Solinger Arzt engagiert sich in Griechenland

Helfen im Flüchtlingscamp statt Urlaub

"Wir werden dort wirklich gebraucht", lautet das Fazit von Dr. Christoph Zenses nach seinem zweiwöchigen Aufenthalt im Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos. Den Hausarzt lassen die Erfahrungen, die er dort gemacht hat, nicht mehr los.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Dr. Christoph Zenses vor dem Medikamentenregal in der ERCI-Einrichtung auf Lesbos.

Dr. Christoph Zenses vor dem Medikamentenregal in der ERCI-Einrichtung auf Lesbos.

© Zenses

Dr. Christoph Zenses hat eine Empfehlung für Ärzte, die noch nicht wissen, wie sie ihren nächsten Urlaub gestalten sollen: Sie können auf die griechische Insel Lesbos fahren, um im Flüchtlingscamp Moria zu helfen.

"Wir werden dort wirklich gebraucht", weiß der Hausarzt aus Solingen, der im April zwei Wochen im Camp Moria gearbeitet hat.

Die Einrichtung ist berühmt-berüchtigt: Ausgelegt auf 2200 Flüchtlinge beherbergt sie inzwischen 6000. "Die Menschen sind eingepfercht in gefängnisartige Strukturen", sagt Zenses. Das Camp ist mit Nato-Stacheldraht eingezäunt, viele Familien leben monatelang in Zelten. Journalisten haben keinen Zutritt. Das Fotografieren der Zustände ist strengstens verboten.

Überfülltes Krankenhaus

Um die medizinische Versorgung im Camp Moria ist es schlecht bestellt. Es gibt ein kleines Krankenhaus auf der Insel. "Das ist zum Bersten voll", berichtet der Arzt.

Ein griechischer Kollege, der dort arbeitet, behandelt in seiner freien Zeit Patienten aus dem Lager. Das reicht bei Weitem nicht. Deshalb ist das ehrenamtliche Engagement von Ärzten, Pflegekräften und Medizinstudierenden dringend notwendig.

Ihren Einsatz organisiert das Emergency Response Centre International (ERCI), eine griechische Nichtregierungsorganisation.

Auf die Lage auf Lesbos ist Zenses durch einen Artikel in der "Ärzte Zeitung" gestoßen: Die Medizinstudentin Andia Mirbagheri war für zwei Wochen in dem Flüchtlingscamp und hatte ihre Erlebnisse geschildert. Für Zenses war klar: Dort will er auch helfen.

ERCI hat in dem Camp eine kleine medizinische Hilfseinrichtung aufgebaut. Dort war Zenses als "senior doctor" aktiv, diesen Titel führen Ärzte mit mindestens fünf Jahren Berufserfahrung. Ihm zur Seite standen vier junge Mediziner und Medizinerinnen aus unterschiedlichen Ländern.

Mit Triage-System vorgegangen

Bis zu 100 Patienten konnten sie pro Tag versorgen, unterstützt von Dolmetschern. Die meisten Flüchtlinge kommen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Die Ärzte sind nach einem Triage-System vorgegangen: rot für Notfälle, gelb für schwere Erkrankungen und grün für Patienten, die warten können.

Das Spektrum an Verletzungen und Krankheiten ist groß, das die Ärzte im Camp Moria zu sehen bekommen. Viele Flüchtlinge sind traumatisiert. Sie haben Folter und brutale Gewalt erlebt, sind Opfer von Vergewaltigungen geworden.

Viele leiden unter Bauch- oder Ganzkörperschmerzen, die schwierig abzuklären sind. Manche sprechen überhaupt nicht mehr. Es gibt psychologische Unterstützung, "allerdings auf sehr niedrigem Niveau".

Die Ärzte kümmern sich um kleinere und größere Wunden – "manche sind im Lager entstanden, andere wurden schon mitgebracht".

Sie müssen unverheilte Brüche versorgen, Bombensplitter entfernen, einige Flüchtlinge haben seit Jahren Kugeln im Körper. Die Mediziner behandeln Hauterkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes oder Harnwegsinfekte.

Der Vorrat an Medikamenten ist gering. "Manchmal habe ich in der Apotheke selbst Arzneimittel gekauft", berichtet Zenses.

Die Zustände in dem Lager lassen ihn nicht mehr los. "Es geht um Menschen, die einfach unsere Hilfe brauchen", betont der Arzt. Seiner Ansicht nach tut die Europäische Union viel zu wenig, um das Schicksal der Flüchtlinge zu verbessern. "Umso wichtiger ist es, dass man ehrenamtlich hilft."

Zenses sucht Mitstreiter

Die Arbeit im Camp Moria war nicht das erste humanitäre Engagement des Solinger Internisten. Im vergangenen Jahr war er auf dem Flüchtlingsrettungsschiff "Sea Watch" im Mittelmeer im Einsatz. Für die Organisation "Pro Ost" hat er im ukrainischen Tschernobyl Ultraschalluntersuchungen der Schilddrüse gemacht, für die Kinderhilfeeinrichtung "Friedensdorf International" war er in Angola.

Und auch in Deutschland ist der 58-Jährige neben seiner Praxistätigkeit aktiv. Er leitet die Sozialprojekte des Solinger Ärztenetzes Solimed und engagiert sich beim Medimobil, der "Praxis ohne Grenzen" und der Medikamententafel.

Zenses hofft, möglichst viele Kollegen zu einem Engagement im Camp Moria motivieren zu können. Gleichzeitig sammelt er Geld- und Medikamentenspenden für die Einrichtung (Kontakt: zenses@solimed.de)

Der Solinger Arzt überlegt, im Sommer erneut nach Lesbos zu fahren. Vielleicht begleitet ihn seine Ehefrau auf die griechische Insel. Sie ist Pädagogin.

Auch für sie gibt es dort gute Einsatzmöglichkeiten. "In zwei Wochen kann man viel Gutes tun." Das ist besser, als einfach nur Urlaub zu machen, findet Zenses.

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