Ärzteschaft und NS-Regime

BÄK-Präsident Montgomery: „Wir brauchen waches Erinnern“

Die Ärzteschaft hat der Opfer des Nationalsozialismus und insbesondere der jüdischen Kollegen gedacht, die auch von den eigenen Organisationen verfolgt und ausgegrenzt wurden.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Gedachten in Berlin den Opfern der NS-Zeit (v.l.): Prof. Leonid Eidelman, Präsident des Weltärztebundes, Prof. Zion Hagay, Präsident der Israeli Medical Association, BÄK-Präsident Prof. Frank Ulrich Montgomery, die KBV-Vorstände Dr. Stefan Hofmeister, Dr. Thomas Kriedel und Dr. Andreas Kriedel, Yehiel Bar, Vizepräsident der Knesset, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau und Dr. Petra Reis-Berkowicz, Vorsitzende der KBV-VV.

Gedachten in Berlin den Opfern der NS-Zeit (v.l.): Prof. Leonid Eidelman, Präsident des Weltärztebundes, Prof. Zion Hagay, Präsident der Israeli Medical Association, BÄK-Präsident Prof. Frank Ulrich Montgomery, die KBV-Vorstände Dr. Stefan Hofmeister, Dr. Thomas Kriedel und Dr. Andreas Kriedel, Yehiel Bar, Vizepräsident der Knesset, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau und Dr. Petra Reis-Berkowicz, Vorsitzende der KBV-VV.

© Lopata/axentis.de

BERLIN. Gemeinsam mit Repräsentanten Israels und des Weltärztebundes sowie der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Petra Pau (Linke) und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die Spitze der deutschen Ärzteschaft 80 Jahre nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 am Herbert-Lewin-Platz in Berlin einen Gedenkstein für die verfolgten und ermordeten jüdischen Kollegen und die Opfer des Nationalsozialismus eingeweiht.

Ärzte-Organisationen aktiv beteiligt

Die Verfolgung, Vertreibung und Ermordung jüdischer Ärzte begann unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten bereits im Februar 1933 mit dem Entzug der Kassenzulassung. 1938, kurz vor der Reichskristallnacht, verloren alle jüdischen Ärzte die Approbation und damit die Grundlage der Berufsausübung. Wenige von ihnen wurden als Heilbehandler zur Versorgung von „Nicht-Ariern“ zugelassen.

Bildergalerie zur Gedenkfeier

Der neue Gedenkstein und die Gäste der Feier

Die Organisationen der Ärzteschaft, allen voran die Kassenärztliche Vereinigung Deutschland (KVD) und ihre Organe waren aktiv daran beteiligt; die in hohem Maße in der NSDAP und anderen Nazi-Institutionen organisierten Mediziner billigten oder duldeten dies, viele Ärzte profitierten von der Ausgrenzung, Verfolgung und Vertreibung ihrer jüdischen Kollegen. Der Gedenkstein ist Element einer Erinnerungskultur in der Weltstadt Berlin, die zu Wachheit und Aufmerksamkeit mahnen soll, wie fragil Menschenwürde, Freiheit und Demokratie sein können.

Die Vorsitzende der KBV-Vertreterversammlung, Dr. Petra Reis-Berkowicz, sagte, sie sei erschüttert, dass Wissen über die nationalsozialistische Vergangenheit verblasst und in ganz Europa Rechtsradikalismus und Rassismus zunehmen. Umso wichtiger sei eine aktive Beschäftigung mit der Geschichte und auch mit der Tatsache, dass die nichtjüdische Ärzteschaft schwere Schuld auf sich geladen habe. Das „beschämende Verhalten“ der deutschen Ärzteschaft müsse Erinnerung und Mahnung bleiben.

KBV verspricht weitere Aufarbeitung

„Aktiv, wissentlich, organisiert“ und in vorauseilendem Gehorsam der Ärztefunktionäre hätten deutsche Mediziner an der Entrechtung und Verfolgung jüdischer Kollegen mitgewirkt, so KBV-Chef Dr. Andreas Gassen. Dazu gehöre auch die Beteiligung von NS-Ärzten an Verhaftungen und Gewaltexzessen gegen Juden und Kommunisten, ebenso wie das geräuschlose Wirken der Bürokratie von KVD und Reichsärzteammer. Die begonnene wissenschaftliche Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit der Ärzteschaft werde fortgesetzt.

Dazu gehöre die sorgfältige Auswertung aller noch in Köln in der ehemaligen KBV-Zentrale lagernden Akten der KVD. Diese sollen Historikern zugänglich gemacht werden. Mit einer Anekdote aus der eigenen Erfahrung verdeutlichte der Präsident der Bundesärztekammer, Professor Frank Ulrich Montgomery, den Umgang der Ärzteschaft mit ihrer Nazi-Vergangenheit in der Nachkriegsgeschichte: Nach seinem Amtsantritt als Hamburger Kammerpräsident 1994 habe er von seinem Vorgänger den Schlüssel für den „Giftschrank“ im Präsidentenbüro bekommen. In diesem Tresor befanden sich die Listen jener jüdischen Ärzte, denen von 1933 an die Approbation entzogen worden war. 60 Jahre hatten die Dokumente in der ärztlichen Selbstverwaltung unter Verschluss gelegen.

Montgomery: „Wir brauchen heute Anschauung, waches Erinnern und Aufmerksamkeit. Und heute sagen wir unseren jüdischen Kollegen: Wir werden wach sein!“

Der Präsident des Weltärztebundes, Professor Leonid Eidelman, würdigte die Rolle und die Verantwortung, die die deutsche Ärzteschaft und insbesondere die Bundesärztekammer auf internationaler Ebene für die Verwirklichung der Menschenrechte und der medizinischen Ethik übernommen hat.

„Wir müssen die Schuld zum Impuls nutzen, um uns gegen die Entrechtung von Menschen zu wappnen“, mahnte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Er wie auch Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau sprachen sich angesichts der Tatsache, dass es fast keine Zeitzeugen mehr gibt und zugewanderte Mitbürger keine Verantwortung für die deutsche Vergangenheit sehen, für neue Formen der Erinnerung und eine neue politische Pädagogik aus.

Der Vizepräsident der Knesset, Yehiel Bar, äußerte sich entsetzt über weltweit zunehmenden Hass und Gewalt gegen Juden und jüdische Einrichtungen. „Viele haben die Lektion noch nicht gelernt.“ Es müsse das gemeinsame Ziel sein, für die Zukunft eine Welt ohne Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung zu bauen – und dass sich „barbarische Ereignisse wie die Reichskristallnacht nie wiederholen“.

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