Landarztquote gegen Ärztemangel

Warum sich junge Medizinstudierende für den Quotenplatz entscheiden

Die Landarztquote soll helfen, den wachsenden Ärztemangel in Niedersachsen zu bremsen. Doch was bewegt junge Menschen zu der Verpflichtung, zehn Jahre lang als Arzt auf dem Land zu arbeiten? Zwei Studierende berichten.

Von Philip Dulian Veröffentlicht:
Annika Bölke, Medizinstudentin an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, steht auf dem Campus Haarentor. Bölke hat das Medizinstudium nach der Landarztquote angetreten.

Annika Bölke, Medizinstudentin an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, steht auf dem Campus Haarentor. Bölke hat das Medizinstudium nach der Landarztquote angetreten.

© Hauke-Christian Dittrich / dpa / picture alliance

Oldenburg/Göttingen. Annika Bölke ist eine der ersten: Gemeinsam mit 44 weiteren erfolgreichen Bewerbern hat die 33 Jahre alte Bremerin vor rund einem Monat ihr Medizinstudium nach der Landarztquote angetreten. Das heißt, die angehenden Ärztinnen und Ärzte haben sich dazu verpflichtet, nach Studium und Weiterbildung zehn Jahre als Hausärzte auf dem Land zu arbeiten. Im Gegenzug hat das Land Niedersachsen ihnen den Zugang zum Medizinstudium erleichtert.

Bölke studiert seit dem Wintersemester Medizin an der Universität Oldenburg. Acht Jahre lang hatte sie bereits versucht, einen Medizinstudienplatz zu ergattern. Für sie kam die Einführung der Landarztquote daher zum richtigen Zeitpunkt: „Also vor acht Jahren hätte ich mich dafür nicht beworben“, sagt sie. Bölke schloss in der Zwischenzeit eine medizinische Ausbildung ab und arbeitete bereits als Anästhesieschwester im ländlichen Raum. Sie habe ein Herz für diese Regionen. „Ich wusste genau, dass ich auf jeden Fall Hausärztin werden will. Völlig unabhängig von der Landarztquote“, sagt sie.

Die Studentin ist sich der angespannten Lage des Gesundheitssystems auf dem Land bewusst. „Es machen immer mehr Krankenhäuser im ländlichen Bereich zu. Eine Freundin von mir zum Beispiel hatte keine Geburtsklinik und keinen Kinderarzt mehr in der Nähe. Sie muss dann immer megaweit fahren“, schildert sie. „Und ich möchte das so ein bisschen auffangen.“

Echte Motivation oder Verzweiflungstat?

Das Instrument der Landarztquote sieht Bölke aber auch kritisch. „Anders kriegen sie die Leute nicht mehr, aber es ist auch ein bisschen mit der Brechstange“, sagt sie. „Ich pauschalisiere das jetzt einfach: Die meisten können wahrscheinlich nicht sagen, wie sie sich entwickeln, welchen Partner sie finden, wie viele Kinder sie kriegen und in welche Fachrichtung sie wollen. Ich weiß, dass es 20-Jährige ein bisschen aus Verzweiflung machen, aber da stimmt dann die Motivation dahinter nicht unbedingt.“

Eingeführt hatte die Landarztquote die vorherige Landesregierung aus SPD und CDU. Sie sieht vor, dass in Niedersachsen 60 Studienplätze in Humanmedizin per Quote vergeben werden – 15 Plätze je Winter- und Sommersemester in Göttingen sowie nur zum Wintersemester 18 Plätze in Hannover und 12 Plätze in Oldenburg. Machen die jungen Ärztinnen und Ärzte später einen Rückzieher von ihrer Zusage, aufs Land zu gehen, droht ihnen eine gesetzliche Vertragsstrafe von bis zu 250.000 Euro.

Über 500 Hausarztsitze schon heute nicht besetzt

Ziel der Quote ist es, den sich zuspitzenden Ärztemangel in Niedersachsen aufzuhalten. Denn bis zum Jahr 2035 könnte die Anzahl der Hausärztinnen und Hausärzte von jetzt mehr als 5200 auf rund 3750 sinken. Das geht aus einer Prognose der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) vom März hervor. Mehr als 500 Hausarztsitze sind demnach schon jetzt nicht mehr besetzt.

„Viele im ländlichen Raum praktizierende Ärztinnen und Ärzte werden in absehbarer Zeit in den Ruhestand gehen“, sagte auch Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) im Februar vor dem ersten Bewerbungsstart. Mit der Landarztquote werde daher eine wichtige Vorsorge getroffen, um dem zunehmenden Mangel an Medizinerinnen und Medizinern im ländlichen Raum zu begegnen.

Für die stellvertretende Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen, Marion Charlotte Renneberg, ist die Landarztquote allein aber nicht ausreichend, um dem Ärztemangel kurzfristig entgegenzuwirken: „Einerseits dauern die ärztliche Ausbildung sowie die daran anschließende fachärztliche Weiterbildung mindestens zwölf Jahre, weshalb auch noch keine Aussage dazu getroffen werden kann, ob sich das Verfahren schon bewährt hat. Andererseits ändert sich dadurch nicht die Gesamtzahl der Studienplätze, die dringend erhöht werden muss.“ Renneberg fordert zudem, die Arbeitsbedingungen für die Ärzte zu verbessern. „Dazu gehört auch, dass die Lebensentwürfe jüngerer Generationen berücksichtigt werden“, sagt sie.

Versorgungsengpässe sind jungen Menschen seltener bewusst

Auch Jannik Daentzer ist einer der ersten Medizinstudierenden, die ihren Studienplatz über die Landarztquote bekommen haben. Der 20-Jährige studiert seit Oktober an der Universität Göttingen. Der Student aus dem Landkreis Hameln-Pyrmont weiß seit der Grundschule, dass er Arzt werden möchte. „Spätestens jedoch seit der Zeit, in der ich nach dem Abitur im Rettungsdienst gearbeitet habe, war mir eindeutig klar, dass ich Medizin studieren möchte“, sagt er.

Er würde „gerne Teil der Lösung des Problems sein“, das ursächlich für die Einführung der Landarztquote in Niedersachsen war, erklärt er. Daentzer selbst gibt zu, er sei sich nicht immer über die problematische Situation um das Gesundheitssystem in den ländlichen Regionen im Klaren gewesen. „Das ist schließlich ein Teil dieses Problems: Solange man nicht unmittelbar vom Ärztemangel betroffen ist, bekommt man kaum etwas davon mit“, sagt der Student.

Trotz der langen Zeit, für die man sich nach dem Studium verpflichtet, habe er den Vertrag gerne unterschrieben. „Außerdem sind zehn Jahre kaum etwas gegen die strukturellen Schäden, die der Ärztemangel auf dem Land bis dahin anrichten könnte“, sagt er. (dpa)

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