Indien

Sterilisationen am Fließband

Nicht in China werden weltweit am meisten Frauen sterilisiert, sondern in Indien. Menschenrechtler kritisieren dabei die Methoden: gegen Geld, schmutzig, manchmal sogar tödlich.

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13 Frauen sind infolge einer Sterilisation in Indien festorben.

13 Frauen sind infolge einer Sterilisation in Indien festorben.

© Str/dpa

NEU DELHI. Immer wieder setzt der Arzt im Krankenhaus Nemi Chand in Indien an diesem Tag das Skalpell am Bauchnabel an. Er durchtrennt die Eileiter und bindet sie ab. Die Operation dauert nur wenige Minuten, dann eilt er zur nächsten Patientin.

83 Frauen wurden laut indischen Medien so in nur fünf Stunden unfruchtbar gemacht. Das ist so üblich: Die Behörden organisieren jedes Jahr in jedem Distrikt des Bundesstaates Chhattisghar zwei bis drei "Familienplanungscamps".

Doch etwas lief diesmal schief. "Die Frauen gingen nach Hause, sie wurden krank und mussten wieder ins Krankenhaus", klagt einer der Angehörigen. Fernsehbilder zeigen, wie sich Frauen unter Schmerzen winden, während sie, an Infusionen hängend, hineingerollt werden.

13 Frauen sterben wenige Tage nach der Sterilisation. Etwa 60 Frauen sind noch immer in Behandlung. 

Arzt festgenommen

Mittlerweile wurde der Arzt festgenommen. Er sei auf der Flucht gewesen, aber im Distrikt Baloda Bazar im zentralindischen Chhattisgarh geschnappt worden, sagte ein Verwaltungssprecher am Donnerstag.

Der Arzt sagte nach seiner Festnahme örtlichen Medien, die Behörden hätten Druck auf ihn ausgeübt, möglichst viele Frauen zu sterilisieren. Am Tod seiner Patientinnen sei er nicht schuld. "Die Operationen verliefen gut, doch das Problem waren die Medikamente, die den Frauen nach der Operation verabreicht wurden."

Angehörige sprechen von Pfusch

Die Angehörigen sprechen von Pfusch: Das Hospital sei seit Jahren im Rohbauzustand, es gebe dort kaum technische Hilfsmittel und auf den Tabletten stand kein Verfallsdatum. "Viele dieser Camps werden in dreckigen Räumen abgehalten", klagt auch Kerry McBroom.

Sie ist Direktorin der Abteilung für Reproduktionsrechte im Human Rights Law Network in Neu Delhi, das Menschenrechtler bei einem Gerichtsverfahren gegen diese Sterilisations-Camps unterstützt.

"Direkt nach der Operation werden die Frauen normalerweise einfach auf den Boden gelegt", sagt McBroom. Manchmal gebe es weder fließendes Wasser noch Strom.

"Bei einem der Camps in Bihar operierte ein Arzt 60 Frauen in einer Nacht. Viele bluteten nach der Operation stark. Eine Frau war schwanger, was sie nicht wusste, und sie wurde vor der Sterilisation auch nicht getestet. Zehn Tage nach der Operation hatte sie eine Missgeburt."

1,25 Milliarden Einwohner

Indiens Bevölkerung wächst und wächst. Schon jetzt sind es 1,25 Milliarden Menschen; und laut UN-Berechnungen wird Indien in etwa 15 Jahren China als bevölkerungsreichstes Land der Welt ablösen.

Das Rote Riesenreich dämmt die Zahl der Menschen mit der - nun etwas gelockerten - Ein-Kind-Politik ein. In Indien verhütet nur etwa die Hälfte der Menschen überhaupt.

Da Gesundheit die Sache der Länder ist, versucht jeder Bundesstaat auf seine Weise, das Bevölkerungswachstum einzudämmen. Am beliebtesten dabei ist das Durchtrennen der Eileiter.

Nach Recherchen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch werden etwa die Mitarbeiter in Gujarat gezwungen, jährlich eine bestimmte Zahl von sterilisierten Frauen in ihrer Region vorzuweisen, sonst drohen ihnen Gehaltskürzungen. Andere versprechen den Frauen Geschenke für die Unfruchtbarkeit, etwa Autos, Goldmünzen und Lotterie-Preise.

Oft bekommen die Frauen in den Camps, die zumeist in sehr ländlichen, armen Regionen leben, auch einfach Bargeld. In Chhattisgarh, wo nun acht Frauen starben, waren es nach offiziellen Angaben 1400 Rupien, das sind nicht einmal 20 Euro.

200 Rupien pro Vermittlung

"Die Vermittler bekommen 200 Rupien pro Frau, die sie zu den Camps bringen", sagt ein Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde, der nicht genannt werden wollte. Auch die Ärzte erhalten normalerweise eine Prämie pro Eingriff.

"Seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat Indien offiziell keine Zielvereinbarungen für Sterilisationen mehr», sagt Meenakshi Ganguly von Human Rights Watch. "Doch warum gibt es dann diese Camps?", fragt sie.

Frauen sollten das Recht auf Sterilisation haben - aber nur nach ausführlicher Beratung über die Risiken, Alternativen für die Verhütung und ärztliche Begleitung. Dazu müssten aber auch Tests vor der Operation und eine entsprechende Nachsorge gehören.

"Die Frauen sollten eine wirkliche Wahl haben", sagt Meenashi Ganguly. Sie weiß: Bis dahin ist es noch ein langer Weg. (dpa)

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