Klang-Therapie

Musik – ein Fest für die Endorphine

Den Blutdruck senken mit Heavy Metal, den Dopamin-Spiegel erhöhen mit Klassik oder Techno. Musik kann Synapsen besser verknüpfen lassen und heilende Wirkung haben. Forscher sind den Klängen auf der Spur – und gehen bis zu den Neandertalern zurück.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Aktives Musizieren steigert tatsächlich die kognitiven Leistungen, unabhängig vom Alter und der Wahl des Instruments.

Aktives Musizieren steigert tatsächlich die kognitiven Leistungen, unabhängig vom Alter und der Wahl des Instruments.

© Mike Orlov / stock.adobe.com

"Ohne Musik", heißt es bei Friedrich Nietzsche, "wäre das Leben ein Irrtum." Tatsächlich ist ihre Wirkmacht vielfach belegt: Musik verringert Schmerzen, senkt Blutdruck und Herzfrequenz, lindert Symptome bei Parkinson und Multipler Sklerose, bringt Licht in das Leben von Depressiven, regt Demenzpatienten an, sich zu erinnern, und Autisten, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten.

Rhythmen regen Sportler zu Höchstleistungen an, Melodien trösten uns, Klänge sind förderlich beim Prozess des Entspannens, und bei Operationen benötigen Patienten unter fröhlicher Beschallung weniger Narkotika. Wer selbst musiziert, kann sogar den eigenen Alterungsprozess verlangsamen.

In unserer von Dualismen geprägten Gegenwart mag es wenig verwundern, dass die Macht der Musik nicht allein zu unserem Wohle genutzt und eingesetzt wird, sondern dass Menschen mit ihrer Hilfe auch manipuliert, aufgeputscht, gedemütigt und sogar gefoltert werden.

Nachweis durch MRT

Seit langem bekannt ist, dass sowohl beim Musizieren als auch beim Hören bestimmter Melodien und Rhythmen Endorphine ausgeschüttet werden, endogenes Morphin, dass die analgetische und euphorisierende Wirkung von Musik erklärt. Bildgebende Verfahren wie die funktionelle Magnetresonanztherapie (fMRT) haben in jüngerer Zeit zudem die Verarbeitung musikalischer Strukturen im Hirn visualisiert.

Bei Berufsmusikern beispielsweise ist das Corpus callosum, das die rechte und linke Hemisphäre des Großhirns verbindet, stärker ausgeprägt als bei Nichtmusikern. Wie der Neurologe Professor Gottfried Schlaug vom Department of Neurology der Harvard Medical School in Boston (US-Bundesstaat Massachusetts) und Direktor des Music and Neuroimaging Laboratory in einer Studie nachwies, sind die auditiven und motorischen Hirnregionen von Berufsmusikern besser miteinander verbunden. Die Plastizität in diesem Netzwerk, so Schlaug, könne die sensomotorischen und kognitiven Verbesserungen erklären, die man bei Musikern, die regelmäßig übten, beobachte.

Neu ist zudem die Erkenntnis, dass das Muster unserer Hirnaktivität wie auch die dauerhaften Veränderungen unserer Hirnstrukturen davon abhängig sind, welche Musik wir hören oder spielen. Eine Forschergruppe um Vinoo Alluri von der Universität Jyväskylä in Finnland spielte Probanden verschiedene Musikstücke vor – ein Konzert von Vivaldi, Jazz von Miles Davis, Popsongs von den Beatles, Blues, Tango – und zeichnete dabei mittels fMRT die Hirnaktivität der Studienteilnehmer auf.

Bei allen gleichermaßen aktiviert wurden Areale der Hörrinde, des limbischen Systems und motorischen Cortex‘. Unterschiede zeigten sich ebenfalls: Komplexe Musikstücke erhöhten die Aktivität im rechten Schläfenlappen, und bei textlastigen Popsongs verschob sich die Aktivität von der linken in die rechte Hirnhemisphäre.

Fallbeispiel: Disturbed

Überraschende Erkenntnisse zur Wirkweise unterschiedlicher Musikstile liefert eine Studie, die Professor Hans-Joachim Trappe, Direktor der Medizinischen Klinik II am Universitätsklinikum Bochum-Herne, im vergangenen Jahr vorgelegt hat (https://tinyurl.com/y868fq5v). Danach wirken nicht nur Kompositionen von Bach und Mozart blutdrucksenkend, sondern auch Heavy Metal.

