Interview

"Wer nicht beatmen kann, soll wenigstens drücken"

Jüngst wurden die neuen europäischen Reanimations-Leitlinien veröffentlicht. Im Interview mit der "Ärzte Zeitung" erklärt Dr. Dr. Burkhard Dirks, Vorsitzender des Deutschen Rates für Wiederbelebung die zwei Hauptbotschaften: Drücken ohne Pause und eine frühe Hypothermie.

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Rettungsassistenten bei der Herzdruckmassage: Drücken ohne Pause fordern die neuen Leitlinien.

Rettungsassistenten bei der Herzdruckmassage: Drücken ohne Pause fordern die neuen Leitlinien.

© Jochen Tack / imago

Ärzte Zeitung: Welche Änderungen gibt es in den neuen Leitlinien?

Dirks: Sowohl bei den Basis- als auch den erweiterten Maßnahmen ist die Herzdruckmassage das, was der Patient zuallererst benötigt. Sie muss gut sein und darf nur ganz kurz für dringende Maßnahmen unterbrochen werden.

Reanimations-Leitlinien



Gut heißt, sie muss mindestens 5 cm tief und mit einer Frequenz von mindestens 100 pro Minute ausgeführt werden. Nur dann besteht eine reelle Chance, einen ausreichenden Ersatzkreislauf aufzubauen.

Ärzte Zeitung: In den letzten Jahren ist der Eindruck entstanden: Beatmen? Brauchen wir nicht mehr!

Dirks: Die ideale Reanimation besteht natürlich aus Herzdruckmassage und zusätzlicher Beatmung im Verhältnis 30:2. Denn erstens liegt bei etwa 18 Prozent der Patienten keine primär herzbedingte Problematik vor, sondern zum Beispiel ein Ertrinkungsunfall mit einem Sauerstoffmangel.

Außerdem vergehen bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes im Mittel etwa zehn Minuten, die überbrückt werden müssen. Etwa nach fünf Minuten verfügt der Körper über keine ausreichenden Sauerstoffreserven mehr, da reicht die Herzdruckmassage nicht, auch wenn sie besser ist als nichts zu tun.

Das spricht für die Beatmung als Standardmaßnahme, besonders natürlich, wenn Sauerstoffmangel die Ursache des Notfalls war, wie zum Beispiel fast immer bei Kindern. Nur der Laie, der nicht beatmen kann, soll wenigstens drücken.

Ärzte Zeitung: Um das Ziel "Herzdruckmassage für jeden" zu erreichen, wird den Leitstellendisponenten eine zentrale Rolle zugewiesen.

Dr. Dr. Burkhard Dirks

"Wer nicht beatmen kann, soll wenigstens drücken"

© privat

Aktuelle Position:

Werdegang/Ausbildung:

Dirks: Sie sollen den Ersthelfer bestärken, mit der Reanimation zu beginnen. Denn das größte Problem ist, dass Ersthelfer oft nicht sicher sind, ob es sich um einen Kreislaufstillstand handelt. Man kann jemanden mit nicht indizierter Herzdruckmassage nicht vital schädigen. Die zweite wichtige Aufgabe ist es, dem Helfer gegebenenfalls kurz telefonische Anleitung zu geben, wie die Herzdruckmassage ausgeführt werden soll.

Ärzte Zeitung: Während der Elektrotherapie soll die Herzdruckmassage nur äußerst kurz unterbrochen werden, heißt es in der Leitlinie.

Dirks: Leider beschäftigen sich manche Ersthelfer lange mit dem automatischen Defibrillator (AED) und tun in der Zeit nichts am Patienten. Die Herzdruckmassage soll für die Defibrillation keine Sekunde unterbrochen werden, außer im Moment der Analyse des Geräts und während der Abgabe des Stromstoßes.

Daraus resultiert lediglich eine Unterbrechung von etwa fünf Sekunden. Für eine über zehn Sekunden andauernde Unterbrechung der Herzdruckmassage ist eine messbare Verschlechterung der Prognose nachgewiesen worden. Ein Problem in der Praxis ist, dass es sehr viele unterschiedliche Defibrillatoren mit sehr unterschiedlichen Stromverlaufskurven gibt.

Wir empfehlen bei manuellen Defis sich bei der ersten Defibrillation bezüglich der Energieeinstellung an die Herstellerangaben zu halten, ab der zweiten sollte man auf Maximalenergie gehen. Bei älteren AED mit den Anweisungen nach alten Leitlinien sollte man die neuen Leitlinien einspielen lassen.

Ärzte Zeitung: Sie kritisieren, dass in Kliniken das frühe Erkennen von Störungen der Vitalfunktionen nicht selbstverständlich sei ...

Dirks: ... es wird nach unserer Beobachtung zu spät nach dem Notfallteam gerufen. Manche Patienten weisen über Stunden eine schlechte Sauerstoffsättigung oder eine Tachypnoe auf, ohne dass daraus Konsequenzen gezogen werden.

Das liegt manchmal daran, dass für das Pflegepersonal nicht schnell genug ein Arzt greifbar ist oder auch an der fehlenden Wahrnehmung, einem nicht ausreichenden Monitoring der Patienten. Wir wünschen uns, dass in Kliniken Konzepte entwickelt werden, die dem Pflegepersonal verbindliche Kriterien an die Hand geben, wann ein Notfallteam gerufen werden muss.

Ärzte Zeitung: Sie und Ihre Kollegen beklagen außerdem eine mangelnde Verbreitung der Hypothermie-Behandlung nach Wiederherstellung des Spontankreislaufs.

Dirks: Diese Chance wird in der Tat zu wenig wahrgenommen. Von sechs reanimierten Patienten, die man mit einer milden Hypothermie behandelt, kann einer neurologisch intakt überleben. Ein so gutes Verhältnis findet man bei kaum einer Therapie. Daher ist es grob falsch, wenn man dies unterlässt. Auch eine Koronarangiographie bei Myokardinfarkt-Patienten braucht die Kühlung nicht verhindern.

Ärzte Zeitung: Wie und wann soll denn die Hypothermie-Behandlung eingeleitet werden?

Dirks: Die Evidenz ist gut genug, um sagen zu können: Kühlt jeden, der nach einer Reanimation bewusstlos bleibt! Man sollte so früh wie möglich, also möglichst noch vor der stationären Aufnahme und schnell die Körperkerntemperatur auf 33 bis 34°C senken. Dazu reicht eine 4°C kalte Infusionslösung in einer Dosis von 30 ml/kg Körpergewicht.

Bei einem 70 kg schweren Patienten schafft man es durchaus, zwei Liter einer Elektrolytlösung bis zur Klinikaufnahme zu infundieren. Die Kontrolle der Körperkerntemperatur ist natürlich unbedingt nötig, technisch heutzutage aber kein Problem.

Die Fragen stellte Thomas Meißner

Lesen Sie dazu auch: "Herzmassage kann jeder" - notfalls telefonisch instruiert

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