Hintergrund

Zurückhaltung mit Antibiotika bei Sinusitis ist ohne Nachteil für Patienten möglich

Deutschland liegt im europäischen Vergleich bei Antibiotika-Verordnungen auf einem hinteren Platz. Dennoch könnten noch Verordnungen vermieden werden, etwa bei unkomplizierter Rhinosinusitis.

Von Stefan Käshammer Veröffentlicht:

Zur Antibiose bei akuter Sinusitis gibt es unterschiedliche Empfehlungen. "Die meisten Patienten profitieren nicht von der Therapie mit Antibiotika", sagte Professor Gerd Fätkenheuer beim Internisten-Update in Wiesbaden. Bei einem zurückhaltenden Umgang mit Antibiotika könne hier ein großer Teil der Verschreibungen vermieden werden und zwar ohne Nachteil für die Patienten. Eine Hilfe bei der Entscheidung für oder gegen Antibiotika sind die aktualisierten Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) sowie ein Bluttest auf Procalcitonin.

Eine akute Sinusitis gehört besonders während der kalten Jahreszeit zu den häufigsten Krankheiten, die Patienten zu niedergelassenen Kollegen führen. Und nach wie vor werden oft Antibiotika verschrieben, obwohl ihr Effekt fraglich ist, wie Fätkenheuer berichtete. Das habe etwa eine doppelblinde, randomisierte Studie bei 240 Patienten mit akuter Sinusitis belegt: Sie wurden placebokontrolliert entweder sieben Tage lang mit Amoxicillin (500 mg drei mal täglich), zehn Tage lang mit dem intranasalen Steroid Budesonid oder mit beidem behandelt. Ergebnis: Beim Anteil der Patienten, die zehn Tage nach Therapiebeginn noch über Symptome berichteten, gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen den Therapiegruppen (JAMA 298, 2007, 2487). Eine Schwäche der Studie sei allerdings die geringe Zahl der eingeschlossenen Patienten, so Fätkenheuer.

Daten von wesentlich mehr Patienten, nämlich von 2547 aus neun Studien, seien in einer aktuellen Metaanalyse berücksichtigt worden (Lancet 371, 2008, 908). Die Autoren errechneten für die Antibiotikatherapie bei Patienten mit den typischen Beschwerden einer Rhinosinusitis eine Number Needed to Treat (NNT) von 15. Es müssten also 15 Patienten Antibiotika bekommen um einen zusätzlichen Patienten erfolgreich zu therapieren, sagte Fätkenheuer. Für Patienten, die zum Zeitpunkt der Diagnose eitriges Pharynxsekret hatten, lag die NNT bei 8. Und: Selbst alte Patienten hatten keinen besonderen Nutzen von der Einnahme von Antibiotika. Sie hatten zwar länger Symptome als junge Patienten, auf die Heilungsrate hatte eine Antibiotika-Therapie bei den alten Patienten aber keinen Einfluss. Fätkenheuers Fazit: Antibiotika sind bei Sinusitis sehr zurückhaltend zu verordnen, da nur ein kleiner Teil der Patienten davon profitiert.

Selbst alte Patienten profitieren kaum von Antibiotika.

Diese Empfehlung deckt sich mit der 2008 aktualisierten Leitlinie zu Rhinosinusitis der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Danach gibt es derzeit "keine evidenzbasierte Indikation, um Patienten mit einer unkomplizierten Rhinosinusitis Antibiotika zu verordnen". Indikationen hierfür seien lediglich starke Schmerzen, erhöhte Entzündungsparameter, der Nachweis von Pneumokokken, Haemophilus influenzae oder Moxarella catarrhalis im Nasenabstrich sowie Sekretspiegel oder eine vollständige Verschattung eines Sinus in der Computertomografie.

Die Menge der ambulant verschriebenen Antibiotika hat sich in Deutschland zwar zwischen 2003 und 2007 nicht wesentlich geändert, wie eine Statistik des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit belegt. Erfreulicherweise liege Deutschland hier im gesamteuropäischen Vergleich gemeinsam etwa mit der Schweiz und Schweden sogar auf den hinteren Plätzen, berichtete Fätkenheuer, der an der Klinik für Innere Medizin der Universitätsklinik Köln tätig ist.

