Studie

Ärzte und Jugendämter reden zu wenig

Die Jugendämter sind überlastet. Das wirkt sich auch auf den Kontakt mit den Kinderärzten aus.

Veröffentlicht:

BERLIN. Der Informationsfluss zwischen Ärzten und Kinderschutzbehöden ist nach wie vor dünn. Auch sechs Jahre nach der Novelle des Kinderschutzgesetzes mit einer leichten Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht sei die Zusammenarbeit "nur wenig ausgeprägt", sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Kinderhilfe Rainer Becker am Montag in Berlin.

Anlass war die Vorstellung der Studie "Berufliche Realität im Jugendamt" der Hochschule Koblenz. Seit es die Netzwerkbildung im Zusammenhang mit den Frühen Hilfen gebe, laufe etwas mehr. "Insgesamt gibt es da Entwicklungsmöglichkeiten nach oben", sagte Becker.

Hausärzte sind oft die ersten, die Spuren von Gewalt an Kindern sehen. Die Änderung des Gesetzes aus dem Familienministerium im Jahr 2012 erlaubt Ärzten seither, die Jugendämter von einem Verdacht auf Misshandlung zu unterrichten. Zudem erhielten Ärzte mit dem Gesetz einen Beratungsanspruch für diese Situation.

Der Verband der Kinder- und Jugendärzte fordert seither eine Lockerung der Schweigepflicht auch auf Seiten der Ämter. Sie sollen die Information zurückspielen dürfen, ob sich der vom Arzt ausgesprochene Verdacht erhärtet hat. Schon die Evaluation der Gesetzesnovelle hatte 2015 Handlungsbedarf signalisiert. Nur wenige Pädiater kannten den Beratungsanspruch. Andere Ärzte waren nicht gefragt worden.

Der Kinderschutz erhalte trotz der mit dem Gesetz gewachsenen Aufgaben wie dem Kontakt zu medizinischen Einrichtungen kein zusätzliches Geld, sagte Studienautorin Professor Kathinka Beckmann. Die Finanzierung der Kinder- und Jugendhilfe liegt zu 78 Prozent bei den Kommunen. 2016 wurden dafür 12,2 Milliarden Euro ausgegeben, zwei Milliarden mehr als noch 2010. Das zwinge die Kommunen zum Sparen, sagte Beckmann. Derzeit betreue der einzelne Sachbearbeiter 50 bis 100 und mehr Familien. 35 seien angemessen. Für bessere Personal- räumliche und materielle Ausstattung solle der Bund einspringen.

Es sei haarsträubend, dass aufgrund von Personalmangel gefährdete, misshandelte und missbrauchte Kinder übersehen würden, nahm die Unionsfraktion Stellung. Es sei unverständlich, dass die Kommunen trotz Überschüssen von 9,7 Milliarden Euro im Jahr 2017 die Jugendämter kaputtsparten. Während auf Seiten der Jugendämter Kapazitätsprobleme für die schwache Kommunikation mit Ärzten verantwortlich ist, seien es auf Seiten der Ärzte ungeklärte Fragen zum Honorar.

Wenn ein Arzt spontan zu einem Hilfeplangespräch hinzugezogen werde, einer Besprechung von Behördenvertretern, Ärzten und anderen Beteiligten in einem Kinderschutzverfahren, dann müsse er seine Praxis verlassen und habe Honorarausfälle, sagte Beckmann. Dafür gebe es noch keine Lösung. (af)

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Mehr als ein oberflächlicher Eingriff: Die Krankenhausreform verändert auch an der Schnittstelle ambulant-stationär eine ganze Menge.

© Tobilander / stock.adobe.com

Folgen der Krankenhausreform für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte

Die Klinikreform bringt Bewegung an der Schnittstelle zwischen Praxen und Krankenhäusern

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztbank (apoBank)
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Risikofaktoren identifiziert

Für wen könnten Harnwegsinfekte gefährlich werden?

Laterale Ellbogenschmerzen

Diese sechs Kriterien sprechen gegen einen „Tennisarm“

Metaanalyse

Subjektive Krankheitsbelastung bei Krebs prognostisch relevant

Lesetipps
Übersichtsarbeit: Wie wirken Hochdosis-, rekombinante und mRNA-Vakzinen verglichen mit dem Standardimpfstoff?

© Sasa Visual / stock.adobe.com

Übersichtsarbeit zu Grippeimpfstoffen

Influenza-Vakzinen im Vergleich: Nutzen und Risiken

Serotoninkristalle, die ein Muster ergeben.

© Michael W. Davidson / Science Photo Library

Für wen passt was?

Therapie mit Antidepressiva: Auf die Nebenwirkungen kommt es an