Schmerzmittel-Missbrauch im deutschen Fußball

„Ibuprofen wie Smarties gegessen“

Viele Fußballer in Deutschland nehmen offenbar Schmerzmittel ein – im Profi- und im Amateurbereich. Das geht aus einer ARD-Doku hervor. Ärzte warnen vor dem Medikamentenmissbrauch, der DFB-Präsident zeigt sich sschockiert.

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„Ibuprofen wird wie Smarties gegessen“, sagt Neven Subotic, Verteidiger bei Union Berlin.

„Ibuprofen wird wie Smarties gegessen“, sagt Neven Subotic, Verteidiger bei Union Berlin.

© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Frankfurt/Main. Im Profi- und Amateurfußball wird gefährlich oft zu Schmerzmitteln gegriffen. „Was ich in den letzten 14 Jahren mitbekommen habe – Ibuprofen wird wie Smarties gegessen“, sagte Neven Subotic, Bundesligaspieler vom 1. FC Union Berlin in der ARD-Dokumentation „Hau rein die Pille“, die am Dienstagabend ausgestrahlt wurde.

Die Debatte ist nicht neu, bekommt aber durch die aktuellen Aussagen oder die Bilder des ehemaligen Bundesliga-Profis Ivan Klasnic, der sich drei Nierentransplantationen unterziehen musste und mit seinem Ex-Club zum Thema Schmerzmittel gerichtliche Auseinandersetzungen hatte, neue Nahrung.

Sportmediziner: „Mentalität hat sich geändert“

Der Sportmediziner Professor Fritz Sörgel warnte vor allem vor den Folgen für den Breitensport. „Klar ist: Die Verwendung von Schmerzmitteln hat zugenommen – sowohl beim Profi-, als auch beim Amateur-Sportler. Die Mentalität, auch im Freizeitsport etwas einzunehmen, hat sich deutlich geändert“, sagte der Pharmakologe der „tz“ und dem „Münchner Merkur“. Die Einnahme werde „quasi gesellschaftlich akzeptiert.“

„Von den Vereinen gibt es da auch nach meinem Wissen keine große Aufklärungsarbeit, weil sie eben auch unter Druck stehen, den Spieler so schnell wie möglich fit zu kriegen“, sagt Subotic in der ARD-Doku.

Der Profi spricht von einem System, das „einfach eine Weitergabe von Druck“ sei: „Der gibt’s auf den Nächsten, auf den Nächsten und den Nächsten. Und am Ende hat der den meisten Druck, der am meisten zu verlieren hat.“

Auf Teufel komm‘ raus spielen können

Schmerzen betäuben, Entzündungen bekämpfen, um auf Teufel komm‘ raus spielen zu können. „Du kannst mir neun Mal sagen: „Du nimmst zu viel Schmerzmittel, lass es!“ Ich höre neun Mal weg“, bekannte Jonas Hummels, Bruder von BVB-Verteidiger Mats Hummels, der bis 2016 in der 3. Liga für SpVgg Unterhaching spielte.

Auch Dani Schahin, der unter anderem bei Fortuna Düsseldorf aktiv war und im vergangenen Sommer seine Karriere beendete, offenbarte in der ARD-Doku: „Die letzten drei, vier Jahre ging eigentlich gar nichts mehr ohne Schmerzmittel.“

Professor Toni Graf-Baumann prangert seit vielen Jahren diesen alarmierenden Missbrauch an, zu dem auch die vorbeugende Einnahme von Mitteln zählt. „Da läufst du gegen Mauern“, sagte der Ex-Berater des Weltverbandes FIFA und das Mitglied der Anti-Doping-Kommission des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).

„Da spielen das Geld, die Sponsoren, die ausufernden Gehälter und auch die Medien eine viel größere Rolle für die Sportverbände als die medizinische Vernunft.“

NADA: Kein Doping, sondern Medikamentenmissbrauch

Schmerzmittel zu nehmen, ist im Sport nicht untersagt, und steht nicht auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA). Dabei erfüllen die Analgetika zwei Kriterien, die für eine Aufnahme in die Liste sprechen.

„Die Kriterien Leistungssteigerung und Gesundheitsgefährdung sind erfüllt“, urteilte Dr. Hans Geyer, Forscher am Institut für Biochemie an der Deutschen Sporthochschule in Köln. „Nach meiner Auffassung widerspricht es auch der Ethik des Sports, wenn man nur mit Schmerzmitteln Sport treiben kann.“

Die Nationale Anti-Doping-Agentur (NADA) verwies am Dienstag auf die Verbotsliste der Wada, die „weltweit und in allen Sportarten“ gelte. „Viele Schmerzmittel stehen nicht auf der weltweit gültigen Verbotsliste der WADA, werden aber durchaus von Sportlern missbraucht. Daher handelt es sich definitorisch nicht um Doping, sondern um Medikamentenmissbrauch“, hieß es in einer NADA-Mitteilung.

DFB-Präsident Keller: „Schockierend“

Eine nicht repräsentative Umfrage zum Schmerzmittelkonsum im Amateurfußball unter 1142 Fußballspielern von „Correctiv“ zeigt, dass nicht unbedingt das große Geld eine Rolle spielt. Von den Befragten gaben 47 Prozent an, mehrfach in einer Saison zu Schmerzmitteln zu greifen; 21 Prozent nahmen sie einmal pro Monat oder öfter.

„Schockierend ist, dass es auch im Amateurfußball passiert“, sagte DFB-Präsident Fritz Keller der ARD. „Ich wusste, dass das Problem besteht, aber das präventiv einzunehmen, ist einfach Dummheit.“

Er wolle nun über die Landesverbände und über die Trainer eine Sensibilisierung schaffen. Denn der Sport im Amateurbereich sei „zur Gesunderhaltung gedacht und nicht dafür, dass man sich kaputt macht“, betonte Keller.

Verweis auf Studie über Marathonläufer

Die NADA verwies auch auf eine Studie, in der der Schmerzmittelgebrauch beim Bonn-Marathon 2010 untersucht wurde. 3900 Teilnehmer wurden damals anonym befragt. Die Hälfte gab an, Analgetika eingenommen zu haben, und zwar zu gleichen Teilen Männer wie Frauen.

„Solche Ergebnisse und Berichte sehen wir als sehr kritisch, die Risiken bei der Einnahme werden oft nicht bedacht“, teilte die NADA mit und verwies mit Blick auf den Fußball auch auf die Vorbildfunktion“ insbesondere jungen Sportlern gegenüber. (dpa)

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