Ukraine-Krieg

Versorgung von Flüchtlingen: Warum gerade die Pädiatrie gefordert ist

Der Krieg in der Ukraine hat dazu geführt, dass viele Kinder – oft ohne Familienangehörige – auf der Flucht sind. Sie brauchen ein ganzes Set an Unterstützung, mahnt ein Pädiater. Er zeigt aber auch auf, wie Hilfslieferungen ins Kriegsgebiet wirklich bei den Hilfsbedürftigen ankommen.

Raimund SchmidVon Raimund Schmid Veröffentlicht:
Ankunft von flüchtenden Kindern in Lviv. Viele sind ohne Elternteil oder andere Familienangehörige unterwegs.

Ankunft von flüchtenden Kindern in Lviv. Viele sind ohne Elternteil oder andere Familienangehörige unterwegs.

© Vitaliy Hrabar

München. Der Ukraine-Krieg hat dazu geführt, dass vor allem Kinder auf der Flucht sind – und das nicht immer in Begleitung ihrer Mütter oder naher Verwandter. Eine besondere Herausforderung, meint der Münchner Kinder- und Jugendarzt Professor Hubertus von Voss, ehemaliger Ärztlicher Direktor des Kinderzentrums München und früherer Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ). Viele Kinder seien unterernährt. Welche traumatischen Erfahrungen sie erleben mussten, sei noch gar nicht abzuschätzen.

Darauf müssten nun auch die Unterstützungsleistungen für die flüchtenden Familien ausgerichtet werden. Kinder hätten nach der UN-Kinderkonvention einen Anspruch auf höchstmögliche gesundheitliche und ärztliche Versorgung, Bildung und auch Förderung sowie Therapie (incl. Traumatherapie). Von Voss: „Dies sicherzustellen, ist daher für alle geflohenen Kinder aus der Ukraine aus kinder- und jugendärztlicher Sicht das Gebot der Stunde.“ Die Aufnahme in Krippen, Kindergärten, Schulen ist dabei seiner Meinung nach von besonderer Bedeutung, da Bildung auch einen Heilungsprozess nach erlebten Traumata begünstige. „Gerade die Pädiatrie darf sich ihrer Verantwortung hier nun nicht entziehen“, fordert von Voss.

Ungewöhnlicher Hilferuf

Seit Ausbruch des Krieges sind durch ihn eine Reihe von Initiativen in Gang gekommen. So wurde bereits am 16. März ein ca. 20 Tonnen schwerer Hilfstransport an die polnische Grenze bei Lemberg/LVIV geschickt, beladen mit medizinischem Gerät, Medikamenten (Antibiotika, Insulin etc.) und Babynahrung. Dort angekommen, wurden die Hilfsgüter auf Fahrzeuge der Ukraine umgeladen, berichtet von Voss. Dabei hätten die „Barmherzigen Brüder“ Regensburg zusammen mit Professor Michael Melter, Direktor der Uni-Kinderklinik in Regensburg, beschlossen, die Kosten und die Logistik für diesen Transport zu übernehmen.

Doch es sind längst nicht nur medizinische Hilferufe, die bei von Voss eingehen. Am 14. März hätte ihn ein Hilferuf aus 18 kleineren und größeren Orten der Region von Lemberg/Lviv ereilt, berichtet er, gebraucht würde dringend ein Feuerwehrauto. Zusammen mit den Münchener Feuerwehren organisierte von Voss auch dies.

Was es bei Hilfslieferungen zu beachten gilt

Damit Hilfsangebote funktionieren und wirklich bei denen ankommen, die sie benötigen, müssen aber einige Dinge erfüllt sein, wissen von Voss und Melter auch aus Hilfsaktionen, die sie in anderen Regionen der Welt organisiert haben:

  • Sponsor und Empfänger sollten sich gut kennen. Außerdem sollte der Sponsor über die Region Bescheid wissen, in die humanitäre Lieferungen gesandt werden sollen.
  • Staatliche Stellen des Empfängerlandes müssen in ein humanitäres Projekt voll eingebunden werden und Verantwortung übernehmen bzw. den Schutz der Transporteure garantieren.
  • Kleiderspenden sind wichtig, stellen aber nur einen Teil einer nachhaltigen humanitären Hilfe dar.
  • An den Grenzposten müssen Vertrauensleute auf Transporte warten und diese entgegennehmen. Nur so können Bestechung und Schwarzgeldzahlungen vermieden werden.
  • Alle gelieferten Gegenstände müssen gelistet werden. Bei Medikamenten muss klar sein, wie sie gelagert werden müssen (gekühlt oder bei Raumtemperatur) und dass die Lagerräume unter Verschluss sind.
  • Die Verteilung der Hilfsgüter in Krankenhäusern darf nur ärztlich koordiniert geschehen.
  • Der Empfang der Lieferung humanitären Hilfsgutes sollte stets in einem Dokument von dazu autorisierten Personen bestätigt werden.

Die Unterstützungsleistungen für die Ukraine aus München haben dabei eine lange Tradition: Sie gehen auf die seit 1989 bestehende Städtepartnerschaft zwischen München und Kiew zurück, wie von Voss berichtet. 1993 habe mit einem vom Volkswagenwerk gesponserten Startkapital in Höhe von damals 2 Millionen DM der Grundstein für den Aufbau von aktuell 100 Sozialpädiatrischen Zentren in der gesamten Ukraine gelegt werden können. Mehr als 100.000 Kinder hätten bis zum Ausbruch des Ukraine-Krieges von Diagnostik und Versorgung in diesen Zentren profitieren können, erläutert von Voss.

Das Engagement des Pädiaters ist auch dem Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen nicht verborgen geblieben. Das Ministerium hat von Voss, der zuvor schon erfolgreiche Hilfsaktionen für Kinder in Afghanistan, Rumänien und Syrien initiiert hatte, zum Fachlichen Koordinator für die Unterstützung in der Ukraine benannt.

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