Makellose Lippen für Instagram

Vom Glück, schön zu sein

Eine Körperkratie, die Herrschaft der schönen Körper, regiert soziale Netzwerke wie Instagram oder Snapchat. Influencer legen sich häufig unters Messer, um ihren Followern ihre schönsten Seiten zu präsentieren – mit Einfluss auf ihre jungen Fans.

Von Lisa Forster Veröffentlicht:
Alles echt? Aufgespritzte Lippen sind für junge Frauen in sozialen Medien im Trend.

Alles echt? Aufgespritzte Lippen sind für junge Frauen in sozialen Medien im Trend.

© peterpan / stock.adobe.com

BERLIN. Vivien Tatham kommt aus Deutschland, studiert in New York und ist eine ganz normale "Influencerin" – also eine Frau, die in den sozialen Medien besonders viele Leute erreicht. Unter dem Namen "iamvivientatham" zeigt die 24-Jährige mit langen flachsblonden Haaren und dunklen Augenbrauen auf Instagram ihre Outfits, ihre Reisen oder ihr Essen.

Doch dazwischen findet sich ein eher ungewöhnlicher Beitrag: Unter dem Hashtag #lippenunterspritzung hat sie ein Selfie von sich gepostet, in dem sie ihre fülliger aufgespritzten Lippen zeigt.

Tatham dürfte nicht die einzige Influencerin sein, die einen Schönheitseingriff vorgenommen hat – doch sie ist eine der wenigen, die darüber sprechen. Soziale Medien erhöhen den Druck, gut aussehen zu wollen, wie die Psychologin Ada Borkenhagen aus Berlin sagt.

Für manche reichen Schminke oder Filter da nicht aus. "Ich denke, dass die sozialen Netzwerke, insbesondere Instagram, schon einen Einfluss auf die Anzahl von Schönheitsoperationen haben", sagt Borkenhagen.

"Das ist total in Ordnung"

"Ich kenne einige, die sich ihre Lippen, Nase oder Brüste haben machen lassen, und ich finde, das ist total in Ordnung", sagt Tatham. "Was mich stört, ist, dass viele Leute nicht dazu stehen und so tun, als wäre alles natürlich. Viele Mädchen, besonders Jugendliche, schauen sich die ganzen Instagrammer an und denken, das sei real und jeder wäre schön – dabei sind das Filter oder aber auch Eingriffe, die sie so aussehen lassen haben.

 2017 waren sich in einer Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) 27 Prozent der befragten Fachärzte sicher, dass Trends, die in Massenmedien oder sozialen Medien behandelt werden, einen Einfluss auf die Nachfrage in ihrer Klinik haben. 53 Prozent glaubten das teilweise, nur 20 Prozent antworteten mit Nein.

Insgesamt nimmt die Zahl der Schönheitsoperationen laut einer Sprecherin der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC) kontinuierlich zu. VDÄPC und DGÄPC sind zwei Fachgesellschaften für ästhetische Chirurgie in Deutschland.

Ein zentrales deutsches Register für Schönheitsoperationen gibt es nicht. Die zwei Verbände zählten 2016 rund 43 000 ästhetisch-plastische Eingriffe der Ärzte, die bei ihnen Mitglied sind.

Jede Zweite Schönheits-Ops nicht abgeneigt

Nach einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Zeitschrift "Gala" ist jede zweite Frau in Deutschland Schönheitsoperationen grundsätzlich nicht abgeneigt. Befragt wurden 1002 Menschen ab 18 Jahren. Demnach können sich 51 Prozent der weiblichen Befragten einen operativen Eingriff am eigenen Körper vorstellen. Bei den Männern waren es 29 Prozent.

Aber: 95 Prozent der Befragten haben laut Befragung noch keinen Eingriff bei sich durchführen lassen. Unabhängig vom Geschlecht zeigt sich, dass sich eher jüngere Menschen eine Schönheits-Operation vorstellen können.

Zurück zur Influencerin Tatham: Die Lippenunterspritzung – ein sogenannter minimal invasiver Eingriff, für den keine chirurgische Operation nötig ist – war für die 24-Jährige eine Form der Selbstermächtigung: "Niemand braucht das per se, aber ich wollte es gerne für mich selber machen und bin auch sehr glücklich mit der Entscheidung", sagt sie. "Man lebt nur einmal, und man möchte so schön sein wie möglich – und wenn es Eingriffe gibt, die man ohne OP machen kann, dann: wieso nicht?"

Auch Borkenhagen sagt, dass Schönheitsoperationen zufriedener machen können. "Der Großteil der Menschen, das kann man an Studien sehen, ist relativ zufrieden nach einer Schönheits-OP, sofern medizinisch alles gut geklappt hat. Bei Menschen, die an einer psychischen Störung leiden, ist das natürlich anders."

Das Glück, schön zu sein

Dass es glücklich macht, schön zu sein, hängt mit gesellschaftlichen Idealen zusammen. "Wir leben in einer Körperkratie: Einer Herrschaft der schönen Körper", meint Borkenhagen. "Unsere körperliche Erscheinung ist ganz entscheidend geworden. Zum einen, um uns selbst zu definieren, zum anderen auch aus ökonomischen Gründen. Gutes Aussehen bringt auf dem Partnermarkt Erfolg, aber auch im Beruf. Ein Manager mit Tränensäcken und Hängebauch ist inzwischen kaum noch vorstellbar."

Wie in anderen Teilen der Gesellschaft finden sich auch auf Instagram Menschen, die das anprangern – nicht zuletzt wegen der großen Macht, die Influencer und soziale Medien inzwischen über junge Menschen haben.

Auch Louisa Dellert ist Influencerin, steht aber für eine völlig andere Haltung. Sie hat auf ihrem Blog darüber berichtet, warum sie sich gegen eine Schönheits-OP entschieden hat. Dabei war sie schon in einem Beratungsgespräch mit einem Chirurgen, nachdem ihr damaliger Freund ihr ins Gesicht gesagt hatte, ihre Brüste seien zu klein.

"Ich finde, dass der Schönheitswahn durch die sozialen Medien größer geworden ist", sagt die 28-Jährige. "Weil immer mehr Menschen ihre perfekten Bilder dort teilen, wodurch natürlich alle in die Versuchung kommen, auch so aussehen zu wollen."

Den Freund in die Wüste geschickt

Auf Instagram postet Dellert Fotos, auf denen sie auch mal ungeschminkt oder mit Cellulite zu sehen ist. "Ich probiere schon, den Leuten zu zeigen, dass ich nichts an meinem Körper retuschiere." Sie habe sich damals schließlich gegen die Schönheits-OP entschieden, weil es sich nicht richtig angefühlt habe.

Den Freund hat sie in die Wüste geschickt. "Und ich habe mir gedacht: Okay, deine Brust ist so, wie sie ist. Und die kann auch bei anderen so sein, wie sie ist. Natürlich habe ich immer mal wieder Tage, wo ich meine Brust nicht schön finde, oder zu klein. Aber ich bin darüber hinweg, sie deswegen verändern zu müssen." (dpa)

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