Warum der Mond am Horizont so groß erscheint

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TÜBINGEN (ars). Das als Mondtäuschung bezeichnete Phänomen hat Menschen seit frühesten Zeiten fasziniert. Bereits seit dem siebten Jahrhundert vor Christi Geburt ist sie in griechischen und chinesischen Schriften dokumentiert, Aristoteles erwähnt sie im Jahr 350 vor Christus.

Die Täuschung besteht darin, daß der Mond am Horizont wesentlich größer erscheint als am Zenit, viele Menschen schätzen ihn sogar doppelt so groß. Für die Sonne gilt übrigens das gleiche, aber das fällt weniger auf, weil ja niemand direkt hinsehen kann. Die Größendifferenz geht - entgegen einer verbreiteten Annahme - nicht auf den Einfluß der Atmosphäre zurück, wie sich leicht nachweisen läßt, wenn man den Mond auf seiner Bahn fotografiert.

Bäume, Häuser oder Berge dienen als Anhaltspunkte

Nach Angaben von Professor Michael Bach lebt die Mondtäuschung vom Phänomen der Größenkonstanz im Kopf, die verhindert, das man sich entfernende Objekte als schrumpfend wahrnimmt: "Das Gehirn multipliziert die Bildgröße auf der Netzhaut mit der vermuteten Entfernung." Beurteilt man die Größe des Mondes am Horizont, dienen Bäume, Häuser oder Berge im Blickfeld als Anhaltspunkte.

Insofern hat die Größenkonstanz einige Informationen über den Abstand und kommt zu einer völlig anderen Einschätzung, als wenn der Mond ohne Vergleichsmöglichkeit hoch am Himmel steht. Schaut man jedoch durch ein Loch in einem Stück Papier, verschwindet der Unterschied, weil das Gehirn stets das Papier als Referenz benutzt.

Doch diese Erklärung ist zumindest unvollständig: Bekannte Vergleichsobjekte sind nicht der einzige Ursprung für die Täuschung. Denn es lassen sich ja selbst noch Wanderer auf einer Ebene, Seeleute auf offenem Meer oder Piloten hoch über den Wolken irreführen.

Zudem schwankt die Mondtäuschung stark von Mensch zu Mensch, weil man innere Maßstäbe nicht untereinander abgleichen kann. Es soll sogar Menschen geben, die überhaupt keinen Größenunterschied empfinden - ein Hinweis darauf, daß jedes Sehsystem Entfernungen individuell bestimmt. Dabei muß es sich ständig korrigieren, vor allem während des Wachstums in der Kindheit. Bach: "Das Leben eicht uns dauernd nach." Die Strecke zum Mond freilich entzieht sich jeder Normierung.

Die Größenkonstanz funktioniert zudem nur gut in Situationen, für die schon Seh-Erfahrungen vorliegen, ansonsten hängt sie vom Kontext ab. Beispiel: Von einem 30 Meter hohen Turm betrachtet sehen Fahrzeuge und Menschen so klein aus wie Spielzeugautos und Zwerge. Sähe man dieselben Objekte 30 Meter geradeaus vor sich, würden sie überhaupt nicht so erscheinen. Auf dem Turm jedoch springt die Größenkonstanz nicht an, weil der Blickwinkel so ungewohnt ist.

Ein weiteres Beispiel für die Kontextabhängigkeit des Sehens: Bückt man sich und guckt zwischen den Beinen durch, verschwindet die Mondtäuschung. Sehforscher deuten dieses Kuriosum so, daß derart verfremdete Dinge wie kopfstehende Berge nicht als Referenz taugen, um den Abstand des Mondes zu schätzen. Aber einerlei - die Berechnungen des Gehirns, ob zum Horizont oder zum Zenit, sind sowieso ein Irrtum.

"Wir müßten den Mond größer sehen, als er uns erscheint"

"Darin besteht sozusagen die Mondtäuschung der Zweiten Art: Wir müßten den Mond überhaupt viel größer sehen, als er uns tatsächlich erscheint", so Bach. Denn immerhin beträgt sein Durchmesser ein Drittel des Erddurchmessers. Insofern ist der Eindruck vom Horizont zwar massiv unterschätzt, aber immer noch wirklichkeitsgetreuer als der vom Zenit.

Obendrein tut sich fast jeder schwer mit einer simplen Frage: Wie groß, in Körperlängen gemessen, sieht man den Mond eigentlich? Antwort: Streckt man den Arm Richtung Himmel, bedeckt der Erdtrabant gerade den Nagel des kleinen Fingers.

Lesen Sie dazu auch: Neuer Erklärungsversuch für Sinnestäuschung

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