Theaterprojekt „Überleben“

Das Ungesagte zu Niels H.

Der Fall des Patientenmörders Niels H. im Theater? Ein gewagtes Projekt. Aber das Dokumentar-Stück „Überleben“ will nicht unterhalten. Es geht um die Aufarbeitung einer unfassbaren Mordserie.

Von Helmut Reuter Veröffentlicht:
Dramaturgin Silke Merzhäuser (l.n.r.), Regisseurin Julia Roesler und Ausstatterin Charlotte Pistorius stehen vor einem Modell des Bühnenbildes von „Überleben“ ein Theaterprojekt zum Fall des Patientenmörders Niels H.

Dramaturgin Silke Merzhäuser (l.n.r.), Regisseurin Julia Roesler und Ausstatterin Charlotte Pistorius stehen vor einem Modell des Bühnenbildes von „Überleben“ ein Theaterprojekt zum Fall des Patientenmörders Niels H.

© Sina Schuldt/dpa

Oldenburg. Als Figur kommt der Serienmörder Niels H. in dem Theaterstück gar nicht vor. Selbst als Buchstabe nicht, denn der Titel „Der Fall H.“ wurde längst geändert. „Letztlich interessierte er uns nicht“, sagt Regisseurin Julia Roesler mit Blick auf den im Juni 2019 wegen 85 Morden zu lebenslanger Haft verurteilten Niels H.

Erzählt wird eine Geschichte vom „Überleben“. So lautet der Titel des Dokumentarstücks der Göttinger „werkgruppe2“, das am Samstag (29. Februar) am Oldenburgischen Staatstheater Premiere hat. Die Schauspieler lassen stellvertretend Angehörige, Theologen, Pfleger, Ärzte, Psychologen und Historiker zu Wort kommen.

Angehörige reagierten skeptisch und ablehnend

Der Ex-Pfleger H. hatte seine Opfer zwischen 2000 und 2005 in den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst mit Medikamenten zu Tode gespritzt. Als Roesler (41) und die Dramaturgin Silke Merzhäuser das Vorhaben Ende Oktober 2018 – nur eine Woche vor dem Beginn des Mammutprozesses gegen H. am Landgericht Oldenburg – ankündigten, löste das vor allem Skepsis und Ablehnung aus.

„Ich war einer der größten Kritiker dieses Projektes. Die Nerven lagen kurz vor dem Prozess blank“, erinnert sich Christian Marbach, dessen Großvater zu den Opfern gehörte. Den Projektmachern wurde Pietätlosigkeit vorgeworfen. „Wie kann man den Angehörigen das antun?“, „Da geht’s um Kommerzialisierung und Profit“, all das bekamen sie damals zu hören.

Die beiden Frauen wurden von den heftigen Reaktionen und dem „Medienrummel“ überrascht. „Wir wollten von Anfang an offen mit dem Projekt umgehen“, erinnern sie sich. Doch sie merkten, dass viele mit dem Begriff „Dokumentar-Theater“ nichts anzufangen wussten und es mit Unterhaltungsgenres wie Musical, Drama und Sensationstheater gleichsetzten.

Weit gefehlt, aber dennoch war der Zeitpunkt der Ankündigung schlecht gewählt. „Wir haben gemerkt, wie viele Wunden da noch offen sind“, betont Merzhäuser.

Dokumentarischer Ansatz

Dass Angehörige wie Marbach sich dem Projekt dann doch öffneten und aus Überzeugung mitarbeiteten, liegt am dokumentarischen Ansatz des Stücks. Auf die Bühne kommen „100 Prozent Interview-Aussagen“. Viele Hundert Seiten wurden aus rund 25 Interviews transkribiert „mit allen Ähs und Öhs und grammatischen Unebenheiten“. Es geht um Authentizität.

„Wir haben das auf 40 Seiten reduziert. Das ist schon sehr, sehr verdichtet“, sagt Roesler. „Um eine bessere Vorstellung zu bekommen, denkt man am besten an einen Dokumentarfilm.“

Betroffene kommen zu Wort, Fachleute suchen nach Erklärungen, ordnen ein, bieten Interpretationen an. Das Stück soll ein Beitrag zur Aufarbeitung und Erinnerung für das „Stadtgedächtnis“ von Oldenburg und Delmenhorst sein, wo H. wehrlose Patienten in Kliniken umbrachte.

Dialog zwischen Sprache und Musik

„Das Theaterprojekt sucht nach jenen Leerstellen, Lücken und ungehörten Erzählungen, die im strafrechtlichen Prozess keinen Raum finden, die jedoch wichtig sind, um das Geschehen begreifen, bewältigen und erinnern zu können“, heißt es in der Vorankündigung.

Sprachlosigkeit, Leere und Emotionen sind Bestandteile des Theaterstücks. Was nicht in Worte gefasst werden kann, versuchen Musiker mit eigens komponierten Stücken (Insa Rudolph) mit Saxophon, Trompete und Posaune auszudrücken. Auf der Bühne soll ein Dialog stattfinden zwischen Sprache und Musik. (dpa)

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