HINTERGRUND

Frühchen können später meist ein normales Leben führen

Raimund SchmidVon Raimund Schmid Veröffentlicht:

Früh geborene Kinder in Deutschland mit einem Geburtsgewicht unter 1500 Gramm können als Erwachsene in den meisten Fällen ein normales Leben führen. Sogar extrem kleine Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht unter 1000 Gramm können später zum Teil die gleiche Lebensqualität erreichen wie Normalgeborene.

Dies ist das zentrale Ergebnis der deutschlandweit ersten Studie aus Würzburg, bei der unter Federführung von Professor Hans Michael Straßburg von der Universitäts-Kinderklinik Würzburg Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht unter 1500 Gramm im Erwachsenenalter zu ihrer Lebensqualität befragt worden sind.

Gefördert hat die Studie die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ), die den Ergebnissen große Bedeutung beimisst. Etwa 1,5 Prozent aller Kinder in Deutschland kommen inzwischen als Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht von unter 1500 Gramm zur Welt.

Frühere Studien wiesen auf Gesundheitsprobleme hin

Bisher ist man davon ausgegangen, dass die langfristige Prognose gerade extrem kleiner Frühgeborener schlecht ist. Denn etwa 30 Prozent der Betroffenen, so ergaben Studien, wiesen als Jugendliche unterschiedliche Gesundheits-, Lern- und Verhaltensprobleme auf. Daraus resultieren nicht selten vielfältige andere Probleme wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselstörungen oder psychiatrische Erkrankungen.

Die betroffenen Kinder müssen kontinuierlich betreut werden.

Nach den nun vorliegenden Ergebnissen einer bundesweiten Studie scheinen Schulerfolg, Gesundheitszustand und die Lebensqualität von ehemaligen sehr kleinen Frühgeborenen im Alter von 18 bis 25 Jahren jedoch nicht schlechter zu sein als bei Normalgeborenen. Dies geht aus der Auswertung von Daten von etwa 300 untersuchten Personen aus Ost- und Westdeutschland hervor. Die Ergebnisse stammen aus zehn Kinderkliniken (Wiesbaden, Ludwigshafen, Schwerin, Dresden, Münster, Saarbrücken, Leipzig, Amberg, Homburg/Saar, Würzburg). Die zentralen Erkenntnisse:

  • Etwa 80 Prozent aller Befragten haben einen qualifizierten Schulabschluss, 25 Prozent von ihnen das Abitur und 35 Prozent einen Realschulabschluss.
  • 85 Prozent konnten ihren Alltag selbstständig ohne spezielle Unterstützung bewältigen und hatten keine wesentlichen körperlichen Einschränkungen.
  • Bei Fragen zur Lebensqualität bezüglich Körper, Psyche, Selbstwert, Familie, Freunde und Schule schneiden die ehemaligen Frühgeborenen in den neuen wie auch in den alten Bundesländern genauso gut ab wie ihre Altersgenossen. Ihre Werte weichen nicht von den Ergebnissen einer Referenzgruppe von 593 16- bis 18-Jährigen in Hamburg ab, die mit normalem Geburtsgewicht zur Welt gekommen sind.

Zwar möchte Straßburg die Ergebnisse, die in allen Regionen ähnlich gewesen sind, nicht überbewertet wissen, da nur 30 Prozent der angeschriebenen Personen verwertbar geantwortet haben. Zudem müsse man davon ausgehen, dass gerade die früh geborenen jungen Erwachsenen, die ihre Lebensqualität eher schlecht beurteilen, nicht geantwortet haben. Trotzdem könne die bisher weit verbreitete These, wonach allein durch die Frühgeburt und den damit verbundenen Belastungen bleibende psychische Traumatisierungen und Krankheiten entstehen, nicht aufrechterhalten werden.

Die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin geht weiter davon aus, dass das gesundheitliche Risiko besonders für extrem kleine Frühgeborene deutlich erhöht ist. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass die Möglichkeiten der modernen Medizin diese Risiken gerade für Kinder mit einem Geburtsgewicht zwischen 1000 und 1500 Gramm in jüngster Zeit reduziert haben. Dazu ist es aber aus Sicht von DGSPJ-Präsident Professor Harald Bode notwendig, Frühgeburten ausschließlich in einem großen ausgewiesenen Zentrum vorzunehmen, in dem eine hohe fachliche Kompetenz für die Betreuung sichergestellt ist.

Zudem müssten Frühgeborene und ihre Familien vor allem in den ersten Lebensjahren trotz der damit verbundenen hohen Kosten intensiv und kontinuierlich - zum Beispiel in spezialisierten Kliniken oder Sozialpädiatrischen Zentren - begleitet werden. Straßburg regt zudem an, alle ehemaligen Frühgeborenen im Alter von fünf bis sechs Jahren neuropsychologisch zu testen, um mögliche Entwicklungsrückstände zu erkennen.

FAZIT

Frühgeborene können als Erwachsene meist ein normales Leben führen. Das ist die Kernthese der ersten bundesweiten Studie zur Lebensqualität sehr kleiner Frühgeborener als Erwachsene, die Sozialpädiater vorgestellt haben. Danach kann die These, wonach allein durch die Frühgeburt bleibende psychische Traumatisierungen und Krankheiten entstehen, nicht aufrechterhalten werden. Moderne Medizin hat die Risiken für Kinder mit einem Geburtsgewicht bis 1500 Gramm deutlich reduziert.

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