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Ärzte als Lotsen im Quartier

Für die Versorgung älterer Menschen werden nicht nur Ärzte und Pflegekräfte gebraucht, sondern vor allem auch nachbarschaftliche Strukturen wie in einem Quartier. Die KV Westfalen-Lippe sieht Ärztenetze dabei als ideale Lotsen an.

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KÖLN. Wenn es um die umfassende Versorgung älterer Menschen im Quartier geht, wollen sich die niedergelassenen Ärzte an zentraler Stelle beteiligen.

"Wir können und wollen als Ärzte die Steuerung des medizinischen Anteils der Quartiersversorgung übernehmen", sagte der 2. Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), Dr. Gerhard Nordmann, auf dem "Gesundheitskongress des Westens 2014" in Köln.

Bei der Stärkung der Funktion als Lotsen und Koordinatoren könnten Ärztenetze eine wichtige Rolle spielen, sagte er. Die Vernetzung dürfe aber nicht auf Ärzte beschränkt bleiben. "Natürlich suchen wir aus der Netzstruktur heraus die Kooperation mit den lokalen Kliniken, den Pflegediensten und anderen Anbietern von Gesundheitsleistungen."

Da künftig weniger Ärzte mehr ältere Patienten versorgen müssen, wachse die Bedeutung der medizinischen Fachangestellten. "Die Arztpraxis der Zukunft besteht aus einem Team, in dem die Mediziner zwar die Entscheidungen treffen, in dem aber mehr Menschen die Patientenbetreuung übernehmen", sagte Nordmann.

Tätigkeiten wie Hausbesuche, Wundmanagement, Ernährungsberatung, Sturzprophylaxe oder geriatrische Assessments könnten von den nach Modellen wie EVA, VERAH oder AGNES qualifizierten Praxismitarbeiterinnen übernommen werden. Allerdings müssten diese Leistungen auch adäquat honoriert werden, betonte er.

"Quartier" ein Begriff mit negativer Konnotation

Professorin Ursula Lehr, Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, sieht den Begriff "Quartier" mit Unbehagen. "Ältere Menschen verbinden den Begriff mit Notquartier und Einquartierung." Er habe sich inzwischen aber wohl etabliert, bedauerte sie.

Angesichts des demografischen Wandels müsse alles getan werden, damit die Menschen möglichst gesund altern, betonte Lehr. Sie warnte davor, Alter und Pflegebedürftigkeit als Synonyme zu gebrauchen.

"Rehabilitation und Prävention müssen im Alter mehr Bedeutung gewinnen", forderte die ehemalige Bundesgesundheitsministerin. Der bereits 1995 ausgegebene Grundsatz "Reha vor Pflege" sei bis heute nicht verwirklicht. Dabei könnten mit der Umsetzung Kosten gespart und die Lebensqualität der Pflegebedürftigen erhöht werden.

Für die Versorgung älterer Menschen im Quartier sind umfassende Konzepte notwendig, sagte die Staatssekretärin im nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerium Martina Hoffmann-Badache (Grüne).

Das betreffe nicht nur den ambulanten und den stationären Sektor, sondern auch eine bessere Zusammenarbeit von Krankenhäusern und Pflegediensten und die Einbeziehung der Angehörigen. "Wir brauchen flexible Lösungen und passgenaue Angebote für die Situation vor Ort", sagte sie.

Herausforderung: genug Pflegepersonal

Eine wesentliche Herausforderung sieht der Gesundheitsökonom Professor Heinz Rothgang von der Universität Bremen darin, Maßnahmen zu treffen, um der sich abzeichnenden Lücke beim Pflegepersonal zu begegnen.

Nach dem "Pflegereport" der Bertelsmann-Stiftung werden 2030 rund 500.000 Personen in der Pflege fehlen. "Wir müssen alles unterstützen, was wir haben: Familie, formale Pflege, das Quartier und das zivilgesellschaftliche Engagement", sagte er.

Die meisten Ressourcen seien durch Quartierskonzepte und das zivilgesellschaftliche Engagement zu heben. Trotz aller Potenziale dürfe die Quartiersversorgung nicht überschätzt werden, warnte der Wissenschaftler. Bislang gebe es keine empirische Evidenz für die Wirksamkeit solcher Konzepte. (iss)

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