Was hat Robert Enkes Suizid bewirkt?

Ein tragischer Tod: Vor einem Jahr hat sich Fußball-Nationaltorhüter Robert Enke das Leben genommen. Es ist Zeit für eine Zwischenbilanz: Hat sich der Umgang mit depressiven Menschen in Deutschland verändert?

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Tiefe Trauer, auch ein Jahr nach dem Suizid: Blumen und ein Bild auf dem Grab von Robert Enke.

Tiefe Trauer, auch ein Jahr nach dem Suizid: Blumen und ein Bild auf dem Grab von Robert Enke.

© dpa

Ein Jahr ist es her, dass sich Nationaltorwart Robert Enke das Leben nahm. Der Fußballprofi litt unter schweren Depressionen, die er jahrelang verheimlichte. Die öffentliche Anteilnahme an seinem Tod war überwältigend. Ärzte, Psychologen und Sportfunktionäre forderten als Reaktion einen offeneren Umgang mit der Krankheit. Wurden ihre Appelle gehört?

"Der tragische Tod von Herrn Enke hat den Betroffenen und auch der Öffentlichkeit gezeigt, dass Depression eine Krankheit ist, die jeden treffen kann, auch einen erfolgreichen, wohlhabenden Menschen mit einer offensichtlich liebevollen Frau und Familie, das heißt ohne deutliche äußere Gründe", sagt Professor Ulrich Hegerl, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie am Universitätsklinikum Leipzig sowie Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. "Das ist eine wichtige Botschaft und ein Beitrag zur Entstigmatisierung."

Nach Einschätzung der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, der Rechtsnachfolgerin des Kompetenznetzes Depression, leiden in Deutschland derzeit etwa vier Millionen Menschen an einer behandlungsbedürftigen Depression.

"Insgesamt hat sich die Situation depressiv Erkrankter in den letzten 30 Jahren deutlich verbessert, was sich daran zeigt, dass sich in den Statistiken die Zahl der Krankschreibungen und Frühberentungen wegen psychischer und auch depressiver Erkrankungen und auch die Verschreibung von Antidepressiva vervielfacht hat", so Hegerl. "Der Hauptgrund ist, dass mehr Betroffene sich professionelle Hilfe holen, dass Depressionen häufiger erkannt und korrekter benannt werden, das heißt nicht hinter Ausweichdiagnosen wie chronischer Rückenschmerz, Burnout oder Fibromyalgie versteckt werden."

Die bessere Versorgung, so schätzt der Leipziger Psychiater, sei auch ein wesentlicher Grund für den "sensationellen Rückgang der Suizide in Deutschland".

In den vergangenen 30 Jahren sei deren Zahl von 18 000 auf 9400 pro Jahr gesunken. Unter dem Dach der Stiftung Deutsche Depressionshilfe arbeiten in 64 Regionen Deutschlands Hausärzte sowie speziell geschulte Apotheker, Lehrer, Pfarrer, Altenpfleger und Journalisten zusammen mit dem Ziel, die Versorgung depressiv Erkrankter weiter zu verbessern. Auf diese Weise konnten in den betreffenden Regionen die suizidalen Handlungen (Selbsttötung und Suizidversuche) um mehr als 30 Prozent gesenkt werden.

"Prominente, die sich Hilfe geholt und gelernt haben, mit der Erkrankung umzugehen, sind ohne Zweifel für manche Betroffene ein Vorbild", meint Ulrich Hegerl. Umgekehrt könnten Prominente, die sich aufgrund ihrer Depression das Leben nehmen, andere auch zur Nachahmung (Werther-Effekt) anregen.

In den ersten sieben Wochen nach Robert Enkes Suizid, so ergab eine Studie des Münchener Helmholtz-Zentrums, warfen sich fast doppelt so viele Menschen vor einen Zug wie im Vergleichszeitraum zu erwarten gewesen wäre.

"Fußball ist nicht alles", sagte DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger vor einem Jahr auf der Trauerfeier für Robert Enke, zu der mehr als 40 000 Menschen ins Hannoveraner Stadion gekommen waren, und forderte einen offeneren Umgang mit den Schwächen der Profis.

Ein erster Schritt dahin war die im März dieses Jahres erfolgte Gründung der Robert-Enke-Stiftung durch den Deutschen Fußball-Bund, den Ligaverband und den Verein Hannover 96. Die Stiftung, die von Robert Enkes Witwe Teresa geleitet wird, fördert unter anderen Maßnahmen und Initiativen, die der Aufklärung und Erforschung von Depression sowie der Behandlung Depressiver dienen.

Heute, ein Jahr später, glaubt Zwanziger, dass das Echo auf Enkes Tod zumindest eines bewirkt hat: "Man hat Depressionen im Leistungssport in ihrer Breite und ihren Dimensionen als Volkskrankheit erkannt." Zudem glaubt er, "dass die Bereitschaft zur Hilfe und die Bereitschaft, sich helfen zu lassen, im vergangenen Jahr etwas größer geworden ist".

Skeptischer sieht dies Nationaltorwart René Adler vom Fußball-Bundesligisten Bayer Leverkusen. Zwar sei nach Enkes Tod "viel heiße Luft fabriziert worden, geändert hat sich aber nichts", sagte Adler im Gespräch mit dem Internet-Portal ran.de.

Die Fans zahlten viel Geld, um im Stadion Kampf und Leidenschaft zu sehen. "Für Schwäche ist aber kein Platz, das wollen die Zuschauer nicht, das will die Gesellschaft nicht sehen. Ich bedauere das sehr."

Die Stadt Hannover und Bundesligist Hannover 96 planen, in der Nähe der AWD-Arena eine Straße nach dem verstorbenen Fußballprofi zu benennen. "Durch so einen Schritt könnte der Mensch und Sportler Robert Enke gewürdigt werden", findet Vereinspräsident Martin Kind. "Das hat er verdient."

Weitere Informationen zum Thema finden unter www.robert-enke-stiftung.de und www.deutsche-depressionshilfe.de

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Enkes Tod und viele Fragen

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