Krisenhilfe

Bargeld statt Decken

Paradigmenwechsel in der humanitären Hilfe: Immer häufiger bekommen notleidende Menschen nicht Essenspakete und Planen, sondern Bargeld. Nun empfiehlt auch der UN-Generalsekretär diese Art der Unterstützung.

Von Pratibha Tuladharund Doreen Fiedler Veröffentlicht:
In der humanitären Hilfe kündigt sich ein Paradigmenwechsel an. Statt Essenspaketen und Planen soll bei Einsätzen wie nach dem schweren Erdbeben in Nepal eher Bargeld verteilt werden.

In der humanitären Hilfe kündigt sich ein Paradigmenwechsel an. Statt Essenspaketen und Planen soll bei Einsätzen wie nach dem schweren Erdbeben in Nepal eher Bargeld verteilt werden.

© EPA/NARENDRA SHRESTHA

KATHMANDU. Nach dem Erdbeben in Nepal im vergangenen Jahr besaß Haribansa Thami fast nichts mehr - außer seiner Arbeitskraft. Schnell zimmerte der gelernte Maurer damals aus den Resten seines Hauses im Dorf Suspa eine windschiefe Hütte zusammen.

Heute ist der 36-Jährige Teil des Programms "Geld gegen Arbeit" der Hilfsorganisation Plan International.

Thami und weitere Teilnehmer des Programms reißen eine beschädigte Schule sowie einen zerstörten Kindergarten ein und bauen dafür neue Häuschen. Sie nageln eine Holzbrücke über den Fluss Kuthali und reparieren einige Straßen.

Dafür bekommen sie je einige Tausend nepalesische Rupien. "Davon habe ich mir zwei Ziegen gekauft", sagt Thami. "Ich habe sie meiner Frau geschenkt. Sie wird sie großziehen und damit Geld verdienen."

Ein Paradigmenwechsel

In Extremsituationen geben Hilfsorganisationen den Bedürftigen immer häufiger Geld statt Hilfsgüter. "Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht", sagt etwa Karl-Otto Zentel, Generalsekretär von Care Deutschland-Luxemburg.

Weil Geld ins Land fließe, würden lokale und regionale Märkte der Krisengebiete stimuliert. Auch die Geldgeber stünden "Cash"-Zahlungen immer offener gegenüber.

Unterschieden werden drei Formen der Geldhilfe: Erstens Arbeitsprogramme wie das von Thami, zweitens Geld ohne daran geknüpfte Bedingungen, das nach eigener Präferenz für Decken, Kleidung, Essen, Schulbesuch oder Gesundheitskosten ausgeben. Und drittens Gutscheine, die bei vorher ausgesuchten Händlern eingelöst werden können.

"Wo es die Märkte und der Operationsrahmen zulassen, sollten Bargeld-Programme die bevorzugte und erste Unterstützungsmethode sein", heißt es nun sogar im Bericht des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon zum ersten Weltgipfel zur humanitären Hilfe.

Ab Montag werden darüber in Istanbul Staats- und Regierungschefs beraten. Der Paradigmenwechsel hin zum Geld wird eine wichtige Rolle spielen.

Missbrauch befürchtet

Bislang aber karren die Organisationen meistens noch Decken, Planen, Zelte, Kochsets, Hygieneartikel, Getreide, Öl, Gemüse und anderes zu den Menschen. Die US-Denkfabrik Zentrum für Globale Entwicklungen kam im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis: Nur sechs Prozent der Hilfsgelder werden bar ausgezahlt. Die Zielgröße für das Jahr 2030 ist bei vielen Programmen die Hälfte der Hilfsleistungen.

Vor einigen Jahren sei noch viel über mögliche Nachteile der Geldzahlungen diskutiert worden, sagt Stefan Hagelüken, Referent Humanitäre Hilfe bei World Vision. "Missbrauch des Geldes für Sex, Drogen, Alkohol", zählt er als Beispiele auf.

Aber Nachfolgeuntersuchungen etwa im Südsudan, in Simbabwe oder Somalia hätten ergeben: Das Geld werde in der überwiegenden Mehrheit für das Wohl der Familie eingesetzt.

Allerdings sei Geld nicht immer das Mittel der Wahl. "Wenn die Regale leer sind, bringt es nichts, Geld zu geben", sagt Hagelüken. Außerdem könne es sein, dass durch die größere Nachfrage die Händler die Preise nach oben treiben.

Dagegen helfe es, Monopole aufzubrechen, mit den Händlern Verträge abzuschließen oder die Verteilung des Bargeldes über mehrere Tage zu verteilen.

Vor allem aber, betonen die Helfer, gehe es um die Würde und die Selbstbestimmung der Betroffenen. "Die Menschen bekommen, was sie wirklich brauchen, und nicht das, was wir denken, was sie brauchen", sagt Owen Barder vom Zentrum für Globale Entwicklungen.

 Eine Studie habe auch gezeigt, dass 70 Prozent der Syrer im Irak Hilfsgüter verkauften, um andere Dinge zu kaufen - und zwar meist weit unter dem Marktwert.

Krishna Bahadur hat 15 Tage nach dem Himalaya-Erdbeben 10.000 nepalesische Rupien (83 Euro) erhalten. So habe er für seine Frau, Kinder und Enkel schnell ein neues Dach über dem Kopf bekommen können, sagt der Nepalese. Toll sei das nicht. Aber: "Ein bisschen ist besser als nichts. Wir sind so dankbar." (dpa)

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