Versorgungsprojekt

Frühchen – Eltern, hört meine Signale!

Am Uniklinikum Dresden werden Eltern von frühgeborenen Kindern durch ein ausgezeichnetes Versorgungsprojekt unterstützt. Eines der Ziele: Von Beginn an Bindung zum Frühchen aufbauen.

Von Anke Nolte Veröffentlicht:
Der lange Klinikaufenthalt von Frühchen macht es Eltern mitunter schwer, Bindung zu ihrem Kind aufzubauen.

Der lange Klinikaufenthalt von Frühchen macht es Eltern mitunter schwer, Bindung zu ihrem Kind aufzubauen.

© Fredrik von Erichsen / dpa

DRESDEN. Die medizinische Versorgung Frühgeborener ist eine Domäne der Hochleistungsmedizin. Manchmal drohen die Eltern dabei aus dem Blick zu geraten.

„Die Eltern Frühgeborener sind oft extrem belastet“, berichtet Professor Mario Rüdiger, Leiter Fachbereich Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin am Universitätsklinikum Dresden. „Die Erkrankung ihres Kindes und der mitunter Monate dauernde Krankenhausaufenthalt machen es ihnen schwer, die Bindung zu ihrem Kind aufzubauen – mit negativen Folgen für sich und ihr Kind.“

Rüdiger und sein Team haben im Laufe von zehn Jahren ein komplexes Versorgungsangebot für Eltern entwickelt, etabliert und evaluiert. „Wir stärken damit die intuitive elterliche Kompetenz, die bei Eltern Frühgeborener oft nicht gleich voll verfügbar ist.“ Das Projekt mit dem Namen FamilieNetz hat beim Innovationspreis 2019 für interprofessionelle Projekte im Gesundheitswesen den ersten Platz errungen.

Kombinierte Schulungen

Grundlage des Angebots sind unter anderem evaluierte Schulungsprogramme, die aufeinander abgestimmt und bedarfsgerecht kombiniert werden. So können Eltern etwa im Programm „Frühe Signale“ lernen, prototypische Signale von Frühchen zu verstehen. „Denn sie senden andere Signale aus als reife Neugeborene“, so Rüdiger. Die Eltern werden angeleitet, ihr Kind – noch in der Klinik – selbst zu baden und diese Zeit für abgestimmte Interaktionen zu nutzen. In einem Videofeedback dazu reflektieren sie das sich entwickelnde Eltern-Kind-Team.

Eine Studie zeigte: „Wenn Eltern geschult sind, schauen ihre Kinder sie beim Baden oft und lange an, weil sie prompt und adäquat auf ihr Kind reagieren“, erklärt PD Dr. Jörg Reichert, Psychologe und Leiter des Familie- Netz. „Das zeugt von den größer werdenden Aufmerksamkeitsspannen und von sicherer Bindung.“

Weitere Erfolge solcher Interventionen sind durch internationale Studien belegt: Verminderung von Stress und Angst bei den Eltern, dafür erleben sie mehr Selbstwirksamkeit. Bei den Kindern wird Hirnreifung und neurologische Entwicklung positiv beeinflusst.

Argument: Kostenersparnis

Außer Vorteilen für Eltern und Kind ist auch ein ökonomischer Effekt zu verzeichnen: „Wir konnten für die bei uns betreuten Kinder zeigen, dass die Krankenkasse bei einem Einsatz von 200.000 Euro im Jahr während der ersten zwei Lebensjahre etwa 400.000 Euro Gesundheitskosten einspart – vor allem durch weniger und kürzere Krankenhausaufenthalte“, sagt Rüdiger.

Er und sein Team setzen sich für einen bundesweiten Transfer des Angebots in die Regelversorgung ein: Inzwischen sind eine AWMF-Leitlinie, eine Weiterbildung sowie eine OPS-Ziffer entstanden. „Wir hoffen, dass die OPS-Ziffer bald mit einem festen Geldwert hinterlegt ist, sodass die Leistungen auch abrechenbar sind.“ Es gäbe eine Nachfrage anderer Perinatalzentren, so Rüdiger. „Schließlich wird die Nachhaltigkeit der aufwändigen Erstversorgung von Frühgeborenen mit dem Unterstützungsangebot für Eltern deutlich gestärkt.“

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