Ärzte ohne Grenzen

Alle 28 Stunden bebt eine syrische Klinik

Aktivisten und Helfer werfen Syriens Regierung und Russland gezielte Luftangriffe auf Krankenhäuser vor. In manchen Rebellengebieten droht ein Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung.

Von Jan Kuhlmann Veröffentlicht:
Bombardiertes Krankenhaus in Aleppo: Bereits im vergangenen Jahr waren Krankeneinrichtungen von Angriffen betroffen. In diesem Jahr mehrt sich die Kritik an gezielten Attacken.

Bombardiertes Krankenhaus in Aleppo: Bereits im vergangenen Jahr waren Krankeneinrichtungen von Angriffen betroffen. In diesem Jahr mehrt sich die Kritik an gezielten Attacken.

© Karam Almasri / MSF / dpa / picture alliance

IDLIB. Fahd ist gerade in der Notaufnahme, als er das Rauschen eines Kampfjets hört. Der junge Anästhesie-Helfer und seine Kollegen im Krankenhaus des syrischen Ortes Kfar Tacharim haben in dieser Nacht viel zu tun, weil sie Opfer eines Angriffes in der Nähe versorgen. Das Rauschen wird langsam lauter. "Dann gab es eine Explosion", erinnert sich Fahd. "Splitter und Steinbrocken fielen auf unsere Köpfe." Der Strom wird unterbrochen, Menschen schreien, Panik. Fahd versucht aus dem Gebäude zu kommen, doch Trümmer versperren die Tür der Notaufnahme. Zwei, drei Minuten habe es gedauert, dann hätten die Jets das Krankenhaus erneut angegriffen, schreibt Fahd über Kanäle im Internet. "Ich wusste nicht, ob ich überleben würde."

Allein im April 24 Klinik-Angriffe

So schildert der 29 Jahre alte Syrer die Nacht auf den 25. April, als gegen zwei Uhr morgens zwei Bomben das Krankenhaus in Kafr Tacharim erschüttern. Videos zeigten später einen tiefen Krater neben der Klinik, umgeben von Trümmern. Aktivsten machten für den Angriff auf den von Rebellen kontrollierten Ort Russland verantwortlich, im Bürgerkrieg Syriens der wichtigste Verbündete der Regierung. Seit Wochen melden Aktivisten und Helfer aus den Rebellengebieten im Nordwesten des Bürgerkriegslandes regelmäßig Bombardierungen von Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen. Im April haben sie allein in der fast vollständig von unterschiedlichen Rebellengruppen kontrollierten Provinz Idlib 24 solcher Angriffe gezählt. "Das bedeutet, dass es alle 28 Stunden einen Angriff gab", sagt Noelia Monge, Syrien-Koordinatorin der internationalen Hilfsorganisation Ärzte der Welt.

Seit Anfang des Jahres hat sich die Lage in dem ländlichen Gebiet, wo nach Schätzungen rund zwei Millionen Menschen leben, ohnehin verschlechtert. Erst musste die arme und vom Krieg gebeutelte Provinz Zehntausende Vertriebene aufnehmen, die aus den Rebellengebieten der lange umkämpften Großstadt Aleppo geflohen waren. Später brachen Kämpfe zwischen rivalisierenden radikalen Milizen aus und erschwerten Helfern die Arbeit. Dann kamen die Luftangriffe.

"Eine klare Botschaft des Regimes"

Einen Höhepunkt erreichten sie am 4. April in Khan Scheichun. Am Morgen des Tages strömte in der Stadt zunächst Saringas aus, für Aktivisten und Regierungen im Westen eindeutig die Folge eines Chemiewaffeneinsatzes der syrischen Luftwaffe. Mehr als 80 Menschen starben, Hunderte wurden verletzt. Nach dem Angriff meldeten Journalisten einen Angriff auf das Krankenhaus der Stadt, in dem Opfer versorgt wurden. Ein Video zeigt eine Explosion in der Klinik, während ein Reporter gerade von dort berichtet.

Ende April trafen Bomben sogar eine Geburtsklinik, ebenfalls in Kafr Tacharim. Wie viele andere medizinische Einrichtungen war sie danach außer Betrieb. Aktivisten und auch Hilfsorganisationen haben keinen Zweifel daran, dass hinter den Angriffen eine Strategie der Regierung und ihres Verbündeten Russlands steckt, um in den Rebellengebieten Angst und Schrecken zu verbreiten und die Gesundheitsversorgung zu zerstören. "Es handelt sich um eine systematische Bombardierung", sagt der Manager der Klinik in Kafr Tacharim, Wali al-Mohammed.

Auch Noelia Monge sieht "eine klare Botschaft des Regimes" und verweist auf eine vergleichbare Lage in Aleppo Ende vergangenen Jahres. Während die Kämpfe um die nordsyrische Stadt immer heftiger wurden, häuften sich die Meldungen über Bombardierungen von Kliniken. Damals argumentierten die Anhänger der Regierung, "Terroristen" nutzten die Einrichtungen für Angriffe. Aktivisten und auch Mitarbeiter in Kliniken wiesen den Vorwurf immer zurück.

Die Angriffe machen die Lage für Zivilisten immer schwieriger, weil es in manchen Regionen unter Rebellenkontrolle kaum noch medizinische Versorgung gibt. Im Süden Idlibs und im Norden der angrenzenden Provinz Hama sind laut Ärzte ohne Grenzen (MSF) elf Einrichtungen außer Betrieb. Dort funktioniere nur noch ein Krankenhaus. Jeder Gang in eine Klinik stelle mittlerweile eine Gefahr dar, erklärt MSF – weshalb die Menschen eher darauf verzichteten. Entsetzt über die Welle von Angriffen war auch die UN.

Sicherheitszonen sollen jetzt die Lage in dem Bürgerkriegsland beruhigen – so sieht es ein Abkommen vor, dass die Schutzmächte Russland, der Iran und die Türkei letzte Woche in der kasachischen Hauptstadt Astana unterzeichneten. Enden damit die Angriffe auf die Klinken? Aktivisten und Oppositionelle sind skeptisch. Schließlich gilt in Syrien eigentlich schon seit Ende Dezember eine Waffenruhe. (dpa)

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

EU-Pharma Agenda – Impulse für die Arzneimittelversorgung in Deutschland

Impulse für die Arzneimittelversorgung aus Patientenperspektive

Kooperation | In Kooperation mit: AbbVie Deutschland, DAK Gesundheit, MSD Sharp & Dohme, Novo Nordisk, Roche Pharma, vfa und Xcenda

Daten aus Europa

Brustkrebs bei jungen Frauen wächst aggressiver

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Netzwerk-Metaanalyse von 139 Studien

Gonarthrose: Viele Optionen, doch nur wenige funktionieren

Chronisches Kreuzweh

Studie: Rauchen lässt den Rücken schmerzen

Lesetipps
Schwindel kann viele unterschiedliche Ursachen haben. Mit den richtigen Fragen kommt man aber zur richtigen Diagnose.

© Andrey Popov / stock.adobe.com

BAM-Kongress 2025

Schwindel in der Hausarztpraxis: Fünf Fragen zur Ursachenfindung

Prophylaktische Maßnahmen sind der beste Weg, um Infektionen bei Krebspatientinnen und -patienten zu verhindern. Während und nach ihrer Chemotherapie sind sie dafür besonders anfällig. (Symbolbild)

© RFBSIP / stock.adobe.com

Vorbeugen ist besser als heilen

Wie die Infektionsprophylaxe bei Krebspatienten gelingt

Die Ärzte Zeitung hat jetzt auch einen WhatsApp-Kanal.

© prima91 / stock.adobe.com

News per Messenger

Neu: WhatsApp-Kanal der Ärzte Zeitung