Gesundheit und Armut

Ärzte brauchen Hilfe von der Politik

Wer arm ist, stirbt früher. Das ist kein Thema, mit dem sich Politiker in Wahljahren gerne beschäftigen. Der Ärztetag hingegen zeigt Flagge, nennt unbequeme Wahrheiten und erläutert, wie Ärzte handeln können.

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:
Klares Signal: Der Ärztetag sieht Handlungsbedarf beim Thema Armut.

Klares Signal: Der Ärztetag sieht Handlungsbedarf beim Thema Armut.

© Preuss

BERLIN. Es mangelt bei Ärzten nicht an guten Ideen und konkreten Konzepten, um sich offensiv einem Problem zu stellen, das von der Politik zuweilen arg vernachlässigt wird:. Es geht um Chancengleichheit und eine bessere Gesundheitsversorgung für sozial benachteiligte Menschen.

Wer wenig verdient, lebt kürzer als sein Nachbar, der Monat für Monat deutlich mehr Euro auf seinem Gehaltskonto hat.

Das ist traurige Wahrheit - und doch nur einen Facette eines vielschichtigen Themas, das sich mit Menschen beschäftigt, die zu den Verlierern in der deutschen Wohlstandsgesellschaft gehören.

In einem Entschließungsantrag haben die Ärztetagsdelegierten in Hannover deutlich gemacht, dass Ärzte auf wachsende Widersprüche reagieren und gesundheitliche Auswirkungen von Armut stärker in den Fokus rücken werden.

Aktiv wollen sie dazu beitragen, dass Benachteiligung abgebaut und der Zugang zum Versorgungssystem verbessert wird. Zugleich stellten sie klar, dass dabei ihre eigenen Handlungsoptionen nicht grenzenlos sind. "Wir können als Ärzte nicht das Problem der Armut lösen" hieß es bei der Diskussion.

Hilfe für Wohnungslose

Was muss passieren? Der Ärztetag hat einen differenzierten Forderungskatalog formuliert. Dazu gehört zum Beispiel auch der Aufbau von professionelleren Kommunikationsstrukturen: Schwangere Frauen etwa, die im besonderen Maße psychisch belastet sind, sollen besser und überzeugender motiviert werden, Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen.

Handlungsbedarf sehen die Ärzte auch bei Erwachsenen: Langzeitarbeitslose sollten mehr medizinische Vorsorgeangebote bekommen. Darüber hinaus sei der Aufbau eines flächendeckenden Netzes medizinischer Hilfe für Wohnungslose dringend erforderlich, heißt es in der Entschließung..

"Wir haben als Ärzteschaft einen sozialmedizinischen Auftrag" sagte der nordrheinische Kammerpräsident Dr. Rudolf Henke.

BÄK-Präsident Professor Frank Ulrich Montgomery stellte klar, dass Ärzte sozial Benachteiligte beim Erkennen von Belastungsfaktoren und der Erschließung von Hilfsangeboten unterstützen können. "Alleine lösen können wir das Problem aber nicht." sagte er.

Der Ärztetag hat Handlungsbereitschaft gezeigt - jetzt liegt es auch an der Politik, ihre Hausaufgaben zu machen. "Wir brauchen frühzeitige Hilfe durch Sozialarbeiter, Kindererzieher und Lehrer", sagte Montgomery.

Dies setze aber einen Wandel voraus, zum Beispiel in der Jugend- und Bildungspolitik und in der kommunalen Jugendbetreuung.

Video

An dieser Stelle finden Sie Inhalte von movingimage EVP GmbH Um Videos von movingimage zu integrieren, brauchen wir Ihre Zustimmung. Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von movingimage übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät notwendig. Mehr Informationen dazu finden Sie hier .

Veröffentlicht: 30.05.2013 © Springer Medizin

Lebenserwartung in Glasgow: 28 Jahre Differenz

Gesundheitliche Ungleichheit gibt es in den meisten Industrieländern - mit extremen Auswirkungen.

Im Glasgower Problemstadtteil Calton haben Männer eine Lebenserwartung von 54 Jahren - genau so hoch wie in der Demokratischen Republik Kongo.

Im Nobelstadtteil Lenzie hingegen - von Calton mit dem Auto kaum mehr als 18 Minuten entfernt - liegt die Lebenserwartung laut WHO-Daten von 2008 bei 82 Jahren. Eine Differenz von 28 Jahren - und das in derselben Stadt.

Professor Olaf von dem Knesebeck vom Institut für Medizinische Soziologie, Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE), hat diese Zahlen bei der Debatte um Armut und Gesundheit auf dem Ärztetag genannt.

Sie zeigen: In den allermeisten Ländern gibt es gesundheitliche Ungleichheiten, es gibt sie in einzelnen Regionen, und manchmal werden sie sogar auf der Ebene von Städten und Stadtteilen deutlich.

Gesundheitliche Ungleichheit, so von dem Knesebeck weiter, lasse sich in allen Lebensphasen zeigen, vom Beginn des Lebens bis ins hohe Alter.

Sie wird beobachtet, seit es verfügbare Daten gibt und konnte in allen industrialisierten Ländern nachgewiesen werden -- wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Und: diese Ungleichheit hat sich in den vergangenen Jahren nach von dem Knesebeck eher vergrößert.

Ungleichheiten lassen sich mit Blick auf die medizinische Versorgung beim Zugang, in der Nutzung und in der Qualität beobachten - und das in unterschiedlicher Versorgungsbereichen, erläuterte er.

"Am häufigsten sind diese Ungleichheiten bei der Inanspruchnahme - vor allem im Bereich der Prävention - dokumentiert, seltener beim Zugang, noch seltener im Bereich der Qualität, so der Wissenschaftler.

Aber wie können Ärzte sich dem Problem stellen? Medizinsoziologe Knesebeck rät ihnen, sich im Bereich der Prävention und der Gesundheitsförderung verstärkt zu engagieren. Der Themenkomplex hat aus seiner Sicht einen extrem hohen Stellenwert.

"Die Reduzierung gesundheitlicher Ungleichheit - dazu gehören auch Auswirkungen von Armut - ist eine zentrale politische und gesellschaftliche Aufgabe", sagte er.

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Projekt von Charité und BMW

Neue Studie: Wie ein Auto einen Schlaganfall erkennen soll

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Morbus Crohn und Colitis ulcerosa

Chronisch entzündliche Darmerkrankung noch vor Ausbruch identifizieren

Lesetipps
Dass es in der Medizin zwischen Männern und Frauen relevante Unterschiede gibt, ist schon länger bekannt. Dennoch werden immer noch insbesondere Frauen häufig schlecht versorgt, weil beispielsweise beim Herzinfarkt frauentypische Symptome nicht richtig gedeutet werden.

© zagandesign / stock.adobe.com

Stärkere Verankerung im Studium

Gendermedizin: Vorbehalte in der Ärzteschaft gibt es immer noch

Ein Kind kratzt sich an der atopischen Haut in der Ellenbogenkuhle.

© Marina Terechowa / stock.adobe.com

Drei-Stufen-Schema

Atopische Dermatitis bei Kindern: Wie eine effektive Therapie aussieht

HSK im Fokus: Der Hauptstadtkongress 2024 findet von 26. bis 28. Juni in Berlin statt.

© Rolf Schulten

Themenseite

Hauptstadtkongress: Unsere Berichte im Überblick