Versorgungsatlas zeigt

Bedarfsplanung geht an der Realität vorbei

Die Schere zwischen der realen Versorgung mit ärztlichen Leistungen und der Bedarfsplanung geht immer weiter auf. Zu diesem Ergebnis kommt das ZI im aktuellen Versorgungsatlas.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Wo gehts zum nächsten Arzt? Versorgungsforscher rechnen damit, dass diese Frage künftig öfter gestellt werden könnte.

Wo gehts zum nächsten Arzt? Versorgungsforscher rechnen damit, dass diese Frage künftig öfter gestellt werden könnte.

© Armin Weigel/dpa

BERLIN. In deutlich weniger als der Hälfte der 879 Planungsbezirke in Deutschland übersteigt der Versorgungsgrad mit Hausärzten die magische Zahl von 110 Prozent.

Das hat das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) in einer aktuellen Auswertung des Versorgungsatlas ermittelt. Ab einem Wert von 110 Prozent gilt ein Planungsbezirk als überversorgt.

In dünn besiedelten Regionen wie Mecklenburg-Vorpommern kümmern sich demnach im Schnitt 68 Hausärzte um 100.000 Einwohner. Dieser Wert entspricht etwa auch dem von Bayern, Hamburg, Berlin und Bremen.

Bundesdurchschnitt: 60 Hausärzte auf 100.000 Einwohner

In den beiden KV-Bezirken Nordrhein-Westfalens stehen der Bevölkerung 60 Hausärzte je 100.000 Einwohner zu Diensten. Das entspricht nach Angaben des ZI etwa dem Bundesdurchschnitt.

Insgesamt zeigten die Berechnungen aber, dass sich die reale Versorgungssituation deutlich von den Verhältniszahlen der Bedarfsplanung entfernt habe, teilt das ZI mit.

Denen zufolge gelte eine Region zu 100 Prozent mit hausärztlichen Dienstleistungen versorgt, wenn rechnerisch ein Hausarzt auf 1671 Einwohner kommt. Die Verhältniszahlen als grundlegendes Maß gelten in der Versorgungsforschung jedoch längst als überholt.

"Um beurteilen zu können, ob tatsächlich eine Über- oder Unterversorgung vorliegt, müssen zusätzlich zur Altersstruktur der Bevölkerung auch weitere Faktoren berücksichtigt werden", sagte der Leiter des Versorgungsatlas, Dr. Jörg Bätzing-Feigenbaum, der "Ärzte Zeitung".

Dazu zählten die Verteilung und Häufigkeit von Erkrankungen sowie die Sozialstruktur der Bevölkerung. Auch die Arbeitsteilung vor Ort zwischen ambulanter und stationärer Versorgung müsse berücksichtigt werden, um ein realistisches Bild des Versorgungsbedarfes zu erhalten.

Ein aktueller Gesetzentwurf sieht vor, dass die Zulassungsausschüsse ab der Marke von 110 Prozent eine Neubesetzung des Arztsitzes strenger als bisher prüfen sollen.

Bis zu 50.000 Arztsitze auf dem Spiel

Die gesetzlichen Vorgaben zum Abbau von Überversorgung durch den Ankauf von Arztpraxen hat die KBV in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf ausdrücklich abgelehnt.

Bis zu 50.000 Arztsitze könnten dadurch in den kommenden zehn Jahren verloren gehen, heißt es bei der Vertretung der Vertragsärzte.

In einem "worst-case"-Szenario geht das ZI davon aus, dass schon in den kommenden beiden Jahren bis zu 10.000 Praxissitze zur Disposition stehen könnten.

Nach Angaben des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen aus dem Jahr 2012 hat sich die Zahl der Hausärzte zwischen 1993 und 2010 um gut acht Prozent verringert.

Der demografische Wandel erfasst auch die Ärzteschaft. Schon in wenigen Jahren könnten mehr als 20.000 Hausärzte ihre Praxen aus Altersgründen dicht machen, haben die Gesundheitsweisen vorgerechnet.

Mehr zu den Versorgungsgraden der Arztgruppen: www.versorgungsatlas.de

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 09.04.201517:29 Uhr

Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) einfach kindisch?

Bei allem Respekt, da hat das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) in mühevoller Kleinarbeit einen aktuellen Versorgungsatlas erstellt. Und nimmt betriebswirtschaftlich völlig abwegig als Planungs-Hypothese an, ab einem Wert von 110 Prozent gelte ein Planungsbezirk als überversorgt? Das darf doch wohl nicht wahr sein!

Mit dieser 110-Prozent-These wäre jede produzierende Firma nach betriebswirtschaftlichen Regeln insuffizient, weil sie innerhalb eines Rechnungsjahres ihre Aufträge wegen Urlaub, Krankheit, Fortbildung und tariflichen Arbeitsbefreiungen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gar nicht vollständig erfüllen könnte.

Auch selbstständige Hausärzte/-innen, um die es dem ZI hier geht, machen zusätzliche Nacht- und Bereitschaftsdienste, Urlaub, müssen sich pflichtgemäß regelmäßig fortbilden, werden auch mal krank, ziehen um, heiraten, kriegen Kinder, gehen in Mutterschutz, müssen zu Beerdigungen, zum Steuerberater, zum Finanzamt, zur MEDICA und zur Autowerkstatt.

Für das laufende Jahr werden je nach Bundesland zwischen 252 und 254 (253) Arbeitstage bei einer 5-Tage-Woche berechnet (http://www.schnelle-online.info/Arbeitstage/Anzahl-Arbeitstage-2015.html). Zieht man davon 25 Arbeitstage für einen u n t e r tariflichen Erholungsurlaub der überwiegend überalterten Haus- und Vertragsärzteschaft ab; dazu 10 Tage für Fortbildungen; 5 Tage für Nacht-, Not- und Bereitschaftsdienste; weitere 5 Tage anteilig für Krankheit, Kinder kriegen, Mutterschutz und REHA, kommt man auf nur noch 208 Arbeitstage pro Jahr.

Damit wird belegt, dass allein ab einem Versorgungsgrad von 122 Prozent aufwärts erst die notwendigen 100 Prozent Versorgungsleistungen erbracht werden können: Denn es müssen plan- und vorhersehbare Versorgungs-Ausfälle durch Erholungsurlaub, Fortbildungen, Nacht-, Not- und Bereitschaftsdienste, Krankheit, Kinder, Mutterschutz und REHA berücksichtigt werden.

Alles andere wäre betriebswirtschaftlich gesehen eine geradezu kindische Milchmädchenrechnung.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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