Dennoch könnten noch mehr überflüssige Antibiotika-Verordnungen vermieden werden. Dabei sei ein Bluttest auf Procalcitonin (PCT) hilfreich. 72 Prozent der Verschreibungen von Antibiotika bei akuten Atemwegs-Infektionen ließen sich damit ohne Nachteil für die Patienten vermeiden, belegt eine Schweizer Studie (Arch Intern Med 168, 2008, 2000).

Der Test hat sich als Screening-Instrument zur Unterscheidung von viralen und bakteriellen Sinusitiden bereits bewährt (wir berichteten). Liegt der PCT-Wert bei Sinusitis sowie bei Bronchitis, Pneumonie oder einer gewöhnlichen Erkältung unter 0,1 ng/ml, ist eine bakterielle Besiedlung unwahrscheinlich und auf Antibiotika kann verzichtet werden. Der PCT-Test kann als IGeL angeboten werden (abzurechnen nach GOÄ A 4047, 27,98 Euro einfach).

Leitlinien zur Antibiotika-Therapie

Indikationen zur Antibiotika-Therapie bei akuter Sinusitis (Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin):

  • Drohende Komplikationen (starke Kopfschmerzen, Lethargie)
  • Starke und sehr starke Schmerzen bei CRP über 10mg/l oder BSG bei Männern über 10mm/h sowie BSG über 20mm/h bei Frauen
  • Nachweis von Pneumokokken, H. influenzae oder Moxarella catarrhalis im Nasenabstrich
  • Sekretspiegel oder Sekretnachweis im CT (Sekretspiegel oder Totalverschattung).(skh)

Die ausführliche Leitlinie gibt es im Internet unter www.degam.de

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

ARE in Grafiken

RKI: Grippewelle deutet sich an

ARE in Grafiken

Zahl der Influenza-Infektionen steigt

Das könnte Sie auch interessieren
Wie Zink das Immunsystem stärken kann

© Tondone | AdobeStock

Risikogruppen schützen

Wie Zink das Immunsystem stärken kann

Anzeige | Wörwag Pharma GmbH & CO KG
Praxisfall im Podcast: Atemwegsinfekt

© Bionorica SE

Phytoneering-Akademie

Praxisfall im Podcast: Atemwegsinfekt

Anzeige | Bionorica SE
Antibiotika – Fluch und Segen

© Bionorica SE

Podcast

Antibiotika – Fluch und Segen

Anzeige | Bionorica SE
Brauchen wir noch Antibiotika?

© deepblue4you | iStock

Content Hub

Brauchen wir noch Antibiotika?

Anzeige | Bionorica SE
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Abb. 1: FIB-4 1,3: numerische 26%ige Risikoreduktion der 3-Punkt-MACE durch Semaglutid 2,4mg

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [17]

Kardiovaskuläre, renale und hepatische Komorbiditäten

Therapie der Adipositas – mehr als Gewichtsabnahme

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novo Nordisk Pharma GmbH, Mainz
SCD-PROTECT-Studie-- Frühe Phase nach Diagnose einer Herzinsuffizienz – deutlich höheres Risiko für den plötzlichen Herztod als in der chronischen Phase.

© Zoll CMS

SCD-Schutz in früher HF-Phase

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: ZOLL CMS GmbH, Köln
Abb. 2: Schneller Wirkeintritt von Naldemedin im Vergleich zu Placebo in den Studien COMPOSE-1 und COMPOSE-2

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [15]

Opioidinduzierte Obstipation

Selektive Hemmung von Darm-Opioidrezeptoren mit PAMORA

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Viatris-Gruppe Deutschland (Mylan Germany GmbH), Bad Homburg v. d. Höhe
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Eine Ärztin hält einen Reagenzstreifen zur Analyse einer Urinprobe in der Hand.

© H_Ko / stock.adobe.com

Risikofaktoren identifiziert

Für wen könnten Harnwegsinfekte gefährlich werden?

Ein älterer Herr, der einen medizinischen Fragebogen ausfüllt.

© buritora / stock.adobe.com

Metaanalyse

Subjektive Krankheitsbelastung bei Krebs prognostisch relevant