Forderung nach Arbeitsminderungsbescheinigung
Ärzte uneins über Teilkrankschreibung
Ärzte haben nur eine Wahl: krankschreiben oder nicht krankschreiben. Einige Ärzte fordern vom Gesetzgeber die Teilkrankschreibung. Der Marburger Bund findet das gut, der Hausärzteverband bleibt skeptisch.
Veröffentlicht:BERLIN. Der Deutsche Hausärzteverband begegnet Forderungen aus der Ärzteschaft nach der Einführung von Teilkrankschreibungen reserviert. "Ein gut gemeinter Vorschlag, in der Praxis jedoch kaum handhabbar", sagte der Sprecher des Deutschen hausärzteverbands Vincent Jörres am Mittwoch der "Ärzte Zeitung".
Ein solches Modell müsste ja auch die jeweilige konkrete Situation am Arbeitsplatz im Blick behalten. Der Arzt müsste in jedem Einzelfall entscheiden, ob die Arbeitsumgebung für den einzelnen Patienten zumutbar sei, oder nicht, sagte Jörres. Es bestehe zudem die Gefahr, dass die krankgeschriebenen Patientenauf Druck des Arbitgebers länger arbeiteten als eigentlich verordnet.
Die Zahl der Fehltage in Folge psychischer Erkrankungen von Arbeitnehmern ist zwischen 2007 und 2017 um 67,5 Prozent gestiegen. Mit 26 Tagen je Fall dauern diese Arbeitsunfähigkeiten mehr als doppelt so lange wie der Durchschnitt von 11,1 Tagen.
Diese Daten aus dem am Dienstag veröffentlichten AOK-Fehlzeiten-Report haben weitgehend unbeachtet gebliebenen Beschlüssen der Hauptversammlung des Marburger Bundes (MB) und des Deutschen Ärztetages 2018 zu Aufmerksamkeit verholfen.
Symptome werden verstärkt
Beide Gremien hatten im Mai den Gesetzgeber aufgefordert, die Situation psychisch erkrankter Menschen durch die Möglichkeit einer Teilkrankschreibung zu verbessern. Insbesondere bei Depressionen entstehe das Problem, dass eine Krankschreibung eher zu einer Verstärkung der Symptome führe und der Heilung im Weg stehe, heißt es im Beschluss des Ärztetages (Drucksache II - 03).
"Diesem Dilemma könnte mit der ärztlichen Bescheinigung einer vorübergehenden Minderung der Arbeitsfähigkeit wirksam begegnet werden", sagte MB-Chef Dr. Rudolf Henke am Mittwoch der "Ärzte Zeitung". Wenn es aus ärztlicher Sicht sinnvoll und vertretbar sei, dass der erkrankte Arbeitnehmer nur wenige Stunden am Tag arbeite, ohne überfordert zu sein, könne sich das positiv auf den Genesungsprozess auswirken.
Grund: Die Tagesstruktur und der Kontakt mit den Kollegen blieben erhalten, die Gefahr der Vereinsamung wäre deutlich gemindert. Henke beruft sich auf die Einschätzungen von Arbeitsmedizinern, die sagten, dass eine solche Regelung den betroffenen Arbeitnehmern gut tun könne. Allerdings sollten Arbeitnehmer mit der Teilkrankschreibung auch einverstanden sein.
Mit Interesse haben die Verantwortlichen beim MB die Reaktionen aus dem Gewerkschaftslager zur Kenntnis genommen. Erst müsse die Wiedereingliederung von kranken Menschen in die Arbeit funktionieren, reagierte der Deutsche Gewerkschaftsbund. Dann aber könne man über ein gestuftes Verfahren für die Arbeitsunfähigkeit nachdenken.
Arbeitsrecht neben ärztlicher Meinung beachten
Der baden-württembergische Verdi-Landesbezirksleiter Martin Gross warnte dagegen davor, die Entscheidung alleine dem Arzt zu überlassen. Mediziner berücksichtigten oft den arbeitsrechtlichen Aspekt nicht, also was Arbeitgeber aus einer Teilkrankschreibung machen könnten.
Laut geltender Rechtslage müssen Beschäftigte ihren Arbeitgeber unverzüglich informieren, wenn sie krank sind und nicht arbeiten können. Spätestens nach drei Kalendertagen müssen sie zudem eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen.
Das Konzept der Teilkrankschreibung ist schon länger im Gespräch. In der Folge eines Auftrags vom 19. Dezember 2014 des damaligen Gesundheitsministers Hermann Gröhe (CDU) hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen im Dezember 2015 ein Sondergutachten zum Krankengeld vorgelegt. Als eine Steuerungsmöglichkeit empfahlen die Gesundheitsweisen die Einführung einer "Teilarbeitsunfähigkeit", und zwar nicht nur für psychisch Erkrankte.
25, 50 und 75 Prozent
Die Einstufung könne auf 75, 50 und 25 Prozent erfolgen. Die Höhe des Krankengeldes könne diesen Schritten folgen. Gegenüber der derzeit in Deutschland praktizierten Alles-oder-nichts-Regelung ermögliche eine Differenzierung die Nutzung des verbleibenden "Restleistungsvermögens" und vermeide soziale und finanzielle Folgen einer unnötig verzögerten Wiedereingliederung ins Erwerbsleben, so die Wissenschaftler um den Allgemeinmediziner Professor Ferdinand Gerlach. Vorbilder aus Schweden zeigten, dass die gestufte Krankschreibung auch als Einstieg in die Reha begriffen werden könne.
12,28 Milliarden Euro hat die gesetzliche Krankenversicherung im Jahr 2017 für Krankengeld ausgegeben. Privat Versicherte haben keinen Anspruch auf Krankengeld. Alle Versicherten können zusätzlich private Krankentagegeldversicherungen abschließen.
Quelle: GKV-Spitzenverband