Welttag der Suizidprävention

Suizidforscherin: „Lithium ist ein unterverordnetes Medikament“

Mit wenig Aufwand könnte man viele Menschenleben retten, sagt Deutschlands einzige Professorin für Suizidprävention. Und empfiehlt konkrete Maßnahmen.

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Ute Lewitzka wurde im November als Deutschlands erste Professorin für Suizidologie und Suizidprävention an die Frankfurter Goethe-Universität berufen.

Ute Lewitzka wurde im November als Deutschlands erste Professorin für Suizidologie und Suizidprävention an die Frankfurter Goethe-Universität berufen.

© Arne Dedert/dpa

Frankfurt/Main. Depressionen gut zu behandeln ist einer der wichtigsten Hebel, um Suizide zu verhindern. Davon ist Dr. Ute Lewitzka überzeugt – die Psychiaterin der Frankfurter Goethe-Universität ist Deutschlands erste und einzige Professorin für Suizidforschung.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts starben im Jahr 2023 in Deutschland etwa 10.300 Menschen durch einen Suizid – deutlich mehr Männer als Frauen. Das entsprach demnach etwa einem Prozent aller hiesigen Todesfälle.

„Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen, und sie haben das höchste Risiko für einen Suizid“, sagt Lewitzka zum Internationalen Welttag der Suizidprävention am 10. September.

Der Fall des Unternehmers Wolfgang Grupp zeige, dass die Krankheit jeden treffen könne. Der Trigema-Gründer hatte im Juli öffentlich gemacht, dass er an einer Altersdepression leide und mit 84 Jahren versucht habe, sein Leben zu beenden.

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„Alle Prominenten, die Depressionen haben, sollen sich outen – das ist sehr hilfreich“, sagt Lewitzka, die sich für eine Entstigmatisierung dieser Krankheit einsetzt. „Aber sie sollen bitte auch mit dafür sorgen, dass zum Beispiel auch eine Verkäuferin vom Supermarkt genauso schnell ins Hilfesystem kommt und den besten Psychiater findet.“

Neben den bewährten Methoden, Depressionen zu behandeln – hauptsächlich Medikamente und Psychotherapie – gebe es weitere Optionen, die aus Lewitzkas Sicht bislang zu wenig genutzt werden. Eine ist die sogenannte Elektrokonvulsionstherapie (EKT), bei der unter kurzer Narkose mit Strom ein Krampfanfall im Gehirn ausgelöst wird. „Das wirkt wie ein Gewitter im Gehirn, das Prozesse, Botenstoffe und Nervenverbindungen zurücksetzt.“

Elektrokonvulsionstherapie

Aus den dunklen Anfangszeiten der Psychiatrie hätten viele Menschen Vorbehalte gegen den Einsatz von Elektrizität, räumt Lewitzka ein. Das sei aber unbegründet. „EKT ist heute eine sehr sichere und sehr effektive Methode, gerade für Patienten, bei denen bereits viele andere Therapien fehlgeschlagen sind.“

Eine Übersichtsstudie aus Basel, die in der Fachzeitschrift „Neuroscience Applied“ veröffentlicht wurde, zeigte kürzlich, dass Menschen mit schwerer Depression nach einer solchen Behandlung ein um 34 Prozent geringeres Risiko hatten, durch Suizid zu sterben – verglichen mit jenen, die mit herkömmlichen Alternativen wie Antidepressiva behandelt wurden.

Lithium zu selten eingesetzt

Noch weniger eingesetzt wird Lewitzka zufolge Lithium, ein natürlich vorkommendes Salz, das – als Medikament verabreicht – krankhaft schwankende Stimmungen ausgleichen kann. Lithium kommt in minimalen Spuren auch im Trinkwasser vor und kann Suizide möglicherweise verhindern.

Eine im „Australian & New Zealand Journal of Psychiatry“ veröffentlichte Metaanalyse von 2020, die Studien aus verschiedenen Ländern zusammenfasst, legt diesen Zusammenhang nahe: Je höher der Lithium-Anteil im Trinkwasser, desto niedriger war die Suizidrate. Die Autoren hatten dafür die Daten von 113 Millionen Menschen in 2.678 Regionen verglichen.

In Deutschland finde eine reguläre Behandlung mit Lithium in der Psychiatrie kaum statt, kritisiert Lewitzka. „Lithium ist ein unterverordnetes Medikament.“

Effektivste Suizidprävention: Methodenrestriktion

„Die effektivste Methode der Suizidprävention ist die Methodenrestriktion“, sagt die Psychiaterin. Auf Deutsch: Menschen, die sich das Leben nehmen wollen, den Zugang zur Methode ihrer Wahl so schwer wie möglich machen. Lewitzka sieht hier einen Ansatz, der nicht viel kosten muss und viel bringt.

Als Beispiele nennt sie das Sichern von Bahngleisen oder Hochhausdächern. Zudem könnten Medikamente in kleineren Packungen abgegeben werden. Am zweitwichtigsten findet die Expertin, dass Menschen in Krisen Hilfe finden: Es müsse genug niedrigschwellige Angebote geben, Ärzte sollten ein mögliches Suizidrisiko gut erkennen können.

Schwer oder sogar unerreichbare Gruppe

Bei wie vielen Menschen, die ihr Leben beenden, eine psychische Erkrankung vorliegt, ist nicht bekannt. Einige Studien gehen von 90 Prozent aus, Lewitzka hält diese Zahl für zu hoch. „Es gibt immer wieder Menschen, wo selbst die engsten Angehörigen sagen, es habe keinerlei Hinweis auf eine Veränderung gegeben“, erläutert sie. „Das ist die Gruppe, um die ich mir am meisten Sorgen mache, weil wir nicht wissen, wie wir diese Menschen vorher erreichen können.“

Hat das Umfeld Sorge, dass jemand an Suizid denkt, sei Schweigen der falsche Weg, sagt Lewitzka. „Es ist ein Mythos, dass man mit einem Gespräch jemanden erst auf diesen Gedanken bringt oder ihn bestärkt.“ Die Botschaft, die man vermitteln sollte, lautet: „Ich mache mir Sorgen. Ich möchte für Dich da sein.“ (dpa)

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