Roe vs. Wade

Berühmtes Abtreibungsurteil in den USA kurz vor dem 50. Jahrestag gekippt

Am 22. Januar wären die liberalen Abtreibungsregeln in den USA 50 Jahre alt geworden. Sie gingen viel weiter als etwa in Deutschland. Jetzt reicht das Spektrum in den US-Bundesstaaten von extrem streng bis extrem locker.

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Abtreibungsrechtsaktivistinnen protestierten im Juli 2022 vor dem Obersten Gerichtshof in Washington. Der Supreme Court hatte das liberale Abtreibungsrecht in den Vereinigten Staaten im Juni gekippt.

Abtreibungsrechtsaktivistinnen protestierten im Juli 2022 vor dem Obersten Gerichtshof in Washington. Der Supreme Court hatte das liberale Abtreibungsrecht in den Vereinigten Staaten im Juni gekippt.

© Jose Luis Magana/AP/dpa

Bonn. Viele Frauenrechtlerinnen in den USA hätten am 22. Januar gerne ein Jubiläum gefeiert. Dann ist es genau 50 Jahre her, dass der Oberste Gerichtshof mit seiner Entscheidung „Roe gegen Wade“ eine landesweite und weitreichende Freigabe von Abtreibungen begründete. Doch die Feier muss ausfallen.

Stattdessen gingen im vorigen Sommer Abtreibungsbefürworterinnen – und auch -gegnerinnen – überall in den USA auf die Straße. Anlass war eine Verhandlung am Supreme Court, in der auch „Roe gegen Wade“ auf dem Prüfstand stehen sollte. Am Ende kippten die Richter die Entscheidung, die seit dem 22. Januar 1973 gegolten hatte.

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Vor „Roe gegen Wade“ gab es in beinahe allen US-Bundesstaaten hohe Hürden für eine Abtreibung. Texas etwa erlaubte den Eingriff nur dann, wenn das Leben der werdenden Mutter in Gefahr war. Betroffen von dieser Regelung war unter anderem die 21-jährige Norma McCorvey. Wegen ihrer nicht nur wirtschaftlich schwierigen Lebenssituation hatte sie bereits ihre ersten beiden Kinder zur Adoption freigegeben. Als McCorvey ein drittes Mal schwanger wurde und nicht abtreiben durfte, reichte sie Klage unter dem Pseudonym Jane Roe gegen den texanischen Bezirksstaatsanwalt Henry Wade ein.

Richter sahen in der Verfassung garantiertes Recht auf Privatsphäre

Vertreten wurde die junge Frau von zwei Anwältinnen, die sich für Abtreibung engagierten und schon seit längerem nach einem geeigneten Fall gesucht hatten. Sie zogen bis vor den Obersten Gerichtshof, der schließlich 1973 eine Entscheidung fällte. McCorveys drittes Kind war zu diesem Zeitpunkt längst geboren – und ebenfalls zur Adoption freigegeben.

Die Richter erklärten in ihrer Entscheidung das texanische Abtreibungsgesetz für unzulässig. Dabei bezogen sie sich auf frühere Rechtsauslegungen, wonach die US-Verfassung das Recht auf Privatsphäre garantiere. Frauen dürften daher selbst über ihre Schwangerschaft entscheiden.

Diese Rechtsauslegung machte auch in den übrigen US-Bundesstaaten Schluss mit strikten Abtreibungshürden. Laut Supreme Court mussten Abtreibungen im ersten und zweiten Drittel der Schwangerschaft möglich sein. Da etwa ab dem letzten Drittel ein Fötus auch außerhalb des Mutterleibes überleben könne, seien ab diesem Zeitpunkt die Interessen des Babys zu bedenken und Abtreibungen dürften unterbunden werden.

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Sehr liberale Regelung im Vergleich zu anderen Ländern

Die Regelung war weit liberaler als in anderen Ländern. So ist in Deutschland Abtreibung bis heute grundsätzlich eine Straftat. Sie bleibt jedoch unter bestimmten Voraussetzungen straffrei: Unter anderem muss der Eingriff laut Paragraf 218 des Strafgesetzbuches innerhalb der ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis stattfinden, und die Frau muss sich vorab von einer staatlich anerkannten Stelle beraten lassen.

Die Ampelkoalition blickt kritisch auf diese Regelung: „Der Abbruch einer Schwangerschaft gehört nicht ins Strafrecht“, so die SPD-Bundestagsfraktion. Eine neue Kommission soll laut Koalitionsvertrag Regulierungen außerhalb des Strafgesetzbuches prüfen. Und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) kündigte erst kürzlich in mehreren Interviews an, sie wolle jetzt Tempo machen bei diesem Vorhaben und am liebsten Paragraf 218 komplett kippen, was nicht nur der katholischen Kirche Sorgen bereitet.

Der Bundestag schaffte am 24. Juni vergangenen Jahres zudem bereits das Werbeverbot für Abtreibungen ab. Am selben Tag hob der Oberste Gerichtshof in den USA die Entscheidung „Roe gegen Wade“ auf. Im konkreten Verfahren ging es um ein Gesetz des Bundesstaates Mississippi, das Abtreibungen ab der 15. Schwangerschaftswoche verbietet. Die Richter stellten mit knapper Mehrheit fest, dass aus der Verfassung kein „Recht auf Abtreibung“ abgeleitet werden könne. Damit kippten sie die Basis, auf der „Roe gegen Wade“ fußte.

Aktuelles Urteil begeistert die Konservativen

Konservative feierten die Entscheidung. Fast 50 Jahre lang habe ein „ungerechtes Gesetz“ gegolten, das es einigen ermöglichte zu entscheiden, „ob andere leben oder sterben können“, teilte etwa die katholische US-Bischofskonferenz mit.

Seit dem Ende der US-weiten Regel sind nun wieder die Bundesstaaten gefragt. Heute ist Abtreibung in Alabama, Arkansas, Kentucky, Louisiana, Missouri, Oklahoma, South Dakota, Tennessee und Texas nicht einmal nach einer Vergewaltigung oder bei Inzest erlaubt. Auf der anderen Seite des Spektrums stehen Staaten wie Alaska, Colorado, New Jersey, Oregon und Vermont. Hier sind Abtreibungen möglich – fast die gesamte Schwangerschaft hindurch.

Norma McCorvey alias Jane Roe fand nach „Roe gegen Wade“ zum Glauben. Sie trat einer evangelikalen und später der katholischen Kirche bei und wurde zu einer prominenten Gegnerin von Abtreibungen. Kurz vor ihrem Tod erzählte sie jedoch einem Fernsehteam, sie sei für diese Positionierung bezahlt worden. 2017 starb McCorvey mit 69 Jahren an Herzversagen. (KNA)

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