Seit fast 100 Jahren geben Frauen den Ton an

Mit dem Mut einer Löwin brachte Ruth Stützel, eine der ersten studierten Pharmazeutinnen, nach dem 2. Weltkrieg die zerstörte Löwenapotheke wieder zum Laufen. Heute ist die Offenbacher Apotheke ein moderner Großbetrieb - und immer noch fest in Frauenhand.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Früh übt sich: Inhaberin Franziska Hoefer spielte schon als Kind gern mit Medikamentenpäckchen im Kaufladen.

Früh übt sich: Inhaberin Franziska Hoefer spielte schon als Kind gern mit Medikamentenpäckchen im Kaufladen.

© smi

Tradition, formulierte einst der Komponist Gustav Mahler, "ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche."

Für die Offenbacher Apothekerin Franziska Hoefer spiegelt Mahlers Aphorismus die Philosophie ihres Unternehmens - nämlich die traditionellen Werte einer nahezu 250 Jahre alten Offizin mit den Anforderungen der Gegenwart und Zukunft zu verknüpfen. Oder: "Wir wollen das, was wir gut können, ständig verbessern."

Die Apotheke zum Löwen wurde 1770 in der damals gerade erst angelegten Frankfurter Straße gegründet, der heutigen Fußgängerzone im Herzen der Stadt. Damals gehörten vor allem Senfpflaster, Duftwässerchen, der "wundervolle" Schnupftabak du Céphalique sowie gewisse Spezialliqueurs für die Cavaliers zum Sortiment.

Erste Erfolge mit Senfpflaster und Schnupftabak

Gründer und Inhaber Dr. Andreas Amburger brachte es schnell zum Hofrat, zum Fürstlich Ysenburger Hofapotheker und schließlich zum Obermedizinalrat. Nach seinem Tod ging die Apotheke an den Erlanger Josef Heinrich Merz über, der sie im Jahr 1809 für 15 815 Gulden ersteigerte.

Vier Generationen blieb sie im Besitz seiner Familie, bevor mit Rudolf Otto 1899 ein aufsteigender Pharmazeut die Offizin übernahm. Otto entwickelte das Analgetikum Citrovanille, das Kopfschmerzgeplagten auch heute noch Linderung verspricht.

Weil er seine Erfindung industriell vermarkten wollte, veräußerte er schließlich die Löwen-Apotheke an Otto Boden, von dem sie 1919 wiederum Friedrich Stützel erwarb, Urgroßvater der heutigen Inhaberin Franziska Hoefer.

Seither geben in der Apotheke zum Löwen die Frauen den Ton an. Während Dr. Horst Stützel im Krieg weilte, führte seine Frau Ruth, eine der ersten studierten Pharmazeutinnen, die Geschäfte weiter. Am 18. März 1944 wurde das zweistöckige Fachwerkhaus in der Frankfurter Straße durch Brandbomben völlig zerstört.

Ruth Stützel, so berichtet die Familienchronik, eilte in den noch brandheißen Keller und grub in den rauchenden Trümmern nach brauchbaren Medikamenten, mit denen sie in gemieteten Räumen den Neuanfang wagte, während auf den Ruinen in der Frankfurter Straße bereits die neue Löwen-Apotheke entstand.

Franziska Hoefer ist "heilfroh, dass wir nicht in einer historischen Offizin mit Schubladensystem arbeiten müssen", insofern hatte der Brand von 1944 im Nachhinein sogar sein Gutes. Heute ist die Apotheke zum Löwen vollautomatisiert und hält 16.000 verschiedene Medikamente in etwa 100.000 Packungen ständig bereit.

60 Mitarbeiter arbeiten hier sowie in der 2009 eröffneten Filiale im Offenbacher Einkaufszentrum KOMM, überwiegend in Teilzeit, bis auf die Fahrer und Hausmeister sind alle Angestellten weiblich.

Das gute Betriebsklima zählt neben Respekt, Qualität, Verantwortung und Ehrlichkeit zu den schriftlich fixierten Werten des Unternehmens. "Wir wollen, dass sich unsere Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen identifizieren", sagt Franziska Hoefer, "wir wollen nicht Wachstum um jeden Preis."