Trappe und Kollegen wiesen an ihren Probanden nach, dass es unter Beschallung mit Musik der US-Metal-Band Disturbed sowohl zu einer Senkung des systolischen und diastolischen Blutdrucks kam als auch zu einer Senkung der Herzfrequenz. Auch wenn die Effekte geringer waren als bei Musik von Bach oder Mozart, waren sie doch signifikant und deutlich stärker als bei einer Beschallung mit Musik der schwedischen Popband ABBA.

Dass Stücke wie "Mamma Mia" oder "Dancing Queen" weniger entspannend wirken, kann wie oben beschrieben an ihrer Textlastigkeit liegen, ließe sich aber auch mit ihren zum Tanz anregenden Rhythmen erklären, die motorische Areale im Gehirn aktivieren und zu einer gesteigerten zentralnervösen Aktivität führen.

Mozart im Fokus

Wenn es um den heilsamen Einfluss von Musik geht, steht vor allem ein Komponist im Mittelpunkt: Die Musik von Mozart senkt nicht nur den Blutdruck und die Herzfrequenz, sondern lindert zudem die Pein bei Tinnitus, steigert das räumliche Vorstellungsvermögen, reduziert bei Epilepsie die Zahl der Anfälle wie auch deren Intensität, wirkt sich bei Frühgeborenen positiv auf ihren Energiehaushalt aus, senkt den Stress und die Aggressivität von Neugeborenen und verhindert nach einer Herztransplantation möglicherweise sogar die Abstoßung des Spenderorgans.

Einen Hinweis darauf, warum ausgerechnet Mozarts Musik so viele positive Effekte zeigt, liefert Dr. John R. Hughes vom University of Illinois Medical Center in Chicago mit seiner Studie über den Einfluss von Musik auf Epilepsie-Patienten.

Der Neurologe analysierte verschiedene Kompositionen per Computer und fand heraus, dass die Werke des Salzburger Musikers und Komponisten ein überdurchschnittliches Maß an Periodizität aufweisen, Töne und Intervalle also häufig wiederholt werden, was sich offenbar besonders positiv auf das Herz-Kreislauf-System auswirkt.

Dagegen gilt, was man gemeinhin unter dem "Mozart-Effekt" versteht, inzwischen als widerlegt: Die Musik des österreichischen Genies macht Kinder nicht schlauer, wie man früher glaubte, sondern bestenfalls ruhiger. Gutes bewirken Eltern, wenn sie ihrem Nachwuchs ermöglichen, ein Instrument zu erlernen. Denn aktives Musizieren steigert tatsächlich die kognitiven Leistungen, unabhängig vom Alter und der Wahl des Instruments.

Musik vor 35.000 Jahren

"Es schwinden jedes Kummers Falten, solang des Liedes Zauber walten", dichtete einst Friedrich Schiller, seines Zeichens nicht nur Lyriker, Dramatiker, Philosoph und Historiker, sondern auch Arzt. Die beglückende Wirkung von Musik war schon den Frühmenschen bewusst. Als die ältesten, eigens zum Musizieren gefertigten Instrumente gelten die Knochenflöten von Geißenklösterle, auf denen Menschen vor 35.000 Jahren musiziert haben.

Der britische Anthropologe und Experimentalpsychologe Professor Robin Dunbar von der Oxford University ist überzeugt, dass die frühen Hominiden ihr Gemeinschaftsgefühl durch Tratsch, vor allem aber durch gemeinsames Musizieren und Tanzen gestärkt haben und dass dabei ebenso viel Endorphine ausgeschüttet wurden wie bei den Affen während ihrer ausgiebigen Kraul- und Entlausungsprozedur.

Die Neurologin Valorie Salimpoor von der McGill University in Montreal, Kanada, geht sogar so weit zu behaupten, dass Musik unter Umständen ähnlich euphorisierend wirkt wie psychoaktive Drogen: In ihrer Studie hat sie Probanden mit Klassik, Rock, Punk und Techno beschallt und währenddessen die wichtigsten physiologischen Parameter gemessen. "Eine Person erlebte einen Anstieg seines Dopaminspiegels um 21 Prozent", berichtet die Neurologin. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Zunahme von Dopamin nach Kokainkonsum liegt bei 22 Prozent.

Lesen Sie dazu auch: Psychologie: Marschmusik - Je lauter, desto bedrohlicher

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