass ein Zusammenhang zwischen einer Alzheimer-Erkrankung und humanen Herpesviren existiert.

In einem nächsten Schritt wollen die Würzburger Wissenschaftler nun den molekularen Mechanismus entschlüsseln, mit dem die Herpesviren Schäden an Purkinje-Neuronen verursachen. (eb)

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