HINTERGRUND

Wie sauberer Sport in Paragrafen gegossen werden soll: Dopinghandel wird bestraft, Eigendoping aber nicht

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:

Ob sich die morgen zum Prolog der Tour de France startenden deutschen Rad-Profis davon beeindrucken lassen? Gestern hat der Deutsche Bundestag das lang diskutierte Anti-Doping-Gesetz beschlossen. Ob Fans und Sponsoren deshalb künftig auf saubere Sportwettkämpfe hoffen dürfen, glauben die Parlamentarier aber selber nicht. "Der Staat kann das Problem allein nicht lösen", sagte Innenminister Wolfgang Schäuble gestern im Parlament.

Dennoch: Raffinierter müssen die Betrüger im Trikot und ihre mafiös organisierten Hintermänner bei Wettkämpfen in Deutschland allemal vorgehen, wenn im September der Bundesrat aller Voraussicht nach das "Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport" absegnet.

Künftig soll das BKA im Doping-Sumpf ermitteln

International organisierter ungesetzlicher Handel mit Arzneimitteln kann künftig vom Bundeskriminalamt verfolgt werden, auch indem Telefone von Sportlern abgehört und der E-Mail-Verkehr überwacht wird - sollten ausreichende Verdachtsmomente gegen Sportler, eine Mannschaft und deren Betreuer vorliegen.

Banden- und gewerbsmäßige Dopingstraftaten nach dem Arzneimittelgesetz werden künftig härter bestraft. Bis zu zehn Jahre hinter Gittern verschwinden sollen die Betreuer und Ärzte, die Sportlern die leistungssteigernden Mittel besorgen und verabreichen. Im bisherigen Strafrecht lag die Höchstgrenze für diese Delikte bei drei Jahren Haft. Künftig sollen Arzneimittel, die zum Doping geeignet sind, einen Warnhinweis enthalten.

Für dopende Sportler aber bleibt das Risiko begrenzt: Denn nur der Besitz einer "nicht geringen Menge" an Dopingsubstanzen wird strafbar sein, also alles, was über den Eigenbedarf hinausgeht. Bislang unterlagen gedopte Sportler nur der Sportgerichtsbarkeit. Das ist aus Sicht von Winfried Hermann, dem sportpolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion, zu wenig. Ein Radfahrer könne künftig weiter "mit einer Epo-Ampulle um den Hals durch Ziel fahren", sagte Hermann gestern im Bundestag. "Sie stricken weiter an der Mär vom unschuldigen Sportler", warf der Grünen-Abgeordnete der Koalition vor.

Szenen von Polizeibeamten, die in Sportlerquartieren alles beschlagnahmen, was nach Medikament aussieht, sind nun auch in Deutschland künftig möglich. Vor neun Jahren streikten die Fahrer der Tour de France noch, weil französische Ermittler vor allem gegen das Festina-Team einen konkreten Dopingverdacht hegten. Die Fahrer gaben damals die unschuldig Verfolgten.

Das Bild hat sich geändert. Inzwischen sind schrittweise die kriminellen und flächendeckenden Strukturen des Dopings im Radsport aufgedeckt worden - seit Wochen reißen die Doping-Enthüllungen und Geständnisse von Fahrern - zuletzt von Jörg Jaksche - nicht mehr ab.

Dies griff bei der Beratung gestern im Bundestag die sportpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Dagmar Freitag auf. Sie wies auf ein Manko bei der Verfolgung von Medizinern hin, die Sportler beim Doping beraten. Freitag schlug vor, ein Verbot des Dopings solle auch in die Musterberufsordnung aufgenommen werden.

Sportbetrug - fängt das schon bei der Schwalbe an?

Die Grünen waren schon im Gesundheitsausschuss mit dem Vorschlag gescheitert, den Sportbetrug unter Strafe zu stellen. Ohne diesen Passus beschließe der Bundestag lediglich ein "Anti-Dealing-Gesetz", sagte Winfried Hermann. Die Koalition hatte diesen Vorschlag mit Blick auf praktische Umsetzungsschwierigkeiten abgelehnt: "Wo beginnt der Betrug? Schon beim Schinden eines Elfmeters", hatte Innenminister Schäuble rhetorisch gefragt.

Doping im Breitensport, etwa die Pillenschluckerei in Fitness-Studios, bleibt weiterhin eine Grauzone. "Wir werden keine 100-prozentige Lösung finden", gestand Wolfgang Schäuble ein. Staatliche Repression allein hilft nicht weiter, meinte FDP-Gesundheitsexperte Detlef Parr. In der Öffentlichkeit bestimme die Jagd nach immer neuen Rekorden das Bild, obwohl in vielen Disziplinen die Leistungsgrenze längst erreicht sei. Diese gesellschaftliche Dimension, der gefühlte Zwang zur Leistungssteigerung, kann gewiss in keinem Anti-Doping-Gesetz geregelt werden.



STICHWORT

Geschichte eines verschleppten Gesetzes

Ende vergangenen Jahres schien die Welt noch in Ordnung. Zwar waren Jan Ullrich und andere Athleten schon wegen Dopingverdachtes gesperrt. Ein Anti-Doping-Gesetz, das Bayern in den Bundesrat einbrachte, befand jedoch niemand für nötig. Vertreter des Deutschen Olympischen Sportbundes schäumten, um ihre sportgerichtlichen Privilegien fürchtend, über die beabsichtigte Kriminalisierung der Sportler. Wolfgang Schäuble ließ den eigenen Gesetzentwurf weiter in der Schublade.

Die schrittweisen Geständnisse mehrerer Radprofis seit März dieses Jahres, bei denen auch die Beteiligung Freiburger Sportärzte deutlich wurde, beschleunigten aber das Gesetzgebungsverfahren.

Allerdings kam der Anstoß nicht aus dem Parlament, sondern aus der Koalitionsregierung. Keine 50 Tage nach den ersten Enthüllungen gibt es seit gestern ein Anti-Doping-Gesetz in Deutschland. Die Welt scheint - wieder einmal - in Ordnung. Übermorgen fällt der Startschuss zur Tour de France.

Lesen Sie dazu auch: Anti-Doping-Gesetz kommt

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