Hauptstadtkongress

Ärztemangel wirkt sich auf Chronikerversorgung aus

Chronische Krankheiten fordern Medizin und Politik schon heute heraus. In der Zukunft wird es damit nicht leichter.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:

BERLIN. Ein "Schengen-Abkommen" für chronisch kranke Menschen hat der Arzt und Versorgungsforscher Dr. Marc Kurepkat gefordert. Chroniker sollten sich frei im ambulanten und stationären Sektor bewegen können, sagte der für das Berliner IGES-Institut tätige Allgemeinarzt beim Hauptstadtkongress in Berlin.

Die Hälfte der Menschen mit Schizophrenie und Multipler Sklerose habe vier Wochen nach einem Krankenhausaufenthalt noch keinen Kontakt zu einem niedergelassenen Facharzt gehabt sagte Kurepkat bei der Veranstaltung "Chronische Erkrankungen - Herausforderung für die gesundheitliche Versorgung in Deutschland". Teure Drehtüreffekte seien die Folge.

"Wir werden untergehen"

Die Herausforderung durch chronische Krankheiten packte Kurepkat in deutliche Worte. "Wir werden untergehen, weil wir immer weniger Ärzte haben." Schon heute seien 35 Prozent der Männer und 42 Prozent der Frauen chronisch krank, jeder dritte Hausarzt sei über 60 Jahre alt, auf 100.000 Einwohner kämen heute noch 63, in wenigen Jahren aber nur noch 53 Hausärzte.

Es werde erwartet, dass die Zahl der dialysepflichtigen Patienten in fünf Jahren von 83.000 auf 100.000 steigt. Bei rund 6,6 Millionen Menschen sei Diabetes diagnostiziert. Die Dunkelziffer dürfte rund drei Millionen darüber liegen, schätzte Kurepkat. Die DMP hätten sich als gute Strukturinnovationen erwiesen. Ihre Effekte seien nach wie vor nicht bekannt. Es fehle die Evaluation.

Um die Versorgung von Chronikern mit Medikamenten zu verbessern, forderte Kurepkat Änderungen am AMNOG. Der GBA solle Surrogatparameter zulassen. Es sei auffällig, dass 89 Prozent der Arzneimittelinnovationen für Chroniker keinen Zusatznutzen zugesprochen bekämen.

Das werde derzeit beim Pharma-Dialog zwischen Regierung und Industrie besprochen, sagte Miriam Rosenstein von Astra Zeneca. Wichtig sei ihrer Ansicht auch, in der frühen Nutzenbewertung stärker auch auf Wirkdauer, Wirkstärke und Wirkungseintritt eines Medikaments abzuheben. Das sei in der Versorgungsrealität der Patienten von Bedeutung.

Unwucht im System

Rosenstein machte auf eine Unwucht im System aufmerksam. 6,5 Millionen Menschen seien in DMP eingeschlossen. An den sechs DMP-Krankheiten litten aber 25 Millionen Menschen in Deutschland. Es fehlten Register, um den Versorgungsbedarf besser zu fassen.

Die jetzigen Versorgungsstrukturen könnten nur bedingt eine Antwort auf das Morbiditätsgeschehen geben, sagte auch Günter Wöltermann von der AOK Rheinland/Hamburg. Er plädierte für eine sektorenübergreifende Bedarfsplanung als Voraussetzung für eine zielgerichtete Versorgung.

Der Lebensweltenansatz im Präventionsgesetz der Koalition sei richtig, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag, Hilde Mattheis. Die Schere beim Einkommen gehe immer weiter auf.

Armut und Gesundheit hingen zusammen. Um die Finanzierung des Gesundheitswesens sicher zu stellen, müsse auch der Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung künftig wieder angehoben werden können.

Einen Solidarbeitrag junger Fachärzte, die nach Studium und Weiterbildung Richtung Industrie abwanderten anstatt in der Versorgung zu bleiben, forderte Dr. Peter Hinz vom Uniklinikum Greifswald. Delegation und Substitution ärztlicher Aufgaben könnten ebenfalls helfen, eine steigende Patientenzahl zu versorgen.

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