Lochkartensysteme zur Medikamentenbestellung

Als die Apotheke zum Löwen 1949 wiedereröffnete, waren fast all jene Mitarbeiter, die schon vor Kriegsbeginn hier tätig gewesen waren, mit dabei. Die Stützels lenkten die Offizin durch die Trümmerzeit, das Wirtschaftswunder und die Zeit der Studentenbewegung.

1970 führte Dr. Horst Stützel als erster Apotheker in der Bundesrepublik ein Lochkartensystem ein und ebnete damit der elektronischen Arzneimittel-Bestellung den Weg: Tradition und Fortschritt, für die auch Franziska Hoefer in der nunmehr vierten Stützel-Generation steht.

1973 in Offenbach geboren, hat sie eigenen Angaben nach schon als Kind gern im Kaufladen mit Medikamentenpäckchen gespielt. Nach ihren Berufswünschen gefragt, antwortete die Grundschülerin "Chefin", schließlich kannte sie das von Mama und Oma.

Ihre Mutter habe nie Druck auf sie ausgeübt, einmal die Familien-Apotheke zu übernehmen. Dass sie selbst Apothekerin geworden ist, habe einen simplen Grund: "Mir ist einfach nichts Besseres eingefallen." Von 1993 bis 1997 studiert sie in Freiburg Pharmazie.

Nach ihrem Abschluss zog sie zunächst in die Niederlande, dann nach Berlin, arbeitete im Anschluss an ihr Praktisches Jahr als angestellte Apothekerin in Berlin, später bei einem pharmazeutischen Unternehmen in der englischen Stadt Sandwich, absolvierte ihren MBA in Leeds, bevor sie in Bristol anderthalb Jahre lang in einer Krankenhausapotheke und drei Jahre bei der englischen Apothekenkette Boots the Chemists arbeitete.

2005 kehrte Franziska Hoefer in ihre Heimatstadt zurück und übernahm ein Jahr später von ihrer Mutter die Geschäftsleitung der Apotheke zum Löwen. Seit 2009 ist die Mutter zweier Kinder Inhaberin des Unternehmens und arbeitet wie ihre Angestellten Teilzeit.

Beratung in vielen Sprachen

"Die Kundenbeziehung steht bei uns an allererster Stelle", sagt die 38-jährige Unternehmerin. Da sie selbst und viele ihrer Mitarbeiterinnen Fremdsprachen sprechen, darunter englisch, französisch, niederländisch, türkisch, griechisch, arabisch, "finden unsere Kunden Hilfe, die sie brauchen, in der Sprache, die sie verstehen". 1000 Kunden pro Tag danken es ihr.

Eine besondere Bedeutung weist die Pharmazeutin der Zusammenarbeit mit den Ärzten vor Ort zu. "Meine Vision ist", sagt sie, "dass wir zukünftig noch besser Hand in Hand arbeiten, da sehe ich auch für unser Gesundheitssystem noch ein Riesen-Einsparpotenzial."

Viermal im Jahr lädt die Apotheke zum Löwen einen Arzt in die Frankfurter Straße, der Patienten-Vorträge über Raucherentwöhnung, Demenz oder Schlaganfall hält. Umgekehrt referiert die Apothekerin auch mal im Hausärztenetz Offenbach über Rabattverträge. "Wir wollen das Verständnis füreinander verbessern", sagt Franziska Hoefer.

Gut gerüstet für die Zukunft

Insgesamt sieht sie die Löwen-Apotheke, zu der neben der Filiale im KOMM auch das Kosmetik-Institut laLionne gehört, für die Zukunft gut aufgestellt. Ob sie die Flamme dereinst an eines ihrer Kinder weitergeben wird? "Mal sehen", sagt sie und lacht.

Mehr zum Thema

Vor dem World Health Assembly

WHO-Pandemieabkommen noch lange nicht konsensfähig

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Aktuelle Forschung

Das sind die Themen beim Deutschen Parkinsonkongress

Lesetipps
Die Empfehlungen zur Erstlinientherapie eines Pankreaskarzinoms wurden um den Wirkstoff NALIRIFOX erweitert.

© Jo Panuwat D / stock.adobe.com

Umstellung auf Living Guideline

S3-Leitlinie zu Pankreaskrebs aktualisiert