Bahr holt Ärzte in die Legalität

Schwer kranken Menschen helfen und Schmerzen lindern: Für Palliativärzte ist das bislang ein Spagat - zwischen medizinischem Anspruch und Strafbarkeit. Eine Gesetzesänderung soll sie jetzt vor dem Besuch des Staatsanwalts bewahren.

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Sinnbild des Opiats: Mohnblüte auf einer polnischen Postkarte.

Sinnbild des Opiats: Mohnblüte auf einer polnischen Postkarte.

© AlexanderZam / fotolia.com

BERLIN (nös). Niedergelassene Ärzte dürfen womöglich bald Betäubungsmittel an ihre Patienten abgeben. Entsprechende Pläne bestätigte am Wochenende eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) der "Ärzte Zeitung".

Damit würde das historische Abgabemonopol der Apotheker zumindest in einigen Ausnahmen aufgeweicht werden.

Hintergrund sind Forderungen vor allem von Palliativmedizinern, schwerkranken Patienten mit starken Schmerzen zur Unzeit kurzfristig Opioide überlassen zu dürfen. Bislang machen sich Ärzte damit strafbar.

Nach Informationen der "Ärzte Zeitung" soll im Rahmen der anstehenden Novellierung Paragraf 17 der Apothekenbetriebsordnung geändert werden, in dem das "Inverkehrbringen" von Arzneien geregelt ist.

Die Beratungen dazu seien in der Endabstimmung, hieß es. Anfang Februar soll die Verordnung durch das Kabinett. Zustimmen muss dann noch der Bundesrat.

Jubel bei den Palliativärzten

In einem weiteren Schritt will das Ministerium dann das Betäubungsmittelrecht "ergänzen und konkretisieren", wie es hieß.

Die Palliativmediziner zeigten sich erfreut über diese Nachricht. "Fantastisch, das ist das, was wir seit langem fordern", sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Palliativstiftung Thomas Sitte der "Ärzte Zeitung".

Sitte: "Wir können endlich Leiden lindern, ohne Angst vor dem Gefängnis haben zu müssen."

Noch in dieser Woche hat sich der Palliativarzt in mehreren Gesprächen für die Neureglung stark gemacht. Sitte: "Das ist ein spannender Zufall."

Auch die KBV begrüßte die Pläne, "die Ärzten die Arbeit in schwierigen Situationen erleichtert". "Das gilt besonders für die Betreuung unheilbar kranker Patienten zu Hause", sagte KBV-Sprecher Dr. Roland Stahl der "Ärzte Zeitung".

Die geplante Änderung betrifft dem Vernehmen nach ausschließlich Konsultationen an Wochenenden, Abenden und Feiertagen.

Zwar dürfen niedergelassene Ärzte auch heute schon Betäubungsmittel zur Unzeit an ihre Patienten abgeben - allerdings nur zum unmittelbaren Gebrauch oder im Rahmen einer ärztlichen Behandlung.

Wenn sie ihren Patienten einen Vorrat etwa bis zum nächsten Werktag überlassen, machen sie sich nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) strafbar. Im schlimmsten Fall drohen ihnen dann bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe.

Bekanntschaft mit dem Staatsanwalt

Vielen Ärzten war dieser Stolperstein offenbar gar nicht bewusst. Der Palliativarzt Sitte geht davon aus, dass 95 Prozent aller Ärzte, die Betäubungsmittel verschreiben, sie auch zur Unzeit bereits an ihre Patienten abgegeben haben. "Das machen fast alle Ärzte und war nie im Bewusstsein."

Sitte selbst hatte deswegen vor gut vier Jahren unfreiwillig Bekanntschaft mit dem Staatsanwalt gemacht. "Das Verfahren wurde eingestellt, weil die Staatsanwaltschaft gesehen hat, dass das Gesetz falsch ist", sagt er.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde den Palliativmedizinern klar, in welch prekäre Lage sie die geltenden Gesetze bringen können.

Seitdem kämpfen sie für das Recht, schwer kranken Menschen Opioide für den kurzfristigen Gebrauch überlassen zu dürfen, ohne mit einem Bein im Gefängnis zu stehen.

Anfang 2011 hatte Sitte eine Petition gestartet, in der er genau das fordert. Etliche Bundestagsabgeordnete sagten ihm Unterstützung zu. Im hessischen Landtag forderten SPD-Abgeordnete die Landesregierung zu einer entsprechenden Bundesratsinitiative auf.

Gespräche im Ministerium

Auch das Bundesgesundheitsministerium sah die Notwendigkeit einer Gesetzänderung. Im April 2011 schrieb der heutige Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), damals noch als parlamentarischer Staatssekretär, dass es "unstreitig" sei, Palliativpatienten ambulant "unverzüglich und verlässlich zu helfen".

Dazu gab es damals "intensive Gespräche mit den Fachkreisen", um die Versorgung in "Krisensituationen ... zu optimieren".

Auch Sitte hat regelmäßig an diesen Runden teilgenommen. Thema war damals auch die Abgabe von Betäubungsmitteln durch Ärzte in "eng begrenzten Ausnahmen".

Kurz zuvor hatte die Koalition die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) im Betäubungsmittelgesetz bessergestellt. Seit April dürfen SAPV-Einrichtungen und Hospize einen Notfallvorrat von Betäubungsmitteln anlegen.

Für die ambulant tätigen Palliativmediziner änderte sich damals allerdings zunächst nichts. Das Problem ist Paragraf 13 Absatz 2 BtMG, wonach nur Apotheker Betäubungsmittel abgeben dürfen.

Verfolgt wie ein Dealer

Für die ehemalige Richterin am Bundesgerichtshof, Professor Ruth Rissing-van Saan, bedeutet diese "Regelungslücke", dass Ärzte "dem Risiko ausgesetzt sind, wie ein Drogendealer strafrechtlich verfolgt zu werden".

Der Deutsche Richterbund nannte die geltende Rechtslage "stark verbesserungswürdig". Im Juni des vergangenen Jahres regte dessen Präsidium in einem Schreiben an das Gesundheitsministerium und das Justizministerium eine Änderung von Absatz 2 im Paragrafen 13 an.

Danach sollten Ärzte kleine Mengen von Betäubungsmitteln an Patienten mit "schwersten Schmerzen und lebensbedrohlicher Atemnot" straffrei abgeben können, wenn dies zur Überbrückung bis zur Versorgung durch die Apotheke dient.

Alternativ schlug der Richterbund vor, die Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) zu verändern. Dort könnte ähnlich der Substitutionsbehandlung geregelt werden, dass Betäubungsmittel für kurze Zeit überlassen werden dürfen, wenn Missbrauch ausgeschlossen werden kann.

Tatsächlich könnte die Änderung der BtMVV der einfachste Weg für das Ministerium sein. Sie muss nicht die parlamentarischen Hürden eines Gesetzes nehmen.

Allen geht es besser

Bis wann die nun geplante Regelung umgesetzt werden soll, war am Wochenende nicht zu erfahren. Tatsächlich dürfen aber einige Monate ins Land gehen.

Sitte "feiert das Ergebnis" trotzdem schon jetzt. Danken will er vor allem "den Politikern, die den Mut hatten, mittelalterliche Traditionen an die moderne Zeit anzupassen".

Sitte meint damit auch die Apotheker. Sie waren bislang strikt gegen eine Aufweichung ihres Dispensiermonopols. Sie fürchteten nicht nur ein Einfallstor für weitere Ausnahmeregeln, sondern argumentierten auch mit der Gefahr des Missbrauchs.

Sitte hält dagegen: "Der Apotheker verdient dadurch keinen Cent weniger, er gewinnt vielmehr."

Mit der Neuregelung würden letztlich sogar mehr Patienten adäquat versorgt werden können, glaubt der Palliativmediziner. "Allen geht es besser: den Patienten, den Apothekern und den Ärzten."

Wie aus Berlin zu hören ist, sollen die Apotheker zumindest bei der Freigabe für Opioide eingelenkt haben: Sie wollen die Neureglung mittragen.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Endlich raus aus der Illegalität

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Kommentare
PD Dr. Ulrich Schuler 23.01.201208:24 Uhr

Es geht nicht nur um BTM

Das Dispensierverbot muss für diesen Bereich fallen. Dabei geht es nicht nur um Opioide. Manchmal ist ein überbrückender Bestand von einigen Tabletten Midazolam, Lorazepam, Metoclopramid, Metamizol, u.a. ebenso wichtig. Angehörige, die Sterbende betreuen, haben andere Prioritäten als am Wochenende irgendwelche Dienst-apotheken zu suchen.

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