NRW

Hebammenversorgung: Datenlage gleicht einer Blackbox

Die verfügbaren Quellen ergeben kein vollständiges Bild der Versorgungssituation, heißt es in einer Studie der Hochschule für Gesundheit. Freiberufliche Hebammen sollten ihr Leistungsspektrum regelmäßig melden, lautet ein Vorschlag.

Von Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Einmal Wiegen, bitte: Leistungen freiberuflicher Hebammen werden nur unzureichend erfasst.

Einmal Wiegen, bitte: Leistungen freiberuflicher Hebammen werden nur unzureichend erfasst.

© Julian Stratenschulte/dpa

Bochum. Die Gesundheitsämter sollten künftig das Angebot klinisch und außerklinisch tätiger Hebammen erfassen. Das würde eine gezielte Bedarfsplanung und Steuerung der Hebammenversorgung ermöglichen, betonen Wissenschaftlerinnen der Hochschule für Gesundheit in Bochum.

Eine exakte Bezifferung der im Beruf aktiven Hebammen sei derzeit leider nicht möglich, schreiben sie im Abschlussbericht zu der Studie „Geburtshilfliche Versorgung durch Hebammen in Nordrhein-Westfalen“.

„Die verfügbaren Quellen, etwa die bei den Gesundheitsämtern gemeldeten freiberuflichen Hebammen, die GKV-Vertragspartnerliste, Mitgliedsdateien von Hebammenverbänden oder die Daten der amtlichen Statistik, sind entweder unvollständig, nicht aktuell oder enthalten Doppelungen“, heißt es dort.

Nach der Vorstellung der Wissenschaftlerinnen unter Leitung der Professorinnen Nicola Bauer und Rainhild Schäfers sollten freiberuflich tätige Hebammen den Gesundheitsämtern jährlich ihr Leistungsspektrum, den Arbeitsumfang und die Zahl der von ihnen betreuten Frauen melden.

Berufskammer für Hebammen

Bei den klinisch tätigen angestellten Hebammen würde es um die klinische Tätigkeit sowie den Arbeitsumfang gehen. Die Schaffung der gesetzlichen Grundlage für eine solche – standardisierte digitale – Erfassung halten sie für mittelfristig umsetzbar.

Letztendlich sehen die Wissenschaftlerinnen die Registrierung der Hebammen aber in der selbstverwalteten Organisation durch eine eigene Berufskammer, analog zur Pflegekammer. Die Einrichtung sollte auch hoheitliche Aufgaben wie den Zugang zum Beruf oder die Aus-, Fort- und Weiterbildung regeln.

„Die Etablierung einer Hebammenkammer würde den Professionalisierungsprozess des Hebammenberufes neben der Akademisierung fortführen.“ NRW könnte als erstes Bundesland die Einführung einer Hebammenkammer in einem Modellvorhaben erproben und evaluieren.

Sie plädieren für eine Aufstockung der Studienplätze im Bereich Hebammenwissenschaft im bevölkerungsreichsten Bundesland. Es gebe bereits einen erkennbaren Mangel an Hebammen in Nordrhein-Westfalen, sagt Nicola Bauer. „Wenn wir die Anzahl von aktuell insgesamt circa 260 bis 280 existierenden Ausbildungs- und Studienplätzen zugrunde legen, dann erscheint uns die die Zahl von 300 geplanten Studienplätzen zu gering.“

Besser 400 statt 300 Studienplätze

Auch angesichts der Studienabbruchquoten in Bachelorstudiengängen seien jährlich 400 Studienplätze angemessen. Zu den weiteren Faktoren, die eine Rolle für die Sicherstellung der Versorgung mit Hebammen spielen, gehörten die Attraktivität des Berufs, die Vergütung, die Entwicklung der Geburtenraten und die „langfristige Lösung der Haftpflichtproblematik in der außerklinischen geburtshilflichen Versorgung“.

Für die Studie, die durch das Landeszentrum für Gesundheit gefördert wurde, hatten die Autorinnen 1924 Hebammen und 1783 Frauen aus NRW befragt, um sich einen Überblick über die Versorgungssituation zu verschaffen.

Regionale Versorgungsengpässe

Erste Ergebnisse waren im November 2019 vorgestellt worden. Danach mussten Schwangere im Schnitt vier Hebammen anrufen, um eine für die Betreuung im Wochenbett zu finden. Fast die Hälfte der befragten klinisch tätigen Hebammen hatte im zurückliegenden Monate eine Gefahrenanzeige wegen Arbeitsüberlastung oder Ressourcendefiziten im Kreißsaal geschrieben. Es gebe Hinweise auf einen Mangel an Hebammenleistungen, der sich aber nicht quantifizieren lasse.

„Ersichtlich sind regionale Versorgungslücken und -engpässe im klinischen wie auch außerklinischen Bereich.“ Die Nachfrage nach den Leistungen sei gestiegen, das Versorgungsniveau scheine aber nicht optimal zu sein und nicht alle Frauen und Familien zu erreichen.

Zu den Handlungsempfehlungen der Wissenschaftlerinnen gehört „die flächendeckende kommunale Einrichtung und Finanzierung von Hebammenzentralen, um ein niedrigschwelliges Angebot für Schwangere und Wöchnerinnen zu gewährleisten“.

Lesen sie auch
Mehr zum Thema

Gesundheitskongress des Westens

KBV-Chef Gassen fordert: Vergütungsreform muss die Patienten einbeziehen

Gesundheitskongress des Westens

NRW droht bei Klinikreform mit Gang zum Bundesverfassungsgericht

Das könnte Sie auch interessieren
Pflanzenzweige in Reagenzgläsern

© chokniti | Adobe Stock

PMS? Phytotherapie!

Evidenzbasierte Phytotherapie in der Frauenheilkunde

Packshot Agnucaston

© Bionorica SE

PMS? Phytotherapie!

Wirkmechanismus von Agnucaston® 20 mg

Mönchspfeffer Pflanze

© Lemacpro / AdobeStock

Phytotherapie bei PMS

Wissenschaftliche Kurzinformation zu Agnucaston® 20 mg

Was zur Prophylaxe wirklich nützt

© bymuratdeniz / Getty Images / iStock

Rezidivierende Harnwegsinfekte

Was zur Prophylaxe wirklich nützt

Fast jede Frau macht die Erfahrung einer Blasenentzündung. Häufigster Erreger ist E. coli.

© Kateryna_Kon / stock.adobe.com

Prophylaxe von Harnwegsinfekten

Langzeit-Antibiose nicht mehr First Line

Plädoyer für die Immunprophylaxe bei Harnwegsinfekten

Experten-Workshop

Plädoyer für die Immunprophylaxe bei Harnwegsinfekten

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Wo lang im Gesundheitswesen? Der SVR Gesundheit und Pflege empfiehlt mehr Richtungspfeile für alle Akteure.

© StefanieBaum / stock.adobe.com

Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege

Gesundheitsweise empfehlen Primärversorgung für alle – und Quotierung der Weiterbildung

„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Dr. Iris Dötsch Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin und Ernährungsmedizinerin hat die Hauptstadtdiabetologinnen, eines neues Netzwerk für Frauen in der Diabetologie, gegründet.

© snyGGG / stock.adobe.com

Hauptstadtdiabetologinnen

Ein Netzwerk für Diabetologinnen