Ein Glücksfall für Forschung und Region

Vor hundert Jahren gründete Friedrich Loeffler auf Riems das erste virologische Forschungsinstitut der Welt. Damit trat er aus dem übermächtigen Schatten seines Mentors Robert Koch.

Von Martina Rathke Veröffentlicht:
Der Hochsicherheits-Forschungskomplex von oben: Auf der Insel Riems bei Greifswald wird seit 100 Jahren geforscht.

Der Hochsicherheits-Forschungskomplex von oben: Auf der Insel Riems bei Greifswald wird seit 100 Jahren geforscht.

© dpa

RIEMS. Das Vertrauen in die Fähigkeiten des Virologen Friedrich Loeffler hielt sich vor mehr als 120 Jahren in Grenzen. Als die Medizinische Fakultät der Greifswalder Universität 1888 einen Ordinarius für Hygiene berufen wollte, stand Loeffler nur an vierter Stelle der Liste - und das, obwohl der Schüler von Robert Koch zu diesem Zeitpunkt bereits die Erreger des Rotzes, der Diphtherie und des Schweinerotlaufs entdeckt hatte.

 

"Er war mit 36 Jahren noch sehr jung, stand in der alles überstrahlenden Aura des großen Robert Koch", sagt der Präsident des heutigen Friedrich-Loeffler-Instituts, Professor Thomas C. Mettenleiter. Nur auf Druck des zuständigen Ministeriums aus dem fernen Berlin sei der Mikrobiologe dann doch auf den Greifswalder Professorenstuhl berufen worden.

Für die Universität und die Region war der ministerielle Eingriff ein Glücksfall: Schon zehn Jahre später sollte Loeffler mit seinen Forschungen in der Wissenschaftsszene Weltruhm erlangen. 1898 beschrieb er mit dem Erreger der Maul- und Klauenseuche (MKS) eine neue Erregerart: die Viren.

Am 10. Oktober 1910 gründete er auf der Insel Riems nahe Greifswald das weltweit erste virologische Forschungsinstitut. Seitdem wird dort an den gefährlichsten Tierseuchenerregern und an deren Bekämpfung geforscht. "Die Virologie hat von hier aus die Welt erobert", sagt Mettenleiter. Im Jahr 1938 wurde auf der Insel Riems der erste wirklich effektive Impfstoff gegen die hochgefährliche MKS entwickelt.

"Die Virologie hat von dieser Insel aus die Welt erobert." Prof. Thomas Mettenleiter, Präsident Friedrich-Loeffler-Institut

Das Forschungsinstitut rückt immer dann in den Fokus, wenn Schweinepest, Vogelgrippe oder andere Seuchen Nutztierbestände gefährden oder dahinraffen. Neben den Viren wird auf der Insel auch an einer neuen Erregerart, den Prionen, geforscht. Was diese krankmachenden Eiweiße anrichten können, weiß die Welt seit den erschreckenden Bildern von torkelnden BSE-Rindern.

Die Krankheit gilt inzwischen als besiegt. Die Riemser Forscher um Professor Martin Groschup, Chef des Instituts für neue und neuartige Tierseuchenerreger, konnten in einem langjährigen Tierversuch nachweisen, wie der Erreger den Weg vom Rindermagen ins zentrale Nervensystem findet.

Bei den Forschungen geht es auch um die Gesundheit der Menschen. "Rund zwei Drittel der Humanpathogene sind tierischen Ursprungs", erklärt Mettenleiter. Seitdem Globalisierung, Flugverkehr und Handel die Welt kleiner machen und der Klimawandel Artengrenzen verschiebt, steige diese Gefahr. Insbesondere das West-Nil-Virus mache sich inzwischen auch in Europa breit, übertragen durch einheimische Mücken. Diese Krankheit macht uns "gewisse Sorgen", sagt Groschup. Der Erreger hat sich seit 1999 in weiten Teilen Amerikas etabliert - seitdem starben dort mehr als tausend Menschen.

Auch auf das Nipah-Virus oder Krankheiten wie Krim-Kongo- oder Rifttal-Fieber schauen die Riemser Virologen mit Argus-Augen. Sie stehen entweder an der Schwelle zu Europa oder könnten über Flug- und Seehäfen eingeschleppt werden. Die für Rinder und Schafe gefährliche Blauzungenkrankheit, ursprünglich im südlichen Afrika beheimatet, hat den Sprung nach Europa bereits geschafft. 2006 tauchte die Krankheit, die durch blutsaugende Stechmücken übertragen wird, erstmals bei niederländischen Rindern, kurz danach in Belgien und Deutschland auf. Ein Jahr später erreichte die Seuche in Deutschland mit 20 813 Fällen ihren Höhepunkt. Durch flächendeckende Impfungen wurde sie gestoppt.

Seit Loefflers Tierversuchen haben sich auf Riems die Dimensionen virologischer Forschung maßgeblich verändert. Das erste Labor des Institutsgründers, das auch eine Wohnung für einen Angestellten umfasste, ist heute ein kleines Museum. Die Ställe aus den 1930er Jahren sind abgerissen. Über Jahrzehnte unsaniert wurden sie zu DDR-Zeiten zum Sicherheitsrisiko, wie Stasi-Unterlagen belegen.

An deren Stelle wächst seit zwei Jahren ein neuer Forschungskomplex empor. Mit den Laboren und Ställen der höchsten Biosicherheitsstufe L4 zählt das FLI dann zu den drei weltweit führenden Instituten für Tierseuchenforschung. Nun, genau 100 Jahre nachdem Loeffler mit seinen ersten Tierversuchen auf der Insel Riems begann, startet der Bezug des Neubaus. Bis 2011 soll hier die Tierseuchenforschung des Bundes konzentriert werden. (dpa)

Lesen Sie dazu auch: Friedrich-Loeffler-Institut: 100-jähriges Jubiläum für Tierseuchenforschung